Experten diskutieren mit der Integrationsministerin Bilkay Öney, wie die geflüchteten Neuankömmlinge hier schnell heimisch werden. Arbeit und Sprache gelten als Schlüssel. Doch im Moment hakt es noch an der Bürokratie

Böblingen - Flüchtlingsthemen bestimmen seit Wochen die Schlagzeilen der Medien, beschäftigen Politiker, Verwaltungsleute auf allen Ebenen und viele ehrenamtlich engagierte Bürger – auch im Kreis Böblingen. Doch wie können die vielen Menschen, die momentan zu uns flüchten, möglichst schnell in die Gesellschaft integriert werden? Darüber diskutierte am Montagabend vor mehr als 200 Zuhörern der Böblinger Landrat Roland Bernhard mit der Integrationsministerin Bilkay Öney, mit Migrationsforschern, einer Arbeitsmarktexpertin, einer Wirtschaftsfachfrau, einem Experten für Sprachkurse sowie betroffenen Flüchtlingen.

 

Einig war man sich auf dem Podium unter der Moderation des Sindelfinger Journalisten Hans-Jörg Zürn, dass zwei Faktoren für die Integration wichtig sind: gute Deutschkenntnisse und eine schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

Die Politiker „Mehr als die Hälfte der Plätze in unseren Flüchtlingsunterkünften werden von Arbeitsmigranten vom Balkan belegt“, klagte der Landrat Bernhard. Klare Position bezog dazu die Ministerin. „Nicht alle, die momentan ins Land kommen, können bleiben.“ Das Asylrecht gilt nur für politisch Verfolgte. Für die Arbeitsmigranten vom Balkan müssten andere Möglichkeiten einer Zuwanderung nach Deutschland geschaffen werden. Man müsste auch darüber nachdenken, ob „man Anreize zum Kommen schafft, wenn man Flüchtlingen vom Balkan 400 Euro im Monat gibt.“ Der serbische Ministerpräsident habe gesagt: „Soviel verdient bei uns ein Polizist.“ Die momentanen Grenzkontrollen an deutschen Grenzen hält Öney für notwendig, um die Flüchtlingsaufnahme wieder zu entschleunigen. Die, die ein Bleiberecht haben, müssten schnell integriert werden, der Schlüssel dazu sei die Sprache. Das Land habe deshalb ein Sprachlernprogramm initiiert.

Die Migrationsforscher Hannes Schammann, Professor an der Universität Hildesheim, hat festgestellt, dass Fluchtbewegungen in Wellen verlaufen. „Die letzte große Welle gab es Anfang der 1990er Jahre und jetzt wieder.“ Er glaubt, dass sich die Flüchtlinge gleichmäßiger in Europa verteilen würden, wenn man das ihnen selbst überließ. „Nicht alle wollen nach Deutschland“. Und er erzählte von einem Sudanesen, der nach Frankreich wollte, wo er Verwandte hatte und dessen Sprache er beherrschte, aber in den falschen Zug nach Deutschland stieg. „Jetzt wird sein Asylantarg hier bearbeitet, er muss Deutsch lernen.“ Das Asylrecht fungiere „als Ventil“ , wenn der „Migrationsdruck zu groß wird“. Dies gelte zum Beispiel für die Menschen vom Balkan. „Dort ist die Situation für viele hoffnungslos, so dass sie weg wollen“, sagte Schammann und forderte ein Zuwanderungsgesetz für solche Menschen. Claudia Walther von der Bertelsmann-Stiftung referierte das Ergebnis einer Studie zur Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt. „Das größte Hindernis für eine schnelle Integration ist das lange Asylverfahren“, das auch mal zwei Jahre oder länger dauern könnte. „Solange sind die Leute zum Nichtstun verdammt.“

Die Flüchtlinge Dies bestätigte Jean-Marie Mboka Vonga, der vor 17 Jahren als Flüchtling aus dem Kongo in den Kreis Böblingen gekommen war. „Sieben Jahre dauerte mein Asylverfahren. Solange musste ich in einer Gemeinschaftsunterkunft leben.“ Bis heute hat der Diplom-Chemiker keine Anstellung in seinem Beruf gefunden, arbeitet stattdessen als Paketzusteller bei der Post. Auch der Iraker Salman Said, der vor vier Jahren aus seiner Heimat geflüchtet war, erhält hier keinen Arbeitsplatz in seinem Beruf als Maschinenbau-Ingenieur. Er leitet seit kurzem nun eine Flüchtlingsunterkunft des Landkreises in Sindelfingen.

Die Wirtschafts-Fachfrau 70 Unternehmen im Kreis Böblingen hätten sich bereit erklärt, Flüchtlingen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu vermitteln, berichtete Marion Oker, die Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer. Allerdings legten die Firnem Wert darauf, dass der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge geklärt sei. Dies spreche für eine Beschleunigung des Asylverfahrens.

Die Arbeitsmarktexpertin Petra Cravaack, die Chefin der Stuttgarter Agentur für Arbeit, fordert, dass „die Flüchtlinge bereits in den Unterkünften gefragt werden, welchen Beruf sie erlernt haben und welche Qualifikationen sie mitbringen.“ Im Moment sei es eher zufällig, wenn die Menschen bei der Suche nach Arbeit im Jobcenter oder der Agentur landeten. Allerdings habe sich gezeigt, dass es „ein bis zwei Jahre dauert, bis die Menschen sprachlich so weit sind, dass man sie in den Arbeitsmarkt integrieren kann“. Sie fordert die Regelung aufzuheben, nach der Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nur dann einen Arbeitsplatz erhalten, wenn es dafür keinen geeigneten Kandidaten aus der EU gibt. „Diese Prüfung dauert häufig zu lange und ist angesichts des guten Arbeitsmarkts nicht notwendig.“ Für jugendliche Flüchtlinge gebe es im Herbst ein Sonderausbildungsprogramm, kündigte Cravaack an.

Der Sprachexperte Thomas Fiebig, der Leiter der Volkshochschule Böblingen-Sindelfingen, hält nichts von Sprachkursen durch Ehrenamtliche. Um Deutsch richtig zu lernen, brauche es „einen strukturierten Unterricht, möglichst von Anfang an.“ Sonst würden die Leute schnell auf einem niedrigen Sprachniveau stehen bleiben.