Flüchtlingsdrama an der EU-Außengrenze Belarus zielt auf Europas Achillesferse
Die EU muss human und robust auf Lukaschenkos Schleuserkriminalität reagieren, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.
Die EU muss human und robust auf Lukaschenkos Schleuserkriminalität reagieren, kommentiert der StZ-Autor Armin Käfer.
Stuttgart - Alexander Lukaschenko, Diktator in Minsk, steht für eine Politik, die allen Werten Hohn spricht, welche die Europäische Union zu repräsentieren vorgibt. Umso fataler ist es, wenn ausgerechnet er es schafft, die EU wegen Menschenrechtsverstößen zu brandmarken. Das genau ist die Absicht hinter der Tragödie, die sich gerade an der europäischen Ostgrenze zwischen Polen und Belarus vollzieht. Da hungern, frieren und sterben Menschen, deren erklärtes Ziel es ist, nach Europa zu gelangen. Polnische Sicherheitskräfte versuchen, sie davon abzuhalten. Für das Leiden der Flüchtlinge gibt es keine Rechtfertigung – für den Grenzkonflikt aber keine schlichte Lösung.
Die Grenze zu Belarus ist eine Achillesferse der EU. Dort offenbart sich ihre Schwäche und Verletzlichkeit. Lukaschenko hat nichts anderes im Sinn als vorzuführen, wie erpressbar der Staatenbund ist. Er betreibt ein zynisches Manöver, in dem die Flüchtlinge nur Marionetten sind. Dieses Manöver verfolgt den Zweck, von der Staatskrise im eigenen Land, der Niedertracht im Umgang mit der Opposition, der Ignoranz für demokratische Spielregeln, der Missachtung elementarer Bürgerrechte abzulenken. Die aus Minsk gesteuerte staatliche Schleuserkriminalität soll Brüssel vor weiteren Sanktionen warnen. Wir können euch viel mehr schaden als ihr uns, will Lukaschenko vorführen.
Dieses menschenverachtende Schurkenstück beruht auf zwei Voraussetzungen. Erstens funktioniert es nur, weil Russlands Staatschef Wladimir Putin seine schützende Hand über Lukaschenko hält – und ihn so vor harscheren Reaktionen bewahrt. Nun bietet Moskau an zu vermitteln. Das kann eine Chance sein, aber auch eine üble Finte. Zweitens: Lukaschenkos Vorstoß mit dem Ziel, Europa zu spalten, ist umso aussichtsreicher, als die EU in der Frage, wie mit Flüchtlingen umzugehen sei, tatsächlich ja schon gespalten ist. Mit Polen ist hier ausgerechnet einer der Staaten das primäre Opfer, der sich der Solidarität bisher verweigert hat. Nun sind die Polen selbst auf Solidarität angewiesen.
Ursula von der Leyen, deutsche Chefin der EU-Kommission, verweigert Warschau Geld für Stacheldraht und Zäune. Das macht sich gut in Sonntagsreden, ist aber pure Heuchelei. Die Polen haben nichts anderes im Sinn als die Spanier in Ceuta und die Griechen in der Ägäis: Sie schützen Europas Außengrenzen. Ohne einen solchen Schutz ist eine geregelte Migration undenkbar. Für offene Grenzen gibt es in Europa keine Mehrheiten.
Gleichwohl steht außer Frage, dass wir Europäer die Flüchtlinge, die Lukaschenko einzuschleusen versucht, nicht im Wald erfrieren oder verhungern lassen dürfen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit – keine Frage politischer Beliebigkeit. Es geht um eine Anzahl von Personen, die allein Deutschland ohne Weiteres beherbergen könnte. Allerdings gilt es auch darauf zu achten, die Fehler von 2015 nicht zu wiederholen. Großherzigkeit könnte eine Sogwirkung entfalten.
Die EU muss human und zugleich robust reagieren: human gegenüber den Flüchtlingen – robust gegenüber dem Regime in Minsk und gegenüber allen, die an diesem staatlich organisierten Menschenhandel mitverdienen. Dazu wäre es erforderlich, die Sanktionen gegenüber der Nomenklatura von Belarus zu verschärfen und Fluggesellschaften, die Flüchtlinge nach Minsk transportieren, vom europäischen Luftraum auszusperren. Einen Schritt in diese Richtung wollen die EU-Außenminister wagen.
Erste Reaktionen wecken die Hoffnung, dass ein harter Kurs fruchten könnte. Lukaschenkos Worten ist allerdings nicht zu trauen. Den Erklärungen, die Kompromissbereitschaft andeuten, müssen Taten folgen.