Auf den ersten Blick scheint das neue EU-Gesetz, das am Donnerstag im Europaparlament verabschiedet werden soll, ein Fortschritt zu sein. Das System Eurosur soll Flüchtlingsboote besser aufspüren. Rettungspläne jedoch fehlen.

Brüssel - Auf den ersten Blick scheint das neue EU-Gesetz, das am Donnerstag im Europaparlament verabschiedet werden soll, ein Fortschritt zu sein. Durch Austausch und gemeinsame Nutzung von Daten sowie einheitliche technische Standards soll das Seeüberwachungssystem Eurosur entstehen, das ein besseres Bild der Lage im Mittelmeer zeichnen soll. Die Logik dahinter: wissen Europas Behörden genauer, wo sich auch kleine Flüchtlingsboote befinden, hilft das, wie die EU-Kommission schreibt, „die Zahl der illegalen Einwanderer zu verringern“ und „die Todesrate unter den illegalen Einwanderern zu senken“.

 

„Seenotrettung ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit“

Auf den zweiten Blick lässt sich feststellen, dass es die Seenotrettung nicht in die eigentlichen Vorschriften, sondern wegen des Widerstands vor allem südlicher EU-Staaten nur in die „Erwägungsgründe“ geschafft hat. Eurosur sollte, so heißt es dort, „die Reaktionsfähigkeit der Mitgliedstaaten beträchtlich verbessern und damit einen Beitrag zur Rettung des Lebens von Migranten leisten“. Die grüne Europaabgeordnete Franziska Keller kritisiert, es gebe „kein einziges Detail“. Nicht einmal die Arbeit nationaler Seenotrettungszentren werde mit den neuen Regeln koordiniert.

Im Gegensatz zu den Grünen sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit, das mit dem EU-Parlament ausgehandelte Paket nachzubessern, das im Dezember in Kraft treten soll. „Seenotrettung ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit“, sagt eine EU-Diplomatin. Auch der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber sieht keinen Ergänzungsbedarf bei den technischen Standards. Vielmehr müssten die Behörden „weg von einer Kultur der Flüchtlingsabwehr hin zu einer Kultur des Hinsehens kommen“. Das aber könne nicht nur der EU-Ebene angelastet werden. Die Mitgliedstaaten, so Weber, hätten sich bei der Reform der Grenzschutzagentur Frontex klar gegen neue europäische Kompetenzen ausgesprochen und die volle Verantwortung für operative Einsätze auf nationaler Ebene behalten – so auch auf Lampedusa: „Das ist die italienische Verantwortung.“

Die Küstenwache sieht künftig die Boote noch früher

Angesichts dessen befürchten Experten, dass der Fokus durch Eurosur und neue Rücknahmeabkommen etwa mit Libyen erst recht auf der Flüchtlingsabwehr liegt. Letztlich können die Behörden über Satelliten und Drohnen künftig sehen, wenn ein Boot an der afrikanischen Küste ablegt, und die Kollegen auf der anderen Seite des Mittelmeers informieren, damit die dortige Küstenwache die Flüchtlinge aufhält. „Das erspart ihnen eine tödliche Überfahrt, rettet aber nicht unbedingt ihr Leben“, sagt die Grüne Keller, „sie haben ja einen Grund zu fliehen.“