Flüchtlingsfrauen auf dem Weg in den Beruf Vom großen Glück, arbeiten zu dürfen

Ein Projekt des Landratsamts fördert gezielt Flüchtlingsfrauen beim Einstieg in den Beruf. Pädagoginnen bieten direkt in den Unterkünften Kurse zur Berufsfindung an. Doch oft scheitern die Teilnehmerinnen am unsicheren Rechtsstatus.
Sindelfingen - Mahtab Daulat ist eine moderne junge Frau. Sie ist Mutter eines anderthalbjährigen Kindes, das mehrmals die Woche von einer Tagesmutter betreut wird, immer dann, wenn Mahtab Daulat zur Arbeit muss. An zwei Nachmittagen in der Woche bedient die dezent geschminkte Frau im Café Holanka am Sindelfinger Marktplatz die Kunden. Ihr Job macht ihr großen Spaß. Das große Ziel der 21-Jährigen: eine Ausbildung, am liebsten in der Gastronomie.
Die Afghanin wirkt selbstbewusst, sie entspricht so gar nicht dem Klischee der unterdrückten Flüchtlingsfrau. Sie ist eine, die bereit ist, für ihre Wünsche und Ziele zu kämpfen. Selbstverständlich ist das nicht. Denn Daulat lebt erst seit zwei Jahren in Deutschland. Sie war 19 Jahre alt, als sie mit ihrem Mann aus Afghanistan geflüchtet ist. Das Paar landete in einem Sindelfinger Wohnheim. Kurz darauf kam ihr Sohn zur Welt. Mahtab Daulat hat keine Ausbildung. Bei ihrer Ankunft sprach sie kein Wort Deutsch. Heute kann man sich gut mit ihr unterhalten – das meiste hat sie sich selbst beigebracht. „Ich habe den Kinderkanal Kika geschaut und so Deutsch gelernt.“
Deutsch hat sich die 21-Jährige selbst beigebracht – mit dem Kinderkanal Kika
Erst seit wenigen Monaten besucht sie einen Sprachkurs. Auch das ist nicht selbstverständlich. Fast wäre der Kursbesuch an der fehlenden Kinderbetreuung gescheitert. Doch Daulat fand noch rechtzeitig eine Tagesmutter. Wenn sie vormittags in der Volkshochschule Deutsch büffelt und nachmittags im Café arbeitet, wird der kleine Yusuf von einer Deutschen betreut. „Viele meiner Bekannten im Flüchtlingsheim verstehen nicht, dass ich mein Kind morgens wegbringe“, erzählt Daulat. Doch sie hat Vertrauen in die Betreuerin. „Es ist wichtig, Kontakt zu Deutschen zu haben. So lernen wir schneller die Sprache“, sagt sie.
Unterstützt wird Daulat von Hanna Hiltner. Sie leitet mit ihrer Kollegin Alena Babeyeva das Projekt „Berufliches Empowerment für geflüchtete Frauen“. Es richtet sich vor allem an Frauen, die keinen Studien- oder Berufsabschluss haben und nur kurze Zeit zur Schule gegangen sind. „Unser Ziel ist, die Frauen zu ermutigen, eine berufliche Perspektive zu entwickeln“, sagt Hiltner. Programme zur Qualifizierung von Flüchtlingen gibt es viele. Doch die meisten richten sich an Menschen mit Berufserfahrung und Zeugnissen oder werden überwiegend von Männern wahrgenommen. Ähnliche Projekte wie das Böblinger speziell für Frauen ohne Vorbildung gebe es deutschlandweit nur viermal, sagt Hanna Hiltner. Gefördert wird es durch das Bundesprojekt „Integration durch Qualifizierung“.
Betriebsbesichtigungen und Praktika stehen auf dem Programm
Hanna Hiltner und Alena Babeyeva gehen direkt in die Unterkünfte. Dort bieten sie Gruppenberatungen ausschließlich für Frauen an. Gemeinsam machen die Teilnehmerinnen dann Betriebsbesichtigungen und lernen, wie das Ausbildungssystem in Deutschland organisiert ist. Auf Wunsch helfen die Pädagoginnen auch bei der Suche nach einem Praktikumsplatz. So sammelte auch Mahtab Daulat ihre ersten Berufserfahrungen. Bei ihrem mehrwöchigen Praktikum im Sindelfinger Café Holanka überzeugte sie und wurde als Mitarbeiterin übernommen. Sobald sie ihren Sprachkurs beendet hat, möchte sie ihren Minijob aufstocken und mehr arbeiten.
Nur wenige der 70 Frauen, die Hiltner und Babeyeva in den vergangenen drei Jahren unterstützt haben, schreiben eine solche Erfolgsgeschichte. Hindernisse auf dem Weg in den Beruf gibt es viele, fehlende Kinderbetreuung beispielsweise, vor allem aber der unsichere Rechtsstatus vieler Flüchtlinge. So auch bei Shahlan Ali aus dem Irak: Wie ein Damoklesschwert hängt die drohende Abschiebung über ihr. Dabei möchte die 21-jährige Mutter zweier Kleinkinder nichts lieber als eine Ausbildung machen. Ihr Traumjob: „An der Kasse im Supermarkt arbeiten.“ Doch solange ihr die Abschiebung droht, wird sie trotz Fachkräftemangels kein Arbeitgeber einstellen. Eine Perspektive hat die junge Frau nicht. Ihr bleibt nichts als Warten und Hoffen.
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