Bis in die Nacht saßen Bund und Länder zusammen, um sich zu einigen. Ein großer Streitpunkt: das Thema Asyl. Was beschlossen worden ist – und warum das so lange brauchte. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Über Migration lässt sich lange streiten. 17 Stunden zum Beispiel. So lange dauerte der Flüchtlingsgipfel, zu dem Bund und Länder am Montag in Berlin zusammenkamen. Was haben Bund und Länder nun zum Thema Asyl beschlossen? Warum brauchten sie so lange? Der Überblick.

 

Wie teilen Bund und Länder die Kosten künftig untereinander auf?

Statt sich wie bisher jedes Jahr auf eine feste Summe für die Flüchtlingsversorgung zu einigen, zahlt der Bund künftig eine Pauschale für jeden Asylbewerber, nämlich 7500 Euro pro Person. Die Länder hatten schon lange verlangt, ein sogenanntes „atmendes System“ einzuführen, das sich an der Anzahl der Schutzsuchenden orientiert. Der Bund hatte sich dafür offen gezeigt, wollte jedoch nur 5000 Euro pro Person zahlen. Die Länder hatten aber 10 500 Euro verlangt. Nun trifft man sich in der Mitte.

Worauf haben sich Bund und Länder noch geeinigt?

Grundsätzlich geht es Bund und Ländern darum, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen, um Asyl zu beantragen. Dazu haben sie sich auf mehrere Vorhaben verständigt.

Wer aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, als asylberechtigt anerkannt oder geduldet ist, bekommt derzeit in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts Unterstützungszahlungen, die sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz richten. Erst danach hat man Anspruch auf Sozialhilfe beziehungsweise Bürgergeld. Das soll künftig erst nach 36 Monaten der Fall sein. Die Änderung soll zum 1. Januar in Kraft treten können. Außerdem wollen die Länder eine Bezahlkarte einführen, damit Geflüchteten weniger Bargeld ausgezahlt wird. Der Bund will sie dabei unterstützen.

Daneben sind weitere Maßnahmen beschlossen worden – unter anderem sollen Asylverfahren künftig deutlich schneller ablaufen und es soll intensiv an Migrationsabkommen gearbeitet werden. Zudem will sich der Bund auf EU-Ebene für die Reform des europäischen Asylsystems einsetzen.

Warum hat das so lange gedauert?

Bevor die Länderchefs und -chefinnen ins Kanzleramt aufbrechen konnten, mussten sie sich untereinander einigen – und das war nicht einfach. Eigentlich hatten sich die Länder im Vorfeld auf gemeinsame Vorschläge verständigt. Doch die sogenannten B-Länder – die von der Union geführten und Baden-Württemberg – überraschten die andere Seite mit weiteren Forderungen.

Unter anderem wollten sie durchsetzen, dass Asylverfahren außerhalb Deutschlands in Drittstaaten ausgelagert werden sollen. Das lehnten die A-Länder, die von Sozialdemokraten regiert werden, ab.

Trotzdem findet sich dazu eine Kompromissformulierung im Beschluss von Bund und Ländern. Dort steht, dass die Bundesregierung prüfe, ob ein solches Verfahren „unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention“ möglich sei.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Beschluss finden sich mehrere Punkte, die bereits angekündigte Maßnahmen bekräftigen – zum Beispiel die Beschleunigung von Rückführungen, die Grenzkontrollen oder die Digitalisierung der Ausländerbehörden. An anderer Stelle gibt es aber Neues und Konkretes. Dass der Bund künftig eine Pro-Kopf-Pauschale von 7500 Euro je Asylbewerber zahlt, kann ab 1. Januar umgesetzt werden. Für die Einführung von Bezahlkarten soll bis Ende Januar ein Modell vorgelegt werden. Die angekündigten Leistungskürzungen für Asylbewerber müssen erst das parlamentarische Verfahren im Bundestag durchlaufen, bevor sie beschlossen sind. Das bedeutet: Alle Ampelfraktionen müssen zustimmen. Das dürfte bei den Grünen erneut für Unmut sorgen.

Wie sind die Reaktionen?

Bei ihrer nächtlichen Pressekonferenz zeigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und der niedersächsische Landeschef Stephan Weil (SPD) zufrieden – auch wenn Rhein betonte, dass er sich weitergehende Beschlüsse gewünscht hätte.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte die Beschlüsse deutlich. Der flüchtlingspolitische Sprecher Tareq Alaows sagte dieser Redaktion: „Wir sehen diese Beschlüsse als historischen Fehler.“ Die Leistungskürzungen bedeuteten unter anderem, dass die Betroffenen für drei Jahre keine volle Gesundheitsversorgung bekämen. „Dabei sind viele von ihnen traumatisiert.“ Auch die Bezahlkarten lehnt Pro Asyl ab. „Diese Einschränkungen machen Asylbewerber zu Bürgern zweiter Klasse.“

Auch von anderer Seite kam Kritik. Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sagte dieser Zeitung: „Der Migrationsgipfel ist nicht der große Wurf, den Deutschland in dieser Krise braucht.“ Throm forderte „eine echte Migrationswende“. Dazu müsse man deutlich mehr sichere Herkunftsländer bestimmen, etwa im Maghreb oder Indien. „Und wir müssen zügig dafür sorgen, dass Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden.“

Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, lobte die finanzielle Einigung von Bund und Ländern, gab allerdings im Gespräch mit dieser Redaktion auch zu bedenken: „Der Beschluss wirft verfassungsrechtliche Bedenken auf.“ Die angekündigten Leistungskürzungen seien „kontraproduktiv und unter Kindeswohlgesichtspunkten bedenklich.“ Dies müsse man im parlamentarischen Verfahren prüfen, so Polat.