Die Hilfsbereitschaft, sich ehrenamtlich für Flüchtlinge zu engagieren, hat nachgelassen. Das stellt auch den Freundeskreis in Degerloch vor eine große Herausforderung. Zumal sich die Anzahl der Flüchtlinge durch die neue Unterkunft in der Helene-Pleiderer-Straße verdoppeln soll.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Degerloch - Es gibt kaum ein Bild, das die „Wir- schaffen-das“-Parole der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage mehr bestätigt hat als die Auftaktveranstaltung der Flüchtlingshelfer Degerloch im Oktober 2015: „Es war unglaublich. 600 Besucher in der Michaelskirche, die sich für Flüchtlinge engagieren wollten“, sagt die Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold, die auch den Lenkungskreis des Freundeskreises Degerlocher Flüchtlinge leitet.

 

Heute, zehn Monate später, sieht die Situation deutlich anders aus. Noch sind etwa 50 bis 60 ehrenamtliche Helfer im Einsatz, die aktuell etwa 300 Flüchtlinge in der Containersiedlung auf der Waldau betreuen. Das funktioniere gut. Aber für die Betreuung der neuen Flüchtlingsunterkunft an der Helene-Pfleiderer-Straße, wo ab September fast noch mal so viele Flüchtlinge einziehen sollen, wird das nicht reichen.

Darum setzt Kunath-Scheffold alle Hebel in Bewegung, neue Ehrenamtliche zu rekrutieren. „Ich setze ein Rundschreiben auf, in dem ich um Unterstützung bitte“, sagt sie und nutzt dabei die Datenbank aller Degerlocher, die sich seit Gründung des dortigen Flüchtlingskreises für Freiwilligenaufgaben registriert haben – gut 300 Adressen.

Ehrenamt heute ist kurzlebiger

Dennoch ist Kunath-Scheffold realistisch, was die zu erwartende Resonanz angeht. „An der medialen Berichterstattung hat sich viel geändert“, sagt sie. „Zum einen ist das Thema nicht mehr so präsent wie noch im vergangenen Jahr.“ Und spätestens seit der Silvesternacht in Köln sei die Berichterstattung in der Flüchtlingsfrage deutlich kritischer geworden.

Außerdem macht sie die Beobachtung, dass Ehrenamt heute anders funktioniert, als es früher der Fall war. „Damals hat man sich noch lange Jahre um ein und dieselbe Sache gekümmert. Heute ist die Welt globalisierter, und vor allem jüngere Ehrenamtliche leisten Hilfe eher in Intervallen“, sagt Kunath-Scheffold. Ein Ansporn für sie, jetzt noch mal sehr offensiv für die Sache zu werben.

Anwohner gegen neues Flüchtlingsheim

Der Standort an der Helene-Pfleiderer-Straße war nicht unumstritten. Im Degerlocher Bezirksbeirat wurde das Thema heftig kritisiert. Anwohner machten gegen die Idee mobil und sprachen sich dafür aus, die Containerunterkunft auf der Waldau zu vergrößern.

„Ich habe überhaupt nichts gegen Flüchtlinge, 150 hätte unsere kleine Straße auch verkraftet, aber 250 sind wirklich zu viel“, sagt die Anwohnerin Doris Kümmel. Außerdem befürchtet sie, dass die Kinder in der Flüchtlingsunterkunft durch die Mountainbikefahrer der nahen Downhill-Strecke gefährdet werden. Ihre Sorgen hatte sie als Bürgervertretung im Bezirksbeirat geschildert. Aber die Bemühungen waren vergebens. Obwohl der Bezirksbeirat die Systembauten an der Helene-Pfleiderer-Straße nicht befürwortete, setzten der Verwaltungsausschuss und der Stuttgarter Gemeinderat das Vorhaben durch.

Gemeinderat übergeht Bezirksbeirat

Die Betreuung vor Ort wird aber nicht an den Stadträten, sondern an ehrenamtlichen Helfern hängenbleiben, wie Kunath-Scheffold weiß. Und die Erfahrung, dass es um das Ehrenamt in Flüchtlingsunterkünften schon besser stand, haben auch andere Hilfseinrichtungen in Stuttgart gemacht.

Der Arbeitskreis Asyl Stuttgart etwa, die älteste Institution ihrer Art im Kessel, betrachtet das Mammutprojekt Flüchtlingsintegration ohne Mittel aus öffentlicher Hand als kaum zu stemmen. Die Einrichtung unter evangelischer Trägerschaft hat in der Frühphase beim Aufbau der Freundeskreise in den einzelnen Stadtbezirken geholfen.

„Was die Ehrenamtlichen geleistet haben, ist so was wie erste Hilfe“, sagte der Diakoniedekan Klaus Kepplinger anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Arbeitskreises. Er will Politik und Behörden bei der Betreuung von Flüchtlingen stärker in die Pflicht nehmen.

Ob auch Degerlochs Bezirksvorsteherin Kunath-Scheffold das für einen gangbaren Weg hält? „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt sie. Und gibt dabei zu bedenken: „Ohne das Ehrenamt scheitert die Integration.“