Halbfertig und doppelt so teuer – der neue Hauptstadtflughafen lässt auf sich warten. Bis zur Eröffnung des Pannenbaus muss Tegel den Flugverkehr stemmen. Dabei ist dieser Airport längst am Limit. Ein Besuch.

Berlin - Die schweren, dunklen Rindsledersessel in der Lounge sind nagelneu. Den Kontrast zum struppigen orangefarbenen Kunstflokati davor hat sich wahrscheinlich ein Experte für Wohlfühlfarben ausgedacht. Die Kaffeemühle rattert, und aus der Kulisse strömt Easy-Listening-Sound. Wer ins Sitzmöbel sinkt, der soll entspannen und vergessen, dass er sich auf einem Flughafen befindet. Gerade, wenn es mal etwas länger dauert. Bis der Flieger abhebt. Bis die Rollbahn frei ist. Bis die Liebste ankommt. Nur eins stört bei diesem Vorhaben. Der Berliner Humor.

 

Der nämlich will es so, dass man praktisch von jedem Sitzplatz auf ein Plakat starren kann. Zu sehen ist ein Foto vom schwer angejahrten Flachbau des Airport Tegel in seinem leicht schlampigen 70er-Jahre-Braun. Der Spruch dazu: „Berlin ist, wenn man auch als Flughafen Durchhaltevermögen braucht.“

Das kann man lustig finden. Der Unternehmer Leonhard Müller jedenfalls hat hier am Flughafen Tegel die neuen Geschäftsräume seiner Uhrenmanufaktur Askania mit dem Plakat geschmückt – weil es so schön passt und weil sowieso alle Welt über das Flughafenchaos in der deutschen Hauptstadt redet. Eigentlich hätte Müller jetzt schon zwei neue Läden am Großflughafen BER. Aber der liegt halb fertig in der brandenburgischen Ödnis. Wer weiß, wie lange. Also hat der Unternehmer versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, und seine Geschäftsräume im alten Airport Tegel erweitert und zur Lounge aufgebrezelt. Bis auf Weiteres.

Es steht noch nicht einmal ein neuer Eröffnungstermin fest

Viermal ist die Eröffnung des neuen Großflughafens am anderen Ende der Stadt inzwischen verschoben worden, zuletzt Anfang des Jahres – diesmal ist es so schlimm, dass vorerst nicht einmal mehr darüber geredet wird, für wann denn ein neuer Eröffnungstermin ins Auge genommen werden könnte. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) musste einen Misstrauensantrag im Parlament überstehen, er hat seinen Vorsitz im Aufsichtsrat an den Brandenburger Kollegen Matthias Platzeck abgegeben und geht zumindest von einer Eröffnung „noch in der Legislaturperiode“ – also bis 2016 – aus. Die Flughafengesellschaft ist bis heute nicht in der Lage, einen neuen Geschäftsführer zu finden, der die Neigung verspürt, sich diese Katastrophenbaustelle ans Bein zu binden. Wie viel der Flughafen die Steuerzahler kosten wird, kann keiner sagen, die letzten Schätzungen lagen bei mindestens 4,3 Milliarden Euro, was mehr als doppelt so teuer wäre wie ursprünglich einmal kalkuliert.

Eins allerdings ist sicher: geflogen wird trotzdem – von und nach Berlin – und zwar mehr als je zuvor. Gerade eben hat die Flughafengesellschaft eine Rekordmeldung veröffentlicht, 25,3 Millionen Passagiere wurden 2012 an den beiden funktionierenden Hauptstadtflughäfen Tegel und Alt-Schönefeld gezählt, so viele wie nie zuvor. Die Hauptlast trägt der alte Tegeler Flughafen mit dem knapp 40 Jahre alten Gebäude, denn hier fliegen die großen Airlines. Die haben ihre Flugpläne pünktlich zur geplanten Eröffnung des Großflughafens BER erweitert – auch wenn der passende Airport dazu noch nicht in Betrieb ist.

So stieg die Zahl der Fluggäste in Tegel auf 18,2 Millionen, während der Betrieb in Schönefeld leicht zurückging. An Tagen wie dem 16. Januar dieses Jahres gab es 454 Flugbewegungen – nur zum Vergleich: 1960 waren es auf dem noch nicht ausgebauten Flughafen 5196 – im Jahr. In den 70er Jahren entstand der heutige Neubau – übrigens nach Plänen des Architektenbüros Gerkan Marg und Partner, das auch das Terminal des BER geplant hat. Tegel war damals, 1974, für sechs Millionen Passagiere ausgelegt. Dreimal so viele sind es jetzt. Der Flughafen ist längst jenseits der Belastungsgrenze. Und weniger wird’s nicht.

Gedränge auf den Straßen vor dem Airport

Wie geht das? Wer sich montagmorgens dem Flughafen nähert, der hat schon damit so seine Probleme. Eine nicht enden wollende Schlange von Taxen staut sich auf die Abflugterminals zu, vor allem in Richtung des Terminals C, eines Containers, der sowieso nur auf Zeit gebaut war. „Die Vorfahrtsituation ist eine Katastrophe“, sagt selbst der Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Christian Gaebler (SPD). Die Verkehrsbehörde ist inzwischen dazu übergegangen, bei Gedränge die Ampelschaltung zu ändern, es gibt eine neue Überquerung für den Taxistreifen. Drinnen im Gebäude herrscht oft furchtbares Geschiebe.

Aber es ist nicht vor allem die Enge, die Probleme macht. Weil eigentlich schon für 2011 mit der Schließung des Airports gerechnet worden war, ist natürlich nicht mehr investiert worden. Nach der neuesten Verschiebung der Flughafeneröffnung reden die Verantwortlichen der Fluglinien Klartext. In Tegel müssten Millionen investiert werden, um den Flughafen für den Weiterbetrieb zu ertüchtigen, heißt es von der Lufthansa.

Bis zu einer Stunde Wartezeit aufs Gepäck

Sorgen bereitet den Airlines die Gepäckförderanlage, sie sei alt, überlastet und oft defekt. Allein im vergangenen Jahr fiel sie nach Angaben einer Sprecherin hundertmal aus. Manche Fluggäste warteten mehr als eine Stunde auf ihr Gepäck – so lange seien die Maschinen nicht einmal in der Luft. Ein Insider moniert, der Flughafen sei nicht darauf eingestellt, die Pannen so schnell wie möglich zu beheben. Es fehle eine technische Task-Force.

Die Liste der Pannen ist lang: klemmende Fluggastbrücken, überalterte Fluggasttreppen, eine störanfällige Software, die das Boarding nicht selten verzögert. Dazu Sanierungsbedarf auf dem Rollfeld und bei der veralteten Befeuerung auf der Startbahn. Auch die sanitären Anlagen müssten dringend erneuert und verbessert werden.

Brandschutz und Rettungswege auf dem Prüfstand

Vergangene Woche traf sich zum ersten Mal ein Koordinierungsausschuss mit Vertretern aller Beteiligten, um festzulegen, was nun in Tegel investiert werden muss. „Es ist inzwischen unstrittig, dass etwas geschehen muss. Man wird Geld in die Hand nehmen und auch in personeller Hinsicht aufstocken“, sagt der Flughafensprecher Lars Wagner. Von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und den Passagieren ein Mindestmaß an Service bieten zu können. Zehn Arbeitsgruppen sollen bis Ende des Monats Vorschläge machen, was dringend erledigt werden muss. Aus Sicht von Staatssekretär Gaebler müssen auch der Brandschutz und die Rettungswege neu überprüft werden. Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft will kommende Woche zu dem Thema tagen. Das klingt katastrophal, aber der Betrieb im Flughafen läuft trotzdem relativ reibungslos. Das internationale Ansehen der Stadt leide nicht, so lange alles funktioniere, sagt der Geschäftsführer der Berliner Tourismuszentrale, Burkhard Kieker.

„Ach, wat soll’s – irgendwie klappt det immer“, sagt eine Dame von der Gepäckabwicklung mit leichtem Berliner Trümmerfrauenblick. Und irgendwie scheinen die meisten Fluggäste ähnlich zu denken. „Die Leute lieben den Flughafen“, sagt die Verkäuferin in einem kleinen Souvenirladen. „Die schimpfen zwar über die Wartezeit am Gepäck, aber das ist auch alles. Sie sind schnell in der Stadt und schnell am Gate, das zählt.“ Sie verkauft Postkarten in ihrem Laden. „I love TXL“ steht drauf.

Der Flughafen der kurzen Wege

Horst Riedel, Geschäftsreisender aus Frankfurt, steht an diesem Morgen in der Halle A. Er hat nur Handgepäck, seine Bordkarte steckt elektronisch in seinem Handy. „Von mir aus muss BER nie eröffnen“, sagt er. „In 20 Minuten bin ich mit dem Taxi vom Hotel hier. Und vom Taxi zum Gate sind es 30 Meter.“

Auch Fabrizio Maccarone sieht das ähnlich. Er arbeitet seit Herbst für Askania, eigentlich ist er extra für den Uhrenladen am neuen Großflughafen eingestellt worden. „Jetzt bin ich hier in der neuen Lounge und es könnte von mir aus so bleiben“, sagt er. „Klar, es ist eng, der Flughafenbus morgens ist proppenvoll, und weil das Rollfeld überlastet ist, gibt es auch mehr Verspätungen. Aber für uns ist das gut“, sagt er und grinst. „Dann kommen Gäste in die Lounge und bringen ein bisschen Zeit mit.“ Um seinen Hals hängt der Sicherheitsausweis des BER. Er wird ihn vorerst nicht brauchen.