Der neue Großflughafen der Hauptstadt wird zum politischen Albtraum: Für Klaus Wowereit könnte es nun enger werden denn je. Denn den Sozialdemokraten gelingt es nicht, die Krise zu managen.

Berlin - Der 18. Dezember war kein guter Tag für Klaus Wowereit. Das Stadtmagazin Tip veröffentlichte an diesem Tag wie immer zum Jahresende seine Liste der 100 peinlichsten Berliner. Die Tradition ist gefürchtet. Wer will schon in einer Reihe mit dem Nacktmodell Micaela Schäfer stehen? Auf dem ersten Platz landete, zum ersten Mal, der einst so beliebte Regierende Bürgermeister. Wowereit ist einer, der einstecken kann, den Kritik nicht klein macht, sondern angriffslustig, und diese kleine Ehrung hat er vermutlich einfach von seiner Seele gewischt wie andere Leute die Schuppen vom Revers ihres Anzugs. Andere Dinge aber, die sich an jenem 18. Dezember abgespielt haben sollen, könnten jetzt das Schicksal des dienstältesten deutschen Ministerpräsidenten besiegeln.

 

An diesem Tag soll sich, so die Behauptung – zum vierten Mal – der Daumen über den Großflughafen der Hauptstadt gesenkt haben. Bei einem Treffen von Beteiligten, so berichtet es die „Bild“-Zeitung am Sonntagabend, soll die für den 27. Oktober geplante Eröffnung geplatzt sein: zu viele Probleme mit der Brandschutzanlage, neuer Termin nicht in Sicht. Wenn das so stimmte, dann hätte der Regierungschef, der Aufsichtsratschef des Flughafens ist, seine Stadt über Wochen im Unklaren gelassen. Mehr noch, er hätte die Menschen belogen. Hätte eine Neujahrsansprache gehalten, in der er sagte, dass alle Kräfte gebündelt werden müssten, um den Termin zu halten. Wäre danach in den Weihnachtsurlaub abgerauscht. Guten Rutsch, bis nächstes Jahr. Ist so viel Wurschtigkeit denkbar? Hat Klaus Wowereit seinen sicheren politischen Instinkt verloren? Oder die Lust? Oder stimmt der Vorwurf nicht? Am Tag Eins im politischen Arbeitsjahr werden zwei Dinge sehr schnell klar: Erstens wird vom Flughafen in diesem Jahr kein Flugzeug mehr abheben, vielleicht nicht einmal im nächsten. Und zweitens scheinen die Verantwortlichen über diese nicht unerhebliche Information hinaus erst einmal kein Interesse daran zu haben, aufzuklären. Dabei hätte man schon Fragen: Was ist am 18. Dezember genau passiert? Wenn nicht an diesem Tag, wann in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist dann wer genau zu dem Schluss gekommen, dass der Flughafen nicht eröffnet wird? Und wann gedachten die Verantwortlichen, dies der Öffentlichkeit mitzuteilen, die das zu 100 Prozent in staatlichen Händen liegende Projekt bezahlt? Was heißt die Verschiebung für das wichtigste Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands, was bedeutet das für den Steuerzahler, die Wirtschaft, die Stadt?

Wie sieht das Weitermachen aus?

Und dann noch, zum Schluss: wird denn irgendwann einmal einer der politisch Verantwortlichen anders reagieren als mit der Versicherung, dass dies alles ärgerlich, aber leider nicht zu ändern sei? Für Klaus Wowereit, so viel ist am Morgen zu spüren, könnte es enger werden denn je. Auch wenn Aufsichtsratschefs keine Wunder vollbringen können, so bleibt doch ein Eindruck: es gelingt dem Sozialdemokraten nicht, die Krise zu managen. Und es gelingt ihm nicht, den Anschein von Gleichgültigkeit zu zerstreuen. Die Opposition zürnt und fordert eine Sondersitzung des Parlaments diese Woche. Die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop fordert den Rücktritt Wowereits und kündigt einen Misstrauensantrag an. Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, twittert: „Das war’s, Klaus.“ Auch der Koalitionspartner CDU ist nicht amüsiert: Von „Desinformationspolitik“ spricht Vizeregierungschef Frank Henkel. Sein Ärger, so hört man, richte sich aber auch gegen Wowereit, der ihn nicht informiert hat. An einem wackelnden Bürgermeister, an Neuwahlen, hat die CDU wenig Interesse – ihr Verbleib in der Regierung wäre ungewiss. Am gefährlichsten könnten Wowereit die eigenen Leute werden – auch von dort wird „erheblicher Gesprächsbedarf“ signalisiert. Für den Abend ist ein Spitzentreffen geplant. Wowereit, heißt es, wolle durchhalten – wenn er die Unterstützung seiner Partei habe.

Bloß wie sieht das Weitermachen aus? „Wir haben im Moment keinen Plan“, sagt einer aus dem Rathaus. Die Herren Protagonisten verschanzen sich zunächst hinter Bürotüren, Sekretariaten, Sprechern. Die Flughafengesellschaft schweigt einfach. Am Nachmittag tritt dann Wowereit vor die Presse – nach einem Treffen mit den zwei anderen Gesellschaftern, also Matthias Platzeck und einem Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums. Er wirkt nicht angeschlagen, lächelt in die Kameras. Und verkündet zwei Manöver zur politischen Rettung der eigenen Person: Er will den Aufsichtsratsvorsitz an Platzeck abgeben, die Last verteilen. Und er erwartet, dass das Gremium den umstrittenen Geschäftsführer Rainer Schwarz schasst. Ein Bauernopfer. Platzeck wiederum verkündet am Abend, dass er die Vertrauensfrage stellen will – ein jeder scheint auf der Suche nachgrößtmöglicher politischer Rückendeckung. Eins ist Wowereit wichtig: das mit dem 18. Dezember sei eine Falschmeldung. Der Flughafen habe dem Aufsichtsrat erst am Freitag – am 4. Januar – mitgeteilt, dass der Termin platze. Und zum Schluss: es sei sicher, dass der Flughafen fertiggestellt werde. Das klingt aus Sicht aller, die ihren Menschenverstand bemühen, unbegreiflich: Stand die Fertigstellung in Frage? Wer ist „der Flughafen“, wenn nicht die Besitzer, Berlin, Brandenburg, der Bund? Wieso sagt der eine dem andern irgendwann in einer Notiz Bescheid, dass alles in die Binsen geht?

Um das Debakel etwas besser zu verstehen, muss man sich vielleicht Horst Amann ein bisschen genauer anschauen. Amann ist ein kleiner Herr mit Seehundschnauzer, hessischem Dialekt und einer Art zu formulieren, die nahelegt, dass hinter den Worten sehr stabile Nervenstränge liegen. Der 59-jährige Bauleiter hat Bahnstrecken, Landebahnen und Terminals gebaut, zuletzt arbeitet er bei Fraport in Frankfurt. Im August hat er dort gekündigt, um das zu machen, was keiner wollte: den Flughafen der Hauptstadt zu retten. Da saß er dann, lächelnd und knallhart auf einem Podium und erklärte der staunenden Öffentlichkeit, es fehlten Pläne, es sei ein bisschen chaotisch. Ein paar Wochen später legte er sich fest: 27. Oktober 2013. Alles abgestimmt. Aber seit dem Tag, an dem er den neuen Eröffnungstermin genannt hat, gibt es Gerüchte, dass dieser niemals zu halten sei. Und es gibt seitdem auch keinen einzigen Verantwortlichen mehr, der versprochen hat, dass der 27. Oktober sicher stehe. Kurz vor Weihnachten hatte der Bundesverkehrsminister den Termin öffentlich bezweifelt. Und Wowereit sprach davon, dass es keine Garantien für den Zeitplan gebe. Man kann Herrn Amann in einem Fernsehbericht über jenes Treffen am 18. Dezember begegnen, den die Moderatorin in ihrem Aufsager damals „einen dieser Tage der Wahrheit“ nennt. Es geht – mal wieder – um die Brandschutzanlage, die Probleme macht und an der die Eröffnung gescheitert war.

Der Laie wundert sich

Man erinnert sich: weil nichts klappte, sollten Menschen im Brandfall die Entrauchungsklappen oder Türen mit bloßen Händen öffnen und schließen. Man sieht in dem Filmbeitrag den Staatssekretär im Verkehrsministerium, Rainer Bomba, dazu Manager von Bosch und Siemens. Die eine Firma liefert die Brandmeldeanlagen und Sprinkler, die andere die Software für die ganze Anlage. Die Frage: Wird das eine zusammen mit dem anderen funktionieren?

Als Laie wundert man sich über all das sehr. Man wundert sich, weil es schon mehr Flughäfen auf der Welt gebaut wurden, und auch die einen Brandschutz haben werden. Man wundert sich, weil der Berliner Flughafen keine Sagrada Familia ist, sondern einfach ein flacher Quader. Man wundert sich, dass solche Fragen nicht schon ewig beantwortet sind, sondern jetzt gestellt werden, Jahre nach der ersten geplanten Eröffnung. Und man wundert sich, dass im Land der Ingenieure, nach dem Vorlauf, keine Antwort möglich scheint.

Und dann sieht man in dem Bericht Herrn Amann, denselben Herrn, der ein paar Monate zuvor noch an sein Rechenmodell geglaubt hat, als könne nichts oder wenigstens fast nichts daran rütteln. Er sieht ein bisschen angegriffen aus. Er spricht von Tests mit den Klappen, von Matrizen, die neu geschrieben werden müssten, vom Nachsteuern und ganz zum Schluss von einem Restrisiko.