Rund um den Frankfurter Flughafen wächst der Widerstand gegen den Fluglärm. Viele Bürger fühlen sich von der Politik getäuscht.

Frankfurt a. M. - Das Schlesische Viertel ist der Killesberg von Mainz. Dort wohnen - wie in dem Stuttgarter Viertel - die besseren Stände, Akademiker, Universitätsangehörige. Die ältesten Einfamilienhäuser aus den 30er Jahren sind in großzügigen Grundstücken noch verhältnismäßig klein, die späteren größer. Bis Ende Oktober 2011 war es hier sehr, sehr ruhig. Im Schlesischen Viertel werden trotz der neuesten Entwicklung noch die zweithöchsten Immobilienpreise der Stadt gezahlt.

 

Zwischen den alten Gebäuden stehen inzwischen Designerhäuser oder -anbauten - so wie bei Jochen Schraut. Er ist Architekt und hat hinter der voll verglasten Fassade auch sein Büro. Aber Jochen Schraut hat keine reine Freude mehr an seinem Schmuckstück. Er ist am 21. Oktober "aus dem Bett gefallen", als das erste Flugzeug über sein Grundstück hinweg die neue Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens angesteuert hat: "Wir wussten nicht, was kommt."

Protestzug durch den "First Class Check-In"

Danach hat Schraut mit anderen die "Initiative gegen Fluglärm Mainz Oberstadt" gegründet. Sie hat heute mehr als 1500 Mitglieder. Und das ist nur eine von rund 70 Initiativen, die sich zum Bündnis gegen den Flughafenausbau zusammengeschlossen haben. Am Montag haben sie wieder einmal, wie jeden Montag, im Frankfurter Flughafen protestiert. Tausende sind gekommen, 2400 nach Angaben der Polizei, mehr als 4000 nach Schätzungen der Veranstalter.

Da wird es eng und laut in der sonst so weitläufigen Abflughalle B des Terminal 1. Und der Protestzug auch durch den "First Class Check-In" der Lufthansa dauert lange. Die Veranstaltung verläuft, wie stets, friedlich. Dass dort überhaupt demonstriert werden darf, verdanken sie dem Bundesverfassungsgericht. Bis zum vergangenen Jahr glaubte der Flughafen irrtümlich, dort das uneingeschränkte Hausrecht zu haben. Jetzt sei, sagt Ingrid Kopp, die Pressesprecherin des Bündnisses, die Zusammenarbeit mit der Polizei problemlos.

Die Veranstalter verkünden immer zu Beginn die Auflage des Ordnungsamtes, keine Vuvuzelas oder andere Lärminstrumente zu nutzen. Das ist ihre Pflicht. Und die Masse antwortet mit einem lauten Konzert aus Trillerpfeifen, Trommeln und selbstgebauten Instrumenten. Die Verantwortlichen des "Fraport", die sich ganz im Hintergrund halten, und die Politiker, die gar nicht da sind, würden das alles wohl dennoch als eine etwas lästige Form der Brauchtumspflege abbuchen, würden sich hier nur die üblichen Verdächtigen versammeln.

Die Frankfurter Wutbürger

Unter den Demonstranten sind aber auffällig viele elegant gekleidete Teilnehmer, denen man ansieht, dass zu ihren frühzeitig eingeübten Sozialkompetenzen nicht das Anfertigen von Protestplakaten, die Nutzung von Trillerpfeifen und das Skandieren schlichter Parolen zählte: "Fraport weg". Viele Rechtsanwälte, Ärzte, Selbstständige sind mit dabei. Hier tragen sie umgestülpte Eimerchen auf dem Kopf und halten Transparente, auf denen der Fluglärm meist mit "Terror" oder der "Hölle" gleichgesetzt wird.

Es sind einzelne einfallsreiche Plakate darunter, beispielsweise eine gelungene Imitation von Munchs "Schrei", und einzelne unsägliche, beispielsweise eine Analogie des "Tiefflugterrors" mit "Kinderschändung". Es gibt ein neues Schlagwort für diese Demonstranten: "Wutbürger". Diese Wutbürger beispielsweise aus dem Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen haben bisher der CDU in Hessen zu ihrer Mehrheit verholfen.

Heute halten sie alle Politiker für Verräter. Nur deshalb sind Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und seine Mannen so nervös und in der Fluglärmfrage beweglich geworden. Im März steht die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt an. Rund um Frankfurt geht es nicht um den Juchtenkäfer, sondern um Lärm, der, wenn sie nicht wegziehen, überschlägig 800.000 Menschen tendenziell bis zu ihrem Lebensende stören wird. Wobei alles im Leben relativ ist.

"Die Grenzen des Wachstums sind längst erreicht"

Lärmterror durch den Autoverkehr herrscht beispielsweise in der extrem belasteten Hohenheimer Straße in Stuttgart. Von solchen Bedingungen ist die Situation im Schlesischen Viertel weit entfernt, das 17 Kilometer von der neuen Landebahn weg und damit am Rande des Problems liegt. Dort stören die Flugzeuge, vor allem im Freien, während eines Drittel des Jahres, weil nur bei Ostwind über Mainz angeflogen wird.

Bei Ostwind herrscht freilich auch meist das beste Wetter. Im Gebäude ist der spannendste Augenblick um 11 Uhr abends. Dann hört das Grundrauschen des in der letzten Stunde besonders starken Flugbetriebs schlagartig auf. Ist kein anderes Störgeräusch vorhanden, wirkt die plötzliche Stille schreiend. In diesem Augenblick begreift man, was vorher war. In Gemeinden, die besonders nah am Flughafen liegen, beispielsweise in Flörsheim, ist die Belastung erheblich höher. Nach Einschätzung von Ärzten kann der Lärm gesundheitsgefährlich werden, insbesondere den Bluthochdruck verstärken.

Das Nachtflugverbot reicht nicht

Ein Lastwagen verursacht bis zu 90 Dezibel. Ab einer Dauerbelastung von mehr als 60 Dezibel gibt der Flughafen in den am stärksten vom Lärm betroffenen Gemeinden einen - gestaffelten - Zuschuss zum Einbau von Lärmschutzfenstern. Im Freien hilft das nicht. Und der Immobilienbesitzer muss sich verpflichten, künftig auch bei wachsenden Belastungen nicht mehr zu klagen. Ingrid Kopp ist stolz darauf, dass es gelungen ist, die Interessen aller Betroffenen zu bündeln, die, die schon lange in den Bürgerinitiativen aktiv sind, und die, die erst aufwachten, als die Landebahn eröffnet worden ist, die, die den Lärm fürchten und die, die sich um den Wert ihrer Immobilie sorgen.

Die Initiativen haben versprochen, sich nicht gegeneinander ausspielen und sich nicht mit einer Verlegung der Flugrouten abspeisen zu lassen. Das vom Gericht angeordnete Nachtflugverbot reicht ihnen längst nicht mehr. Und die verbesserten Anflugrouten, die steileren Anflugwinkel, an denen Fraport bastelt, auch nicht. Es geht ihnen um eine Obergrenze der Flugbewegungen insgesamt. Gefordert wird inzwischen auch die Schließung der neuen Landebahn. Die Initiativen sind in diesen Wochen Getriebene ihres eigenen Erfolges.

Aber die Aktivisten wissen natürlich, dass den Menschen, die 500 Meter rechts oder links vom Lärm wohnen, das ganze Thema ziemlich gleichgültig ist, auch die Natur und der "Himmel, der nicht Fraport gehört" - so wie es vielen einst gleichgültig war, die jetzt rebellieren, bevor es bei ihnen laut geworden ist. Deshalb ist ein Bürgerentscheid auch kein Thema.

Frachtverkehr kann nicht auf den Tag verlegt werden

Für die nicht Betroffenen gilt "Fraport" vor allem als Jobmotor - für die Flughafenbetreiber auch. Und er ist es. Die Zahl der Menschen, die dort arbeiten, soll in den kommenden Jahren von 70.000 auf 100.000 anwachsen. Die Zahl der Flugzeuge, die starten und landen, soll sich von 464.000 auf 700.000 bis 2025 erhöhen, die Zahl der Fluggäste von 53 Millionen auf 88 Millionen. Die Demonstranten halten dagegen: "Die Grenzen des Wachstums sind längst erreicht."

Mit einer dauerhaften Festschreibung des Nachtflugverbots rechnen inzwischen viele. Es würde vor allem den Frachtflugverkehr treffen. Die Experten rechnen vor, dass der Frachtverkehr "just in time" nicht auf den Tag verlagert werden kann, weil dann in einem harten Wettbewerb die Konkurrenz in Paris, Amsterdam und London schneller sein wird. Vor allem für die Lufthansa gilt Frankfurt als unverzichtbare Drehscheibe.

Weil 50 Prozent der Fracht in Passagiermaschinen transportiert und in Frankfurt mit seinen vielen Destinationen umgeladen wird, sei auch ein Ausweichen auf andere Flughäfen nicht möglich. Das gehe auf Kosten der Arbeitsplätze. Noch hat der Flugzeuglärm - wegen der Konjunkturdelle - im Vergleich zu 2007 gar nicht zugenommen. Er wurde durch die neue Landebahn nur breiter verteilt. Einzelne Gemeinden wurden sogar ein bisschen entlastet. Aber das wird sich in den kommenden Jahren ändern.

Der Wortbruch

Mediation Dem Bau der Landebahn Nord ging ein aufwendiges Mediationsverfahren voraus, an dem sich auch einige der Bürgerinitiativen beteiligten. Entscheidendes Ergebnis vor zehn Jahren war die Empfehlung eines Nachtflugverbotes in der Zeit zwischen 23 Uhr und 5 Uhr.

Versprechen Die hessische Landesregierung machte sich diese Empfehlung zu eigen. Später fühlte sich die Regierung unter Roland Koch (CDU) nicht mehr an diesen Lärmausgleichsbeschluss gebunden und schrieb 17 (statt früher bis zu 50) Nachtflüge in die Planfeststellung hinein.

Urteil Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat im vergangenen Jahr wenige Tage vor Eröffnung der Landebahn zunächst das Nachtflugverbot überraschend wieder angeordnet. Abschließend entscheidet im März das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über diese Frage.