Die Strecke in Spa ist die gefährlichste im Formel-1-Kalender. Das hohe Tempo und die Mutkurve Eau Rouge verlangen den Piloten alles ab.

Auch Rennfahrer müssen übers Wetter reden. Besonders, wenn es in die Ardennen geht. Die Strecke in Spa-Francorchamps ist eine der letzten, die von der Natur gestaltet wurde. Die Rennfahrer lieben den 7,004 Kilometer langen Berg- und Talkurs. Manche hassen ihn auch. Praktisch alle fürchten ihn. Beim Großen Preis von Belgien am Sonntag (15 Uhr) fährt die Angst mit, erst Ende Juni war ein 18-Jähriger in einer Nachwuchsformel ums Leben gekommen. Plötzlich sind Regenrennen, die – wenn alles gut gelaufen ist – als Action-Drama gefeiert werden, wieder mit dem Schatten des Todes behaftet. Eine Mahnung, dass Rennfahren immer ein Leben am Limit ist, aber auch eine Warnung an Veranstalter und Rennleitung, das Schicksal nicht herauszufordern. Es mag wie ein plumper Schüttelreim klingen, aber Spa bedeutet Gefahr.

 

Die Bellof-Tragödie

Auf kaum einer anderen Rennstrecke gab es so viele Todesopfer in offiziellen Rennen zu beklagen, 49 seit 1925, darunter auch das deutsche Jahrhunderttalent Stefan Bellof. Dazu vier Streckenposten. Aus der Senke von Eau Rouge, immer wieder umgebaut und angeblich entschärft, geht die Ideallinie steil nach oben in die Hochgeschwindigkeitspassagen von Raidillon und Kemmel. Die Digitalanzeige im Cockpit schnellt bei der lang gezogenen Links-Rechts-Links-Kombination locker auf 300 Kilometer pro Stunde – und das bei einer blinden Ecke! Ein Temporausch, der höchste Konzentration und Beherrschung fordert.

Wenn sich Wolkenbrüche entladen, so wie sie auch für das letzte Wochenende vor der Sommerpause wieder angekündigt sind, sind solche Passagen praktisch unbezwingbar, es wäre unverantwortlich, dort zu fahren. Nachwuchspilot Dilano van’t Hoff wurde Opfer einer fatalen Unfallkette, 2019 hatte es an der gleichen Stelle den französischen Formel-2-Piloten Anthoine Hubert erwischt. Die alte Fahrerlagerweisheit, dass sich in Spa die Buben von den Männern scheiden, klingt dann nicht mehr cool, nur noch hohl.

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden nach Huberts Unfall im Trockenen erhöht – aber was ist am Limit schon sicher? Auch in der Königsklasse gab es mit Jules Bianchi 2014 den letzten Toten nur, weil damals in Suzuka ein Rennen unbedingt zu Ende gebracht werden sollte, das wegen der Wassermassen und Sichtverhältnisse abgebrochen oder überhaupt nicht gestartet gehört hätte. Formel-1-Senior Fernando Alonso nimmt den Tod von Spa als generelle Warnung auf: „Das große Problem bei Regenrennen ist die Sicht. Auf bestimmten Strecken ist es unmöglich zu erkennen, ob sich ein Hindernis auf der Straße befindet. Wir fordern damit das Schicksal heraus.“ Daher antizipiert der Spanier indirekt ein Verbot von Regenrennen, er warnt eindrücklich: „Wir können es uns nicht leisten, dass sich ein derartiger Unfall wiederholt.“ Und der Kanadier Lance Stroll reist wetterunabhängig mit keinem guten Gefühl an: „Wir setzen in Spa jedes Mal unser Leben aufs Spiel. Wenn es so bleibt, ist es ein Spiel mit dem Feuer.“

Von Temposucht bestimmt

Piloten können aber vielleicht gar nicht anders. Während alle Welt zu entschleunigen versucht, ist die Formel 1 in ihrer Temposucht ein willkommener Gegenentwurf. Vielleicht auch die rasende analoge Entsprechung der Digitalität. Ohne einen Begrenzer, der verrät, was die Jagd nach der Bestzeit mit einem macht, und wann die Geschwindigkeit zum gefährlichen Rausch wird.

Der zweifache Weltmeister Emerson Fittipaldi hat über die richtige Balance gesagt: „Die Kunst des Rennfahrers ist es, so langsam wie möglich der Schnellste zu sein.“ Sein Champion-Kollege Mario Andretti setzt noch eins drauf, in dem er der Ungewissheit und den Umständen indirekt Mitverantwortung gibt: „Wenn alles unter Kontrolle scheint, bist du einfach nicht schnell genug.“ Lewis Hamilton hingegen gab nach einem Trainingsunfall in Spa zu: „Wenn jemand auch nur eine Sekunde lang denkt, dass das, was wir tun, sicher ist, dann irrt er sich gewaltig.“

Zwiespalt zwischen Vernunft und Risiko

Auch der Realo Alonso spürt den Zwiespalt zwischen Vernunft und Risiko, wenn er über den anstehenden Grand Prix spricht: „Eine Runde in Spa ist wie 20 Runden auf einem anderen Kurs, was den Spaß und die Adrenalinausschüttung angeht.“ Die aktuellen Ground-Effect-Rennwagen erreichen im Bereich um Eau Rouge wieder jenes Spitzentempo, das mit Streckenumbauten verringert werden sollte. Aber es gibt auch noch andere Mutproben wie die Bergab-Passage Pouhon, die Rennwagen erreichen dort Tempo 270. Die Veranstalter tun alles, um einerseits den Zauber der Piste zu erhalten, andererseits aber die größtmögliche Sicherheit zu gewähren. Das Problem ist weniger die Strecke, es sind die fehlenden Auslaufzonen, havarierte Autos werden oft wieder auf die Piste zurückgeschleudert.

Der Status des Klassikers wackelt, seit anderswo mehr Geld bezahlt wird, um auf Retortenpisten oder in Städten zu fahren. Sollte es wie geplant einen WM-Lauf in Südafrika geben, ist Spa der erste Streichkandidat.