Vor dem Rennen in Sotschi lässt der schreckliche Unfall von Jules Bianchi die Fahrer nicht los. Die Verantwortlichen in der Formel 1 sind derweil mit der Aufarbeitung des Unglücks beschäftigt. Beim Weltverband Fia wird auch über ein Tempolimit nachgedacht.

Sotschi - Der Unfall von Jules Bianchi in Suzuka ist auch eine Woche danach in Sotschi allgegenwärtig. Für die heutige Fahrergeneration ist es das erste Mal, dass einer ihrer Kollegen über einen so langen Zeitraum in Lebensgefahr schwebt. Sie haben nicht mehr die Soldaten-Mentalität ihrer Vorgänger aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Damals waren schwere Unfälle ein ständiger Begleiter. Schlug das Schicksal wieder einmal zu, haben sich die Fahrer damit abzulenken versucht, dass man sofort wieder in sein Rennauto gestiegen ist. So, als wollte man dem Tod ein Schnippchen schlagen und ihm erklären: Mich erwischst du nicht.

 

Jetzt hätten die Fahrer am liebsten das Rennen in Russland ausgelassen, um mit der Verarbeitung der Geschehnisse von Suzuka allein zu sein. Bei ihrem ersten Auftritt in Russland stolperten sie auf Schritt und Tritt über die unvermeidliche Frage nach Bianchis unglücklichem Zusammenstoß mit dem Kran. Adrian Sutil war als Augenzeuge des Unfall besonders gefordert: „Es liegt eine dunkle Wolke über uns.“ Einem TV-Sender gegenüber verriet er: „Ich träume nachts von den Bildern, die ich sah.“ Der Sauber-Pilot hofft: „Vielleicht hilft uns das Rennen hier, um auf andere Gedanken zu kommen.“ Das Marussia-Team schickt aus Rücksicht auf seinen schwer verletzten Fahrer nur ein Auto und Max Chilton ins Rennen. Das andere Chassis stand rennfertig vorbereitet mit Bianchis Startnummer in der Boxengarage.

„Es ist emotional ein schwieriges Wochenende“

Seit Imola 1994 ist die Formel 1 gewissermaßen jugendfrei. Es gab viele schwere Unfälle, doch die Fahrer blieben am Leben. Zum ersten Mal nach 20 Jahren bangt der Zirkus nun wieder um eines seiner Mitglieder. „Das Schlimmste ist das Warten auf Nachrichten über Jules“, gibt Williams-Pilot Valtteri Bottas zu. Fernando Alonso sagt: „Es ist emotional ein schwieriges Wochenende. Unsere Gedanken sind bei Jules. Wir werden dieses Wochenende für ihn fahren, und wir werden für ihn beten.“

Die Verantwortlichen des schnellen Geschäfts waren mit der Aufarbeitung des Unfalls beschäftigt. Wer hat schuld? Hätte man etwas besser machen können? Wie kann man in Zukunft Unfälle dieser Art verhindern? Ist das überhaupt möglich? Sebastian Vettel glaubt, dass es immer ein Restrisiko geben wird. „Es gibt keine Pauschallösung, die uns absolute Sicherheit gibt. Bei Bianchi kamen unglücklichste Umstände zusammen.“ Die meisten Fahrer waren sich auch einig, keine überhasteten Lösungen zu suchen. Nur wenige forderten wie Sergio Perez den automatischen Einsatz eines Safety-Cars, sobald ein Bergefahrzeug vor den Absperrungen im Einsatz ist: „Die gelbe Flagge genügt in so einem Fall nicht. Es kann ja auch sein, dass ein Fahrer just in dem Moment einen Bremsdefekt hat und deshalb abfliegt.“

Der Weltverband Fia plant ein Tempolimit

Nach fünf Tagen Informationsstopp entschloss sich der Fia-Präsident Jean Todt dann doch, den Unfallfilm zu zeigen. Auf ihm ist zu sehen, dass Bianchi die nasse Spur auf der Außenseite der Kurve trifft, sich querstellt, kurz korrigiert und dann schnurstracks auf seine unheilvolle Bahn Richtung Bergefahrzeug abbiegt. Die gelben Flaggen in diesem Bereich sind ebenfalls deutlich zu erkennen. Die Daten über die Geschwindigkeit bleiben geheim. „Einige Fahrer haben mehr Speed herausgenommen, andere weniger“, sagte der Fia-Rennleiter Charlie Whiting. Das lässt darauf schließen, dass Bianchi zu denen zählte, die an dieser Stelle vielleicht zu viel riskiert haben. Präsident Todt sendet nun den Unfallbericht von Whiting an die Sicherheitskommission der Fia, verbunden mit der Forderung: „Wir werden aus diesem Unfall lernen. Er darf sich nie wieder wiederholen.“ Die Fia plant ein Tempolimit in entsprechenden Gefahrensituationen und -bereichen.

Ein Zuschauervideo von Bianchis Unfall warf neue Fragen auf und heizte die Spekulationen über die Unfallumstände weiter an. Eine grüne Flagge, die klar hinter dem Unfallort gezeigt wurde, brachte erneut die Rennleitung in Bedrängnis. Dabei musste jedem, der ein bisschen vom Motorsport versteht und der die Verhältnisse in Suzuka kennt, klar sein, dass Bianchi die Flagge zum Zeitpunkt des Unfalls noch gar nicht sehen konnte, und dass sie selbst wenn er sie gesehen hätte ohne Relevanz für ihn war. Er hätte erst an dieser Stelle wieder Gas geben dürfen, nicht vorher.

Hilft ein Dach oder ein Käfig über dem Cockpit?

Wie immer, wenn es zu schweren Kopfverletzungen kommt, werden die Forderungen nach einem Dach oder einem Käfig über dem Cockpit laut. Massa ist skeptisch: „Ein Dach hätte in meinem Fall 2009 in Budapest geholfen, weil es die Feder abgelenkt hätte, die mir auf den Kopf geflogen ist. Bei Jules bin ich mir da nicht so sicher.“ Ein Ingenieur warnt sogar: „Wenn an Bianchis Marussia der hintere Überrollbügel abreißt, wäre auch ein Käfig vor seinem Gesicht abgebrochen. Gegen solche Kräfte kannst du dich nicht wehren. Im Fall eines Käfigs hätte er die Trümmerteile auf den Kopf bekommen.“ Alonso gibt jedoch zu bedenken: „Alle schweren Unfälle der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Kopf dem größten Risiko ausgesetzt ist. Ich hätte in Spa 2012 in der ersten Kurve sterben können. Es ging um zehn Zentimeter hin oder her, dass mich das Auto getroffen hätte. Wenn es eine Technologie gibt, die uns noch besser schützt, sollte man sie wenigstens testen.“