Sie ist eine Vorkämpferin der Emanzipation, eine profilierte Wissenschaftlerin und Laientheologin und stammt aus Ellwangen. Er forscht über sie – und sucht nach Fotos und Dokumenten von ihr

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Ellwangen - Es ist gewiss übertrieben, von einer platonischen Liebe zu reden. Aber angetan hat es ihm die Dame ohne Zweifel, sonst wäre Ulrich L. Lehner nicht seit Jahren hinter ihr her. Nun streckt er, der im fernen Milwaukee am Westufer des Michigansees, Wisconsin, USA, an der Marquette University Kirchen- und Theologiegeschichte lehrt, seine Fühler sogar nach Baden-Württemberg aus – auf der Suche nach Dokumenten, Fotos, Briefen von ihr. „Könnten Sie“, lautete sein Hilfeersuchen, „nicht einen Aufruf starten?“

 

Keine Sorge, für Kontaktanzeigen gewöhnlicher Art ist im redaktionellen Teil dieser Zeitung auch weiterhin kein Platz. Ulrich Lehners spezielles Anliegen verdient es freilich, unterstützt zu werden. Schließlich ist er kein Schürzenjäger, sondern als Professor streng im Dienste der Wissenschaft unterwegs. Allein vor diesem Hintergrund hat er sein Herz an Fanny Imle verloren, von der er nicht einmal weiß, wie sie ausgesehen hat. Denn kein Bild, keine Fotografie findet sich in den Archiven, und auch die „Lebenserinnerungen“, die sie verfasst hat, gelten als verschollen.

Vorkämpferin für Frauenrechte

Nur rudimentär also ist ihre Biografie bekannt, und doch ist so viel gewiss: Fanny Imle war eine Vorkämpferin für die Frauenrechte, war eine profilierte Wirtschaftswissenschaftlerin und profunde Laienpredigerin, die sich in Männerdomänen – ganz gegen den Trend der damaligen Zeit – selbstbewusst zu behaupten wagte.

Geboren wurde sie am 2. April 1878 in Ellwangen im heutigen Ostalbkreis. Sie war die Tochter eines Majors, wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. 1897 nahm sie ein Philosophie-Studium an der Universität Zürich auf – eine der wenigen Hochschulen, die Frauen am Übergang zum 20. Jahrhundert überhaupt zuließen. Zürich galt als Schmelztiegel für Verfechter radikaler Liberalität, von Frauenemanzipation und sozialistischen Ideen. In solche Debattenzirkel tauchte Fanny Imle ein, hielt selbst politische Reden – und blieb sich mit derlei Umtrieben auf weiteren Stationen in Brüssel, London und Berlin treu, sich dann aber der SPD und später christlichen Gewerkschaften zuwendend.

Zum Katholizismus gewechselt

Fanny Imle steht für einen ungewöhnlichen, ja „außergewöhnlichen Lebensweg“, befindet Forscher Ulrich Lehner, wobei ihr Übertritt zum Katholizismus im Jahr 1904 ein besonders wichtiger Markstein gewesen ist. Dort, ausgerechnet in dieser Männerwelt, hat sie den Halt gefunden, den ihr der lutherisch geprägte Glaube wohl nicht mehr gegeben hat. In einer Abhandlung beklagte sie, dass ihr mittlerweile die „evangelische Gefühlsfrömmigkeit geradezu Ekel“ einflöße und ihr die „Lehrzerfahrenheit des Protestantismus“ missfalle.

Starker Tobak war das in einer Epoche, da den Frauen solche Pointen per se nicht zugestanden wurden. Kinder, Küche, Kirche – mehr sollte, durfte es für das weibliche Geschlecht nicht sein. Da brauchte es schon einen gewissen rebellischen Charakter, einen Hang zur Aufmüpfigkeit, sich den Konventionen zu entziehen. In Anlehnung an Friedrich Schiller selig formulierte Fanny Imle in einer Schrift über „die Frau in der Politik“ jedenfalls klar: „Gruß den Frauen, Sie flechten und weben / himmlische Werte ins politische Leben.“ Das saß in Zeiten, da den Bürgerinnen erst 1919 das aktive und passive Wahlrecht zugestanden wurde. Und so befasste sich Fanny Imle, kein Wunder, auch wissenschaftlich mit den Geschlechterunterschieden in der Berufswelt, mit tarifrechtlichen Fragen, und sie nutzte dabei virtuos immer wieder die Methoden empirischer Sozialforschung. Nur am Rande sei erwähnt, dass sie sich im weiteren Verlauf ihrer Karriere auch als Mittelalterforscherin profilierte.

Eine der ersten Frauen mit Doktortitel

Obgleich sie an der Universität Freiburg als eine der ersten Frauen promovierte, hatte sie stets einen schweren Stand. Man habe es ja, so hieß es, mit dem Werk einer Frau zu tun. Für den ursprünglich aus Deutschland stammenden Theologie-Professor Ulrich Lehner in Milwaukee macht eben die intellektuelle und autodidaktische Kraft von Fanny Imle in Verbindung mit ihren emanzipatorischen Bestrebungen den Reiz aus, mehr über diese „faszinierende“ Frau zu erfahren und sie ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen. Irgendwann ein Buch über sie zu verfassen ist das Ziel.

Dafür aber braucht es weitere Informationen über Leben und Werk von Fanny Imle. Vor allem in Ellwangen selbst könnte es noch Nachfahren geben, die sie persönlich kannten – oder vielleicht wertvolle Dokumente von ihr besitzen. Gestorben ist Fanny Imle 1965 in Paderborn, wo sie in weiten Teilen die Nachkriegszeit verbracht hatte. Völlig erblindet, ließ sie sich dennoch nicht von ihrer Arbeit abhalten: Ein Vorleser half.