Den Amazonas kennt jedes Kind, aber die Weißen Wälder Brasiliens sind den meisten unbekannt. Dabei gibt es eine große Chance, dort unbekannte Tiere zu entdecken. Auch die Uni Hohenheim forscht im Osten des Landes.

Bom Jesus - Jose Alves steckt seine kleine Gartenschere in die Tasche, bevor er den Jeep verlässt. Es hat geregnet in der Caatinga. Ein guter Tag, um Knospen und Blüten von Pflanzen zu sammeln. Der Regen verwandelt die Landschaft in ein grünes Meer. „In der Sprache der Einheimischen bedeutet Caatinga ‚Weißer Wald‘“, erklärt Alves. Im heißen, aber trockenen Winter werfen die Bäume und Büsche ihre Blätter ab und verlieren damit ihre Farbe. Doch nach dem Regen treiben die Zweige wieder aus und die Caatinga verändert binnen weniger Tage ihr Gesicht. Alves schneidet ein paar frische Triebe, an denen sich schon Knospen gebildet haben und verstaut sie in einer Plastiktüte. Später werden sie in seinem Institut dokumentiert.

 

Wann immer es seine Verpflichtungen an der Bundesuniversität des Rio São Francisco erlauben, ist der Biologie-Professor draußen unterwegs, so wie jetzt im Nationalpark Serra das Confusões. „Diese Blüte habe ich noch nie gesehen“, sagt er. „Wir wissen so wenig über die Vegetation und über die Tierwelt der Caatinga“, sagt Alves, und aus seiner Stimme klingt Demut. Dabei erforscht der Professor seit 13 Jahren diese wildgebliebene Landschaft. Aber 13 Jahre sind nicht viel angesichts der Dimensionen: Die Caatinga bedeckt eine Fläche mehr als doppelt so groß wie Deutschland, die Serra das Confusões misst ein Drittel von Baden-Württemberg.

Affen, Gürteltiere und Jaguare leben im Park

Selbst der Park-Chef José Wilmington Paes kennt große Teile seines Nationalparks trotz seiner 20 Dienstjahre nur von Satellitenfotos. „80 Prozent der Fläche wurde seit Jahrzehnten von keinem Menschen mehr betreten“, erzählt der stämmige Mann, der eine große Zufriedenheit ausstrahlt. Die Serra das Confusões ist kaum erschlossen. Wieviele Affen, Gürteltiere, Jaguare oder große Ameisenbären im Park leben, weiß niemand. Tiere werden nicht gezählt. „Man sieht nur ihre Spuren, die Tiere bekommt man höchstens zu Gesicht, wenn sie sich den Wegen nähern“, erzählt der Parkleiter. Nur 2000 Besucher passieren jedes Jahr das Besucherzentrum in der Nähe von Caracol ganz im Süden des Bundesstaats Piaui. „Es kommen Einheimische, Touristen, darunter viele Radfahrer mit Trekkingrädern“, berichtet Wilmington. Erst in jüngster Zeit kämen vermehrt Wissenschaftler.

„Das hier ist die vorderste Front der Forschung“, sagt Jose Alves, „hier sind die Chancen besonders hoch, neue Arten zu entdecken.“ Der Professor läuft mit seinen Besuchern gern auch längere Strecken zu Fuß durch die Caatinga, damit sie die kleinen Besonderheiten nicht übersehen. Pflanzen, farbenfrohe Insekten, Vögel und immer wieder Eidechsen. Am Himmel kreisen Schwarzgeier und Chileadler. Dann steigt er von den heißen Felsen und den dichten Sträuchern hinab in eine ganz andere Welt. Fest installierte Metallleitern führen tief hinab in eine schmale Schlucht auf den weichen Sand am Boden eines trockenen Flussbetts. Geschützt vor der Sonne wachsen hier die Pflanzen des Regenwalds. „Legen Sie sich ruhig in den Sand und genießen sie die Atmosphäre, das gibt es nur hier“, empfiehlt er.

Die grünen Früchte erinnern an Limetten

Doch das wissenschaftliche Interesse des Professors hat sich längst verlagert: Es sei zu spät, um Pflanzen und Tiere lediglich zu katalogisieren. „Diese Landschaft ist bedroht“, erklärt er, „wir werden sie nur schützen können, wenn wir die Bewohner der Region einbeziehen“. Was er damit meint, zeigt er im „Referenzzentrum für die Wiederherstellung von degradierten Grünflächen“, das er am Rande der Serra da Capivara gegründet hat. Das Gelände ist eine Art Baumschule, in der Setzlinge der typischen oder nützlichen Pflanzen der Caatinga gezogen werden.

Direkt am Eingang steht ein breitgewachsener Umbuzeiro, ein Obstbaum, der sich gut an die Trockenheit angepasst hat. Die grünen Früchte erinnern an Limetten, schmecken aber eher nach Stachelbeere. Die Umbus sind nicht nur gesund, sondern erzielen als Bestandteil exotischer Fruchtsäfte auch gute Preise. Aber die Caatinga-Stachelbeere ist vom Aussterben bedroht. „Man findet fast nur alte Bäume, aber keine jungen“, erklärt Alves.

Auch Stuttgarter Forscher sind hier aktiv

Gemeinsam mit der Uni Hohenheim hat der Professor erforscht, warum die Samen nicht wachsen: Ein Teil wird von wilden Tieren gefressen, ein anderer Teil am Boden durch einen Käfer zerstört. Die wenigen jungen Pflanzen fallen dem Hunger der Ziegen zum Opfer. „Die Menschen wissen nicht, wie man den Umbuzeiro kultivieren muss“, erklärt Alves. Er stellt nicht nur Setzlinge bereit, sondern schult die Menschen, die von den Früchten profitieren sollen. Der Umbuzeiro ist nur ein Beispiel, auch der Mandakaru-Kaktus trägt Früchte, die in Mexiko vermarktet werden, aber in Brasilien unbeachtet am Boden liegen.

Die Forschung müsse die Zusammenhänge des Ökosystems erkennen und den Menschen trotz des schlechten Bildungsniveaus vermitteln, sagt Alves. In Brasilien müssen jene Firmen, die Flächen roden, Ausgleichszahlungen für Aufforstungen leisten. Viele dieser Gelder seien jedoch anschließend wegen mangelhaften Wissens in den Sand gesetzt worden.

Obwohl der Weiße Wald in Brasilien eine große Fläche einnimmt, bleibt er doch das vernachlässigte Kind unter den einzigartigen Vegetationsformen des Landes. Die Touristen, die Forscher, sie alle interessieren sich vor allem für den Amazonas-Regenwald. Das gilt selbst für die einheimischen Wissenschaftler. „Viele meiner Kollegen waren noch nie hier“, sagt Alves, „wenn Studenten oder Doktoranden von anderen Universitäten kommen, wissen sie in der Regel nichts über die Region.“ Trotzdem muss der Professor jedes Jahr um sein Geld kämpfen. Derzeit hat er noch fünf Angestellte und zehn Studenten, es waren mal über 30. „Wir stehen immer wieder kurz davor, die Türen zuzumachen“, sagt Alves.