Der Verkehrssektor ist weit von gesetzlichen Vorgaben beim CO2-Einsparen entfernt. Das könnte radikale Konsequenzen für viele Bürgerinnen und Bürger haben - oder doch nicht?

Berlin - Flächendeckende Fahrverbote an Wochenenden: Mit diesem Szenario hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing Millionen Autofahrer aufgeschreckt. Nur solche drastischen Maßnahmen würden aus Sicht des FDP-Politikers helfen, im Verkehrssektor die Klimaziele einzuhalten und massiv Treibhausgase einzusparen - falls nicht bald eine Reform des Gesetzes kommt.

 

Die Verhandlungen über diese Reform kommen in der Ampel-Koalition aber nicht voran. Deshalb ist Wissing der Kragen geplatzt. Das Ziel: Druck ausüben. "Ich habe den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit gesagt", sagte er im Deutschlandfunk. Der Streit lenkt den Blick auf die großen Klimaschutz-Probleme im Verkehr.

Was sieht das geltende Klimaschutzgesetz vor?

In dem Gesetz sind die Klimaschutzziele Deutschlands verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt. Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung mit Sofortprogrammen nachsteuern.

Im vergangenen Jahr verfehlten der Verkehrs- sowie der Gebäudesektor die zulässige Jahresemissionsmenge. Am kommenden Montag legt ein Expertenrat für Klimafragen seine Bewertung der Daten vor. Innerhalb von drei Monaten muss das zuständige Ministerium dann ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vorlegen - also bis zum 15. Juli.

Welche Reform ist geplant?

Die Koalition plant eine Reform des Gesetzes - die ein Sofortprogramm im Verkehr hinfällig machen würde. Vor allem die FDP will die Reform. Begründung: Es komme vor allem darauf an, ob Klimaziele insgesamt eingehalten würden. FDP-Fraktionsvize Carina Konrad sprach von bisherigen "unrealistischen starren Sektorzielen", die das Land zu fesseln drohten.

Im Juni brachte das Kabinett die Reform auf den Weg. Demnach soll die Einhaltung der Klimaziele nicht mehr rückwirkend nach den Sektoren kontrolliert werden - sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Regierung als Ganze soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und wie die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Umweltverbände warnen vor einer Aufweichung des Gesetzes. Bei den Verhandlungen der Ampel-Fraktionen ist dem Vernehmen nach strittig, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben - falls CO2-Zielvorgaben verfehlt werden.

Womit droht Wissing?

Weil die Verhandlungen in den Ampel-Fraktionen nicht vorankommen, hat Wissing nun Alarm geschlagen. Um die Sektorziele für den Verkehr allein im Jahr 2024 zu erreichen, müssten rund 22 Millionen Tonnen sogenannte CO2-Äquivalente ad hoc zusätzlich eingespart werden - sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht bis zum 15. Juli in Kraft getreten sei, heißt es in einem Schreiben des Ministers an die Ampel-Fraktionschefs.

Dies entspräche zum Beispiel 15 Prozent der Pkw-Fahrleistung und über 10 Prozent der Lkw-Fahrleistung. Eine solche Verringerung der Verkehrsleistung wäre "nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich", so Wissing. Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei. Zudem würden Fahrverbote die Akzeptanz für den Klimaschutz erheblich beeinträchtigen. Mit anderen Maßnahmen wie mit einem Tempolimit ließen sich die Ziele nicht erreichen.

Wie würden Fahrverbote denn aussehen?

Das Ministerium leitete zwar eine Abschätzung der CO2-Einsparmengen durch Fahrverbote her - wie genau diese dafür aussehen müssten, blieb aber unklar. Wären davon nur die Autobahnen betroffen oder auch andere Straßen? Wie könnte das durchgesetzt werden? Es handele sich um ein "schlimmstes Szenario", das man abwenden wolle, sagte ein Sprecher. Daher wolle man sich auch nicht auf Details einlassen. Das Reizwort weckte Erinnerungen an die Ölkrise in den 1970er-Jahren mit vier autofreien Sonntagen auf allen Autobahnen.

Welche anderen Maßnahmen wären möglich?

"Wir brauchen natürlich keine Fahrverbote", sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. Dies verängstige Menschen ohne Grund. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagte, Wochenendfahrverbote seien nicht notwendig, um den Verkehr auf Klimakurs zu bringen. Greenpeace-Experte Benjamin Stephan kritisierte: "Es ist armselig, dass Volker Wissing mit den Folgen seiner jahrelangen Untätigkeit im Klimaschutz jetzt Autofahrer, Handwerker und Familien verängstigen will."

Viele Umweltverbände wie auch Messner sprechen sich seit langem für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen zur CO2-Einsparung aus - ein solches allerdings lehnt die FDP kategorisch ab. Resch sagte, allein ein Tempolimit von 100 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 in der Stadt spare mit über 11 Millionen Tonnen mehr als die Hälfte des Betrages ein. Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclubs VCD, sagte: "Tempolimits sind die größte und am schnellsten umzusetzende Maßnahme bei der CO2-Reduzierung, die zudem hohen Rückhalt in der Bevölkerung hätte."

Schwieriger werde es, die restliche Lücke zu schließen. "Um diese große Menge sofort einzusparen, bleibt nur eine drastische Verringerung der Fahrleistung von Pkw und Lkw. Dafür braucht es aber auch die entsprechenden Alternativen und Kapazitäten für den Personen- und Güterverkehr auf der Schiene sowie beim kommunalen ÖPNV."

Resch nannte auch ein Ende der steuerlichen Absetzbarkeit von Dienstwagen mit hohem CO2-Ausstoß und eine drastische Senkung der Nutzungsgebühr fürs Schienennetz - um eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene attraktiver zu machen. Messner nannte als zentrale Stellschraube die Elektromobilität. So sei eine Reform der Kfz-Besteuerung nötig, um den Kauf besonders klimaschädlicher Pkw zu verteuern.

Warum ist der Ausstoß von Treibhausgasen im Verkehr in den vergangenen Jahren nicht gesunken?

Das liegt unter anderem daran, dass immer mehr Autos hierzulande unterwegs sind - gut 49 Millionen sind es inzwischen. Und die Pkw werden immer größer und schwerer. Inzwischen sind 40 Prozent aller neu zugelassenen Autos Geländewagen oder SUVs, die oft an die zwei Tonnen wiegen und viel Sprit fressen.

Zugleich blieb der seit Jahren erhoffte Durchbruch für E-Autos im Massenmarkt aus: Der Anteil reiner Stromautos am Bestand dümpelt bei gut zwei Prozent. Auch der Güterverkehr ist ein Sorgenkind, weil immer mehr Lkw unterwegs sind.

Wie schlimm steht es ums Klima hierzulande?

Schon jetzt hat sich der Planet um etwa 1,1 Grad aufgeheizt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, Deutschland sogar um 1,6 Grad. Die fatalen Folgen: Je nach Region und Jahreszeit gibt es immer häufigere Hitzewellen und Dürren, Waldbrände sowie Unwetter und Überschwemmungen.

So wurde 2022 der bisher wärmste Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen, mit Zehntausenden Hitzetoten. Im März 2023 ergab eine Studie im Auftrag der Bundesregierung, dass auf Deutschland durch die Erderwärmung bis 2050 Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro zukommen können. Beispiel ist die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit Schäden von mehr als 40 Milliarden Euro.