Bruno Le Maire, Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister, spricht im Interview über die Reformen der Regierung Macron. Er will Paris nach dem EU-Austritt Großbritanniens zum Zentrum der europäischen Finanzwelt machen.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Der französische Minister für Wirtschaft und Finanzen, Bruno Le Maire, will mit seiner Steuerpolitik die großen Digitalkonzerne ins Land locken – und Paris zum Zentrum der europäischen Finanzwelt machen. An den Plänen eines EU-Finanzministers mit eigenem Budget hält er fest.

 
Herr Le Maire, seit der Wahl von Präsident Macron befindet sich Frankreich in Aufbruchstimmung. Erlebt das Land gar ein neues Wirtschaftswunder?
Solange die Franzosen nicht das Gefühl haben, dass sie die Dinge wirklich geändert haben, kann man nicht von einem Wunder sprechen. Immerhin ist es ein Fortschritt, dass ein Präsident gewählt wurde, der für Hoffnung und Vernunft steht, während in England für den Brexit gestimmt wurde, in Deutschland die AfD und in Frankreich der Front National stark wurden. An Wirtschaftswunder glaube ich nicht. Hingegen an die Umsetzung von Wahlversprechen. In Frankreich ist ein tief greifender Wandel der Wirtschaft im Gang. Unsere Arbeitsmarktreform von 2017 hat mehr Flexibilität erlaubt. Unsere Steuerreform ist die wichtigste der letzten 30 Jahre. Die Kapitalbesteuerung abzubauen, um die Wirtschaft zu finanzieren, bedeutet eine totale Umstellung für Frankreich.
Fürs erste äußert sich die Reform des Arbeitsrechts vor allem in der Zunahme der Entlassungen.
Es ist meine Aufgabe, das solide Wachstum Frankreichs auszunützen, um den Unternehmen die Schaffung neuer Jobs zu ermöglichen. Auch deshalb müssen wir das Sparkapital in Richtung der Klein- und Mittelunternehmen umleiten. All das setzt viel Zeit voraus. Wir brauchen Geduld. Die Franzosen müssen uns mindestens zwei Jahre geben. Außerdem wurden 2017 in der Privatwirtschaft 264 000 Stellen geschaffen. Und Google hat die Schaffung eines Forschungszentrums in der Bretagne angekündigt. Die chinesische Online-Handelsplattform JJ will ihr wichtigstes Logistikzentrum in Frankreich ansiedeln; Toyota steckt 300 Millionen Euro in die Erweiterung ihres Werkes in Valenciennes in Nordfrankreich.
Macron will auch die Finanzwelt von der Londoner City nach Paris locken.
Es ist eines unserer Ziele, dass Paris der größte Finanzplatz Europas wird. JP Morgan, Bank of America oder Goldman Sachs wollen ihre französischen Niederlassungen ausbauen. Und dann will Frankreich auch in der so wichtigen grünen Finanzbranche eine Schlüsselrolle spielen.
Halten Sie an der seit langem geplanten Finanztransaktionssteuer fest?
Wir sind dafür – sofern sie auf europäischer Ebene entsteht. Und das ist möglich. Ich glaube nicht, dass sie für Frankreich ein Standortnachteil wäre. Meinen europäischen Kollegen sage ich: Habt keine Angst, für eure Werte einzustehen.
Und die Besteuerung der Google, Amazon, Facebook und Apple?
Man kann digitale Konzerne ins Land holen, auch wenn man sie besteuert. Frankreich wünscht, dass die im Frühling vorgestellten Besteuerungspläne der EU-Kommission konkret und ehrgeizig ausfallen. Der Steuerertrag muss in Zukunft einen wichtigen Teil der öffentlichen Einnahmen Europas ausmachen und sich in Milliarden rechnen. Frankreich wünscht, dass das Kriterium der Besteuerung nicht die Werbung, sondern der Umsatz ist. Es sei denn, die OECD findet ein besseres Kriterium.
Doch werden selbst die vereinten EU-Bemühungen nicht durch die Steuerpolitik der USA über den Haufen geworfen?
US-Finanzminister Steven Mnuchin verschließt sich der Besteuerung der Digitalkonzerne nicht von vornherein. Er hat nur mit dem Kriterium des Umsatzes Mühe. Interessant ist die europäische Reaktion zur US-amerikanischen Steuerreform: Erstmals haben die Finanzminister Frankreichs, Spaniens, Deutschlands, Italiens und Englands ihrem US-Kollegen zusammen geschrieben, um ihre Sorgen in diesem Bereich auszudrücken.
Was halten Sie von der US-Zinspolitik ?
Diesbezüglich muss eine einzige Regel gelten: Man spielt nicht mit dem Wechselkurs. Er ist kein Spielzeug in der Hand der Politiker, sondern Spiegel der nationalen Wirtschaftrealitäten. Ich habe sehr genau hingehört, als Donald Trump sagte, ein starker Dollar sei im Interesse der USA.
Will Frankreich auch in der EU gegen Steuerdumping vorgehen?
Steuerdumping in der Europäischen Union wäre kollektiver Selbstmord. Denn wie wollen Sie Kinderkrippen, Krankenhäuser und andere öffentliche Angebote finanzieren, wenn Sie ständig das Steuerniveau senken? Mit Deutschland wollen wir bis Ende 2018 zu einer Annäherung bei der Unternehmenssteuer gelangen. Das muss keine völlige Anpassung sein; Präsident Macron schlägt eher einen Steuersatz-Korridor mit Ober- und Untergrenzen vor.
Halten Sie an ihre umstrittenen Forderung nach einem Finanzminister für die Eurozone mit eigenem Budget fest?
Präsident Macron hat in seiner Rede an der Sorbonne-Universität die großen Linien vorgezeichnet, und wir werden sie nicht ändern. Wir werden unsere Ambitionen für die Eurozone nicht abschwächen. Wir wollen rasch eine Banken-Union, einen europäischen Solidaritätsmechanismus und ein Eurozonen-Budget mit eigenem Minister. Das Wort Budget weckt zwar anscheinend Ängste; dabei wird das damit verbundene Ziel, mehr zu investieren, auch von unseren deutschen Partnern geteilt.
Die nun endlich eine neue Regierung gebildet haben...
Wir brauchen Deutschland, um gemeinsamen vorwärtszukommen, besonders bei den großen europäischen Vorhaben. Die Regierungsbildung ist daher eine wichtige und positive Etappe auf unserem Weg.