Sie gehören zu den erfolgreichsten Schauspielern im Land: Franziska Walser und Edgar Selge. Jetzt geht das Ehepaar mit Goethes „Iphigenie“ auf Tournee.

Kultur: Adrienne Braun (adr)
StuttgartSie gehören zu den erfolgreichsten Schauspielern im Land und stehen viel vor der Kamera. Jetzt haben Franziska Walser und Edgar Selge gemeinsam „Iphigenie auf Tauris“ inszeniert und spielen Goethes großen Klassiker zu zweit. Vor ihrem Gastspiel am Donnerstag in Fellbach erzählen sie von der Arbeit und ihrem Leben in einer Schauspielerehe.
Frau Walser, Sie sind beide in Film und Fernsehen sehr gefragt, warum zieht es Sie doch immer wieder zurück auf die Bühne?
Walser: Weil man da ganz andere Texte zur Verfügung hat, eine dichtere Sprache und eine gründlichere, längere Arbeitsweise möglich ist. Im Film wird meistens in sehr viel kürzerer Zeit abgedreht.

Sie haben die „Iphigenie“ ohne Regisseur erarbeitet. Demokratie funktioniert in der Kunst eigentlich selten gut, oder?
Walser: Wir haben ohne Regisseur und gleichberechtigt gearbeitet – wir waren ein Stab von fünf. Es dauert halt immer alles länger. Aber es ist eine sehr interessante Erfahrung, wenn alle gleichberechtigt sind und eigenverantwortlich mitarbeiten. Man überlegt sich sehr genau, was man einbringen und kritisieren möchte.

Herr Selge, Sie spielen gleich vier Männerrollen. Wollten Sie zeigen, wie virtuos Sie den Rollenwechsel beherrschen?
Selge: Das könnte man denken. Aber wir machen es zu zweit, weil in dem Stück die große Gegenfigur zur Iphigenie fehlt. Es gibt vier männliche Spielarten, Haltungen, Interessen, mit denen Iphigenie konfrontiert ist. Deshalb haben wir gedacht, dass es auch ein Stück über ein Paar sein könnte, in dem die vier verschiedenen Männer für vier verschiedene Taktiken stehen, sich dem Selbstfindungsprozess der Iphigenie gegenüber zu verhalten.

Also geht es auch ein bisschen um die Beziehung zwischen Ihnen im wirklichen Leben?
Selge: Ja, natürlich, aber das betrifft eigentlich jede Rolle, die man spielt, dass man versucht, sich ihr über die eigenen, authentischen Erfahrungen zu nähern. Außerdem wollten wir immer ohne vierte Wand spielen, dass heißt, jeder versucht, das Publikum mit seinen Argumenten zu gewinnen und auf seine Seite zu ziehen.

Wie ist es, wenn Sie zusammen arbeiten? Wie mit anderen Kollegen? Oder ist es doch etwas besonders?
Selge: Wir haben uns in der Arbeit kennengelernt. Dass man miteinander arbeitet, begleitet uns, seit wir miteinander leben.

Wie darf man sich so eine Schauspielerehe eigentlich vorstellen? Vermutlich ist immer einer irgendwo am Drehen?
Walser: Deshalb ist so eine gemeinsame Arbeitszeit immer auch Zeit, die man miteinander verbringt. Und das genieße ich.
Selge: Das geht mir auch so.

Und jetzt tingeln Sie sogar gemeinsam?
Walser: Es ist ein wohldosiertes Tingeln, ein- bis zweimal die Woche ein Ortswechsel, aber nicht jeden Tag.

Und wer gießt in der Zeit die Blumen?
Selge: Die Sprinkleranlage. Wir haben ja eine Wohnung in Berlin und eine in München. Das muss von allein laufen.

Haben Sie notgedrungen eine Zweitwohnung in Berlin, weil das heute sein muss?
Walser: Ich finde Berlin im Augenblick eine ausgesprochen lebendige Stadt. Die vielen Impulse, die von dort ausgehen, ziehen mich an.
Selge: Als Berlin Hauptstadt geworden ist, war es für uns nur eine Frage der Zeit, wann wir da eine Bleibe haben werden. Es ist eine Stadt, in der wir Theater spielen, sehr viel drehen und in der auch viele Kollegen sind. Insofern ist es notwendig, in Berlin wohnen zu können. In München leben wir seit 1980. Das ist Heimat für unsere Familie, für unsere Kinder.

Sind die Kinder aus dem Haus?
Walser: Ja, die gehen ihre eigenen Wege.

Was ist das Erfolgsrezept Ihrer langen Ehe? Das ist heute ja schon eine Leistung.
Selge: Wenn Sie es so sagen, dass es eine Leistung ist, klingt das nicht sehr verlockend. Ich würde es nicht als eine Leistung, die zu erbringen ist, bezeichnen, sondern eher als ein Vergnügen. Und ob es da ein Rezept gibt, das muss jeder für sich selber entscheiden.
Walser: Das hat sicher auch mit Lust an der Auseinandersetzung zu tun. Die Auseinandersetzung über den Beruf und das Spielen ist sicher auch gut für unsere Beziehung.

Wobei man da auch sehr schnell zu Konkurrenten werden kann.
Walser: Ja, klar, aber jeder Mensch kann der Konkurrent vom anderen werden. Das passiert in unserer Gesellschaft leicht.

Wie entscheiden Sie, welches Engagement Sie annehmen? Gemeinsam oder allein?
Selge: Jeder für sich, von der Sache her und ob es einen interessiert.
Walser: Natürlich erzählen wir, was wer für ein Angebot hat, ob man das machen will oder nicht. Da wir ja beide erwachsen sind, verkraftet der andere es, dass er halt mal auf sich allein gestellt ist. Und dann versucht man auch mal wieder ein Projekt zusammen hinzukriegen.

Was steht als nächstes an?
Walser: Im nächsten Sommer gibt es wahrscheinlich ein Filmprojekt, das wir gemeinsam machen werden, da geht es um einen Missbrauch. Aber wir werden sicher auch ein weiteres Theaterprojekt in Stuttgart machen.

Nämlich?
Walser: Armin Petras kommt ja als Intendant des Schauspiels nach Stuttgart. Wir planen mit ihm hier eine gemeinsame Arbeit.

Goethes „Iphigenie“ jetzt haben Sie mitproduziert. Ist das ein Zeichen, dass Sie mehr mitgestalten wollen und nicht nur einfach eine Rolle spielen?
Selge: Ja, das ist sicher richtig. Wobei wir eigentlich in allen Projekten, auch in Filmprojekten versuchen, so früh wie möglich über Drehbücher zu sprechen und über die Rollen. Grundsätzlich ist die Arbeit von Schauspielern eine der Wechselwirkungen. Es macht einer einen Vorschlag, andere reagieren darauf. Man stellt sich das, wenn man nicht in diesem Beruf ist, immer stumpf arbeitsteilig vor. Aber das ist das Interessante an diesem Beruf, das macht auch das Geistige, das Vitale aus, dass es ein Beruf der Gemeinsamkeit ist.