In München-Riem gibt es einen sehr speziellen, kleinen Friedhof: von Frauen für Frauen. "Schiefe Kiefer" heißt das Gräberfeld.  

München - Es ist ein stilles Stück Wiese unter dem kühlen, blauen Kunstwerk "Raumzeichnung III." von Inge Regnat-Ulner, das vielleicht ein Tor nach oben symbolisieren will, vielleicht aber auch die verwinkelten Wege des Lebens. Drum herum sind Nadelbäume und Birken zu sehen, traditionelle und frei gestaltete Gräber, Natursteinmauern, absichtsvoll verrostende Eisentore, das Dauerbrummen der Autobahn grundiert die Atmosphäre.

 

"Schiefe Kiefer" heißt das Gräberfeld im hinteren Teil des neuen Riemer Friedhofs. Es wurde vom gleichnamigen Verein gepachtet, um dort als Alternative zu anonymen Bestattungen einen Ort für Frauen zu schaffen, die entweder ohne Angehörige sind, die irgendwann in der Zukunft ihr Grab pflegen können oder möchten, oder die sich ihre letzte Ruhestätte zu Lebzeiten selbst und bewusst aussuchen wollten.

"Die Idee ist vor drei, vier Jahren entstanden", erzählt Barbara Yurtdas. Sie lebt wie die Mit-Vereinsgründerinnen bereits seit einigen Jahren in der Bau- und Vermietungsgenossenschaft Frauen-Wohnen in der neu angelegten Messestadt Riem am grünen Rand der Großstadt München. 250 Frauen halten in dem ökologisch, Energie sparend und barrierefrei geplanten und unter anderem mit dem Deutschen Bauherrenpreis 2008 ausgezeichneten Projekt Genossenschaftsanteile, 49 "frauengerechte" Wohnungen in verschiedenen Größen gruppieren sich auf vier Stockwerken um einen begrünten Innenhof - "man kann zum Beispiel aus allen Küchen auf den dortigen Spielplatz schauen". Die Warteliste für die Apartments ist lang, im Münchner Westend wird gerade ein zweites Objekt gebaut, ein drittes ist in Planung.

Sie suchen sich ihre letzte Ruhestätte bewusst aus

Es seien viele "Jungrentnerinnen", die hier lebten, sagt Yurtdas, eigenständige, gut ausgebildete und oft weitgereiste Frauen, die meist schon in ihrer Jugend in den sechziger Jahren aus traditionellen Rollenmustern ausgebrochen waren und "die ihre späten Jahre nicht vertrauern wollen". Die meisten von ihnen waren verheiratet, haben Kinder großgezogen, sind verwitwet oder geschieden, manche leben schon immer allein oder mit einer anderen Frau zusammen. Die Jüngeren sind oft alleinerziehende Mütter und berufstätig. Man unterstützt sich öfter gegenseitig, aber es gibt keinen Zwang.

Die eigene Welt soll in der nachbarschaftlich orientierten Anlage ebenso gewährleistet sein wie ein gemeinschaftliches Miteinander - unter anderem gehören ein Veranstaltungsraum, ein Hobbykeller, ein Fitnessraum und ein Gästeapartment zu den Gebäuden. Und auch an die zwischen Nachbarn ja immer möglichen Konflikte hat man schon vorab gedacht: In mehreren Workshops über das Zusammenleben und eine kluge Streitkultur wurden Lösungsstrategien diskutiert, in schwierigen Fällen soll jeder Partei ein Coach zur Seite stehen. Sie kamen, bei allem kleinen Ärger, der zum Alltag dazugehört, bisher wohl selten vor.

Selbstbestimmt und kooperativ geht es in dem lichten Atrium an der Ingeborg-Bachmann-Straße zu, es ist eine alternative Kultur des Lebens, die hier ausprobiert wird, nicht gegen Männer, aber auch nicht von ihnen dominiert. Kein Wunder also, dass aus dem Gedanken, "dass das Familiengrab als Idee veraltet ist", irgendwann auch der Wunsch nach innovativen Formen des Begrabenseins auftauchten, für die allerdings "kein großer Aufwand betrieben werden sollte", wie es im Vereinspapier heißt.

Kein Widerstand bei der Friedhofsbehörde

Ohne bei der Riemer Friedhofsbehörde auf Widerstand zu stoßen - "es gibt ja auch Friedhöfe von Ordensgemeinschaften wie den Rotkreuzschwestern" - hat die Schiefe Kiefer dort zunächst auf 15 Jahre zehn Grabstellen gepachtet, die ebenso wie Familiengräber belegt werden dürfen - das heißt pro Grabstelle mit zwei Erd- und acht Urnenbestattungen. Das gesamte Feld soll eine ebene Fläche bleiben, auf dem Fundament des Kunstwerks befindet sich eine Tafel mit der Aufschrift "Gräberfeld FrauenWohnen eG". Auf Wunsch, sagt Barbara Yurtdas, könnten später auch Täfelchen mit den Namen der dort beerdigten Frauen angebracht werden. "Mehr wollten wir nicht, das fanden wir spießig."

Wer dort seine letzte Ruhe finden möchte, darf von überall her stammen, muss aber zu Lebzeiten dem Verein beigetreten sein, eine bestimmte Summe eingezahlt und eine Willenserklärung unterzeichnet haben. Die Bestattung können dann die Angehörigen oder die Mitbewohnerinnen übernehmen.

Bereitet es den Vereinsmitgliedern keine Angst, jetzt schon für ihr künftiges Ableben zu planen? Barbara Yurtdas jedenfalls findet es gut, ihre Zukunft nicht dem Zufall zu überlassen. "Das ist ja auch eine spirituelle Sache", sagt sie. "Die Leute können später da hingehen - ein schöner Gedanke vor allem für Menschen ohne Familie." Und für sich selbst, sagt sie, sei der kleine Frauenfriedhof jetzt "ein Ort, wo man sich ein bisschen hindenken kann".