Das deutsche Frauen-Nationalteam legt einen unrunden Auftritt beim 2:1-Sieg im WM-Testspiel gegen Vietnam hin. Für den anvisierten Titel muss sich viel – klappt das?

Die Abschlusszeremonie erinnerte an die besseren Zeiten der Offenbacher Kickers. Fans in roten Trikots machten auf der Gegengerade der traditionsreichen Spielstätte am Bieberer Berg mächtig Stimmung, die Protagonisten begaben sich auf eine Ehrenrunde, danach jubelten alle gemeinsam auf einem Erinnerungsfoto. Dummerweise verbreitete nach dem Testspiel der deutschen Fußballerinnen gegen Vietnam (2:1) allein die Abordnung aus Südostasien mit vielen Landsleuten auf der Tribüne eine ausgelassene Fröhlichkeit.

 

Als Martina Voss-Tecklenburg die kleine Treppe zum Presseraum nahm, wirkte die Bundestrainerin nach dem unrunden Auftritt zwar angesäuert, aber immerhin klangen ihre Erläuterungen durchdachter als der zusammenhanglose Auftritt einer Mannschaft, die in dieser Besetzung natürlich nicht die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) angehen wird.

Dennoch hatte die 55-Jährige nicht erwartet, dass die zugebilligte Fehlertoleranz von ihrer zweiten Reihe derart überstrapaziert würde. Sie habe sogar die Basics vermisst: „Da haben wir alle einen anderen Anspruch.“ Ihr fahriges wie fehlerhaftes Ensemble sei „vielleicht maximal bei 40 oder 50 Prozent“ gewesen. So wild man zusammengewürfelt worden sei, habe man auch gespielt, merkte die Allrounderin Lena Lattwein vom VfL Wolfsburg an. Böse Zungen unter 2,39 Millionen TV-Zuschauern beim ZDF könnten vielleicht behaupten, dass die DFB-Frauen so verstörend agierten wie gerade die Männer. Das wäre allerdings eine Mischung aus Zynismus und Populismus, und deshalb hat auch niemand der 13 652 Fans vor Ort gepfiffen.

Zwischen Hansi Flick und Martina Voss-Tecklenburg, die sich in unregelmäßigen Abständen WhatsApp-Nachrichten schreiben, besteht nämlich ein entscheidender Unterschied: Sie war im Gegensatz zu ihm zu den vielen Experimenten gezwungen. Die vor drei Wochen noch im Champions-League-Finale geforderten Akteure des VfL Wolfsburg sollen behutsam aufgebaut werden, weshalb nur die überragende Torhüterin Merle Frohms durchspielte, die sich nach einer 2:0-Führung durch Paulina Krumbiegel (3.) und Janina Minge (80.) erst beim Anschlusstreffer von Thi Thanh Nha Nguyen in der Nachspielzeit überwinden ließ. Dazu fehlten die fünf Spielerinnen vom FC Bayern, die nach dem Abstellungsstreit mit dem DFB erst am Freitag nach Herzogenaurach hatten reisen dürfen. Ein Umstand, der erheblich zur Entwertung des ersten WM-Testspiels beitrug.

Melanie Leupolz vom FC Chelsea oder Sara Däbritz von Olympique Lyon konnten hingegen nach ihrem pünktlichen Eintreffen mitmachen, obwohl auch deren Arbeitgeber der Europäischen Klubvereinigung ECA angehören. Das WM-Abschneiden wird zeigen, ob der bayrische Egotrip noch mal thematisiert werden muss.

Voss-Tecklenburg gewann nach eigenem Bekunden dennoch einige Erkenntnisse gegen den tapferen WM-Neuling. Es gebe im „athletischen und physischen Bereich“ noch ein paar Themen, aber die Fitness werde man mühelos „nach oben schieben“. Viel eher verstörte sie, dass manche Nachrückerin offenbar Grundprinzipien nicht verinnerlicht hätte. Damit habe sie dann Schwierigkeiten: „Verstehen alle das Spiel? Kennen alle ihre Aufgaben? Wissen alle ihre Position?“

Ersatzspielerinnen nutzen Chance nicht

So konnten die „Spielerinnen im Selektionsprozess“ (O-Ton Voss-Tecklenburg) nicht für sich werben. Sarai Linder, Chantal Hagel oder Melissa Kössler von der TSG Hoffenheim, aber auch Laura Freigang von Eintracht Frankfurt („Das Positivste war das Ergebnis“) müssen sich angesprochen fühlen: Die eine oder andere wird die WM mit den Gruppenspielen gegen Marokko (24. Juli), Kolumbien (30. Juli) und Südkorea (3. August) nicht erleben, wenn der Kader nach der Generalprobe gegen Sambia in Fürth am 7. Juli auf 23 Spielerinnen reduziert wird.

Defizite in der „grundsätzlichen Basistechnik“ fand die Bundestrainerin ebenfalls beunruhigend, auch wenn sie anmerkte, dass es „erst drei Platzeinheiten“ gegeben habe. „Wir haben jetzt noch ganz viel zu tun.“ Rund ein Monat bis zum WM-Startschuss kann aber auch verdammt kurz sein. Das erste Vorbereitungscamp geht noch bis Dienstag, das zweite vom 1. bis 8. Juli. Spätestens danach müssen die Blöcke aus Wolfsburg, München und Frankfurt verschweißt sein, wenn die Mission für den dritten Stern – dem nächsten WM-Titel nach 2003 und 2007 – mit Inhalt gefüllt werden will.

Nach der Abreise nach Sydney (11. Juli) soll bei einem Test gegen ein australisches Juniorenteam hinter verschlossenen Türen weiter an Automatismen gefeilt werden, die schon gegen Schweden (0:0), die Niederlande (1:0) und Brasilien (1:2) selten zu besichtigen waren. Voss-Tecklenburg verlangte Verbesserungen „auf vielen Ebenen“. Vom „Prozess“ sprach sie übrigens kein einziges Mal. Da hat jemand vernommen, dass es ein neues Unwort im deutschen Fußball gibt.