Für die vorzeitig freigelassenen Tatverdächtigen trage die Regierung „keine Verantwortung“, betont Ministerpräsident Kretschmann. Das Land stelle der Justiz genug Personal zur Verfügung. Der Schwarze Peter wird weitergereicht.

Stuttgart - Die Landesregierung ist aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nicht schuld daran, dass zwei mutmaßliche Straftäter wegen überlanger Verfahren vor ihren Prozessen aus der Haft entlassen worden sind. „Wir haben unsere Aufgaben erfüllt“, sagte der Ministerpräsident bei der wöchentlichen Pressekonferenz zu den durch unsere Zeitung bekannt gewordenen Beschlüssen des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart. Laut Kretschmann stelle das Justizministerium den Gerichten genügend Personal zur Verfügung, um Strafsachen zügig bearbeiten zu können. „Deswegen tragen wir für diese Fälle keine Verantwortung“, betonte der Regierungschef. Dies müsse er „in aller Deutlichkeit“ sagen.

 

Auf Anordnung des OLG waren zwei Männer aus der Haft entlassen worden, die jeweils wegen versuchten Totschlags angeklagt sind. Das Gericht begründete dies mit der Verzögerung der Verfahren beim Landgericht Stuttgart in Folge von personellen Engpässen. Eine Fortdauer der Haft sei nicht zu vertreten, weil die Beschuldigten nichts für die überlange Dauer könnten.

Amtschef sieht „sehr ungute Situation“

Auch der Amtschef des in Wien weilenden Justizministers Guido Wolf (CDU), Elmar Steinbacher, wies eine Verantwortung der Landesregierung von sich. Er betonte, das Landgericht sei personell „sehr gut“ ausgestattet. Im Strafbereich verfüge es wegen der Ballung von Fällen in großstädtischen Regionen sogar über 146 Prozent seines Personalbedarfs. Diesen peile die Justiz „nicht einfach über den Daumen, sondern errechne ihn nach einem bundesweit angewandten System. Wie genau das Personal eingesetzt werde, sei Sache des Präsidiums; dies entscheide in richterlicher Unabhängigkeit. Offen ließ Steinbacher, warum es trotz der Personalausstattung zu den massiven Engpässen kommen konnte.

Für den Rechtsstaat sei die Freilassung von Tatverdächtigen immer eine „sehr ungute Situation“, sagte der Amtschef. Insgesamt sei die Zahl solcher Fälle aber „sehr gering“: im vorigen Jahrzehnt seien es bis zu zehn pro Jahr gewesen, in diesem bis zu sechs. Gleichwohl sei „jeder einer zu viel“.

Überlastung dem Ministerium gemeldet

Das Landgericht hatte die Überlastung dem Justizministerium angezeigt und daraufhin Verstärkung erhalten. Diese kam aber offenbar zu spät, um die Freilassung der beiden Verdächtigen noch verhindern zu können. In den letzten Jahren waren Richterstellen aus dem Bereich des Strafrechts ins Zivilrecht verschoben worden. Die frühere Gerichtschefin Cornelia Horz, die heute das OLG führt, hatte damit auf den hohen Anfall von Zivilverfahren reagiert. Damals gab es bereits Warnungen vor Engpässen. Unter ihrem Nachfolger Andreas Singer, zuvor Personalchef im Justizressort, werden nun wieder die Kapazitäten für Strafsachen verstärkt.