Krawalle gegen Ausländer erschüttern Irland. Der Inselstaat hatte bis dato stets als besonders fremdenfreundlich gegolten. Nun formiert sich offenbar eine Opposition gegen die großzügige Aufnahme von Migranten.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Die Iren beschäftigt noch immer der Schock der unerwarteten Anti-Ausländer-Krawalle des Vormonats in Dublin, zumal man in diesem Teil der Insel eher ruhige Verhältnisse gewohnt ist. Viele Menschen sind erschüttert, da sie ihr Land in der Vergangenheit immer für besonders fremdenfreundlich gehalten hatten. Nicht zufällig hatte sich Irlands Tourismusbranche vor langer Zeit schon den alten Gruß „Céad mile fáilte!“ („Hunderttausendmal willkommen“) für Reklamezwecke zu eigen gemacht.

 

Umso schockierter waren irische Bürger darüber, dass an einem Abend Ende November 500 ihrer Landsleute mit Schildern wie „Irland ist voll“ oder „Irland den Iren“ durch die Straßen Dublins zogen, bevor sie Autos in Brand steckten, Polizei und Feuerwehr angriffen und Geschäfte plünderten. Entsetzt sprach damals Dublins Polizeipräsident Drew Harris von einer „völlig geistesgestörten Gruppe“ von Randalieren, die „von einer extrem rechten Ideologie besessen“ seien.

Anlass der Randale waren Gerüchte in den sozialen Medien, die sich schnell verbreiteten: Der Täter einer grausigen Messerstecherei, die sich am selben Tag vor einer Dubliner Grundschule ereignete, sei algerischer Herkunft gewesen. Den Krawallsüchtigen reichte allein schon dieser Verdacht für ihre wütende Aktion.

Irland gewährt großzügige Einreisebewilligungen

Regierungschef Leo Varadkar andererseits schwor, dass die Randale nichts damit zu tun haben, „was wir als Nation sind, was wir sein wollen oder was wir jemals sein werden“. Freilich weiß Varadkar auch, dass der traditionelle Willkommensgruß nach Ansicht einer wachsenden Zahl von Iren nur noch eingeschränkt für Migranten und Asylbewerber gilt. Grund dafür ist, dass das Land, in dem es vor ein paar Jahrzehnten kaum festansässige Fremde gab, im Zuge seiner großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen und anderen Zuwanderungswilligen inzwischen eine radikal veränderte Demografie aufweist. Ein Fünftel all derer, die heute in Irland leben, ist nicht in Irland geboren, sondern zugezogen.

Geradezu „eine Flut von Ausländern“ hätten die Regierenden ins Land gelassen, „ohne irgendwelche Kontrollen“, klagten Demonstranten bei den Krawallen. Ganz neu ist die Klage nicht. Proteste gegen die Aufnahme von Asylbewerbern hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Vor vielen Aufnahmezentren haben örtliche Demonstrationen stattgefunden. Eine Unterkunft in der Grafschaft Leitrim wurde zweimal angezündet. Und im Sommer belagerten Prostestierende das Parlament – und schnitten die Abgeordneten stundenlang von der Außenwelt ab.

Junge Iren finden keine Wohnung

Als explosiv erwiesen sich in letzter Zeit ernste soziale Probleme. In weiten Teilen Irlands herrscht eine krasse Wohnungsnot. Junge Leute haben Schwierigkeiten, überhaupt noch eine eigene Bleibe zu finden, während die Zahl der Flüchtlinge, für die der Staat Zimmer bereitstellt, sich allein zwischen 2021 und 2022 fast verzehnfacht hat.

Ältere Generationen, die mit der Erinnerung daran aufwuchsen, dass die britische Ex-Kolonie Irland bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts selbst noch ein Emigrationsland war, hatten sich oft ein besonderes Verständnis für die Probleme von Migranten erhalten. Jüngere denken da anders. Viele Familien leiden auch unter den enormen Lebenshaltungskosten und sind arm – obwohl die Staatskasse zurzeit von Steuereinnahmen florierender internationaler Konzerne profitiert. Immerhin – so die Bilanz örtlicher Beobachter – habe in der Irischen Republik bisher zahlenmäßig keine starke oder politisch einflussreiche rechte Bewegung Fuß fassen können. Doch der Glaube, Irland sei immun gegen Fremdenhass, mache neuerdings der Einsicht Platz, dass das Land „nicht so viel anders“ sei als andere europäische Nationen. Die Krawalle in Dublin haben mit der Vorstellung von einem progressiven keltischen Paradies aufgeräumt.