Der Renninger Lehrer Matthias Zeitler ist von dem Konzept Werkrealschule überzeugt.

Renningen - Während andere Bundesländer dieses Schulmodell komplett aus ihrem Bildungsangebot gestrichen haben, hält Baden-Württemberg an seinem dreigliedrigen Schulsystem aus der Weimarer Republik fest. Auch Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) ist steht zum Konzept der WRS. Sie sei ein wichtiger Bestandteil des Schulsystems, heißt es auf der Webseite der CDU. „Und das ist gut so“, betont Matthias Zeitler.

 

Der 35-jährige Lehrer Matthias Zeitler unterrichtet an der Werkrealschule, der Friedrich-Schiller-Schule, in Renningen. Er ist vom Konzept überzeugt. „Jeder Schüler kann somit auf seinem Bildungsniveau beschult werden“, sagt er. Zeitler wird nicht müde, die Bedeutung dieser Schulart zu thematisieren. Allen voran im Internet. Über moderne Plattformen wie Instagram und in seinem eigenen Podcast #SchuleBackstage rüttelt der Lehrer auf und erzählt Geschichten aus dem Schulalltag. „Matthias spricht mit spannenden Gästen über die wertvolle Arbeit in dieser Schulart, die leider viel zu oft medial und gesellschaftlich vergessen oder als „der Rest“ bezeichnet wird“, heißt es auf der Internetseite der Renninger Friedrich-Schiller-Schule.

Podcast mit Eisenmann

Für seinen Bildungs-Podcast hat Zeitler unter anderem die Kultusministerin Susanne Eisenmann ans Mikrofon geholt, auch der Schauspieler Hendryk Duryn, der in der Fernsehserie „Der Lehrer“ die Hauptrolle gespielt hat, war schon hier zu Gast. Mit der Rektorin der Renninger Werkrealschule, Melanie Diehm, hat er etwa über das Thema Schulleitung unter Pandemiebedingungen gesprochen, Schülerinnen der 10. Klasse haben vom Schulalltag in Zeiten von Corona erzählt. Matthias Zeitler gewährt einen Blick hinter die Kulissen seiner Schule – Backstage. „Hautnah erlebt, emotional erzählt“, verspricht er.

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Der 35-Jährige hat eine interessante Vita. Während seiner Referendariatszeit und nach dem zweiten Staatsexamen in Ingolstadt arbeitet er als Radiomoderator bei verschiedenen Sendern. In Stuttgart moderiert er die Morningshow, hat seine eigene Show, „Zeitler am Nachmittag“. 2019 wechselt er in den Schuldienst, dem Mikrofon bleibt er aber treu.

Selbstwertgefühl vermitteln

Eine Schule der Vergessenen, stigmatisiert für das, wofür sie steht – die ehemalige Hauptschule. Diese Vorurteile möchte der Renninger Lehrer nicht nur aus den Köpfen der Gesellschaft herausbekommen, sondern seinen Schülern ein gesundes Selbstwertgefühl vermitteln. „Ihr seid etwas wert, und ihr habt mehr drauf als ihr denkt, sage ich ihnen immer wieder“, erzählt der 35-Jährige. „Sie müssen sich anstrengen. Auch hier wird ihnen nichts geschenkt, aber ihr Abschluss ist etwas wert, und wenn er gut ist, steht ihnen draußen alles offen.“ Zeitler spricht voller Überzeugung und erzählt von einer ehemaligen Werkreal-Schülerin, die momentan auf Lehramt studiert. „Unser Schulsystem ist so offen, dass man nicht nur von dreigliedrig sprechen kann“, gibt er zu bedenken.

Dazu gehört auch die Gemeinschaftsschule. Prinzipiell hält Zeitler sie für ein gutes Konzept, aber nicht für alle Kinder geeignet. Er berichtet von Schülern, die dort untergehen. Schüler die eine homogene Gruppe benötigen, die auf gleichem Niveau arbeitet. „Es gibt einfach Kinder, die ein wenig langsamer lernen, und das ist okay.“ Seine Lehrerkollegen ziehen mit. „Die freuen sich, dass endlich mal jemand etwas dagegen tut und nicht nur meckert.“

Mehr als Lerninhalte

Dass er nicht alleine die Gesellschaft umkrempeln kann, weiß der zweifache Vater. „Ich kann nur Impulse und Anstöße geben. Aber wenn ich das schon bei einigen Schülern schaffe, dann habe ich doch wirklich alles erreicht, was ich eigentlich erreichen kann“, sagt er und schmunzelt. Zeitler geht es um mehr, als nur darum, Lerninhalte zu vermitteln. Es geht ihm um die Schüler – um jeden Einzelnen von ihnen und um die Beziehung zu ihnen.

Und sein Engagement zahlt sich aus. Das Vertrauen seiner Klasse in ihn ist groß, mit den Eltern hat er ein gutes Verhältnis, die Zusammenarbeit klappt. Eltern und Schüler haben seine private Handynummer. Gerade jetzt im Fernunterricht passe er auf, dass er keinen seiner Schüler verliere. Hat einer von ihnen Probleme, ruft er nachmittags an und erklärt den Stoff eben noch einmal.

6284 Schüler ohne Abschluss

Dann gibt es da noch die Zahlen des Statistischen Landesamts. Zahlen von Schülern, deren schulische Laufbahn durch Misserfolg geprägt ist. 6284 Schüler verließen 2019 die Schule ohne einen Hauptschulabschluss. 1710 kamen dabei von Gymnasien, Real- und Waldorfschulen. Nicht wirklich viel, wenn von 153 947 Schulabgängern ausgegangen wird.

Es gibt aber auch andere Zahlen, die zu denken geben. Diese schlagen sich in der Gefangenenstatistik der JVA Adelsheim nieder. 40 Prozent der inhaftierten Jugendlichen konnten keinen Schulabschluss vorweisen. Dementsprechend die Schlüsselfrage in der Bertelsmanns-Studie von 2010: ‚Unzureichende Bildung: Folgekosten der Kriminalität’, „welche Perspektiven hat ein Jugendlicher ohne Hauptschulabschluss heute?“

Also doch wieder ein gesellschaftliches Gesamtproblem, das immer noch aktuell ist. Schüler auffangen, die abgeschult werden. Das stigmatisiert die WRS erneut als Restschule und Auffanglager – ein schierer Teufelskreis.

Wegbegleiter für die Schüler

Matthias Zeitler kämpft dagegen an. Er sieht sich als Wegbegleiter für seine Schüler. Als einen Gefährten, der ihnen ein paar Türen öffnen kann. „Durchgehen müssen sie jedoch selbst und auch den Mut haben, diesen Schritt zu gehen“, sagt er. Seiner Klasse wünscht er, dass sie ihren tollen Humor behält und sie ihren Weg im Leben finden werden. „Sie sollen mit einem gesunden Selbstwertgefühl herausgehen, Ziele haben und wissen, wie sie diese auch erreichen können.“

Wenn die WRS dann noch von der Gesellschaft eine größere Akzeptanz erfährt und dieser Schultyp ganz gezielt von Eltern für ihre Kinder gewählt wird, die sich in einem praxisorientierten Lernumfeld wohler fühlen, hat er viel erreicht. „Jeder Schüler findet hier in Deutschland seine Schulart. Wichtig ist im Prinzip doch, dass es dem Kind gut geht. Das muss in das Bewusstsein der Eltern rein“, meint er. Schließlich sind wir nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der guten Handwerker – und die benötigen nicht alle Abitur.