Frühstück mit Christine und Thomas Steimle Mitten in der Stadt, mitten im Leben

Für sie zählt Vielfalt und Nachhaltigkeit: Thomas und Christine Steimle beim Frühstück in der Alten Kanzlei. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Das Büro Steimle Architekten hat seinen Sitz am Stuttgarter Marktplatz. Einen besseren Ort, um als Architekten zu arbeiten, können sich Christine und Thomas Steimle nicht vorstellen. Beim Frühstücks-Treffen in der Alten Kanzlei geht es um ihre Leidenschaft für ihre Projekte, Nachhaltigkeit und Betriebsausflüge der besonderen Art.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Schillerplatz, 9.30 Uhr: An den Gemüse- und Blumenständen herrscht an diesem sonnigen Augustmorgen noch wenig Betrieb, als Christine und Thomas Steimle heranschlendern. Ihr Weg zur Alten Kanzlei war nicht weit: Steimle Architekten sitzen direkt am Stuttgarter Marktplatz.

 

Zehn Jahre ist es her, dass Thomas Steimle sein eigenes Büro eröffnete, 2014 stieg seine Frau Christine als Büropartnerin mit ein. Kennengelernt hatten sie sich während ihrer Zeit bei Wulf Architekten. Aus dem Fünf-Mann-Betrieb im ehemaligen Haufler-Gebäude ist inzwischen ein Büro mit 30 Mitarbeitern im Haus mit der Nummer 6 geworden. Nun steht die dritte Erweiterung an, und beide sind glücklich, dass sie für eine zweite Bürofläche wiederum am Marktplatz fündig wurden. Einen besseren Ort, um in Stuttgart Architektur zu konzipieren, kann sich das Ehepaar nicht vorstellen, „im Herzen der Stadt, mitten im Leben“. Die Nähe zum Urbanen sei ihnen von Anfang an wichtig gewesen, sagt Thomas Steimle, in seinem Fall vielleicht auch deshalb, weil er, bis er acht Jahre alt war, in Barcelona aufwuchs; seine aus dem Reutlinger Raum stammenden Eltern seien beruflich viel in Europa herumgezogen. Christine Steimle hingegen ist in Cannstatt groß geworden.

Zwanzig gewonnene Wettbewerbe in fünf Jahren

In den ersten Jahren als selbstständiger Architekt habe er oft gar nicht im Büro, sondern im Schlossgarten oder hier am Schillerplatz mit dem Laptop gesessen, erzählt Thomas Steimle – auch ein Indiz für seine mediterrane Prägung. Ihre Wahl auf der Speisekarte treffen die beiden Mitt-Vierziger, die Eltern eines zweijährigen Sohnes sind, schnell: Sie nimmt zur Latte macchiato Lachs mit Rührei, er entscheidet sich für ein Schweizer Frühstück mit viel Käse, dazu einen doppelten Espresso. Meist werde eher knapp gefrühstückt, sagen sie, da müsse manchmal „die schnelle Butterbrezel in der Bahn“ reichen.

Steimle Architekten sind ein aufstrebendes Architekturbüro; von den anfänglichen privaten Wohnhäusern erweiterte sich das Spektrum schnell auf größere, öffentliche Projekte. Die Initialzündung dafür war der Neubau für die Südweststrom in Tübingen. Ein Wettbewerb mit zwei ersten Plätzen, der zurück in die Überarbeitung ging. „Wir haben für das Projekt gebrannt“, blickt Christine Steimle zurück, so konnten sie sich als Newcomer gegen den Konkurrenten, einen alten Hasen im Bürobau, durchsetzen. Inzwischen bauen sie von Radolfzell über Dresden bis Hannover und Berlin: ein Rathaus, ein Landratsamt, Wohnquartiere, das neue SWR-Gebäude in Mannheim. Genau diese Vielfalt der Bauaufgaben sei ihnen wichtig, keinesfalls wollen sie sich auf einen Bautypus spezialisieren. Zwanzig gewonnene Wettbewerbe allein in den vergangenen fünf Jahren können sie vorweisen, darunter immer wieder Projekte, mit denen sie Auszeichnungen und mediale Aufmerksamkeit erzielen.

Vielfach ausgezeichnet: ihre Bibliothek in Kressbronn

So ist auch eines ihrer jüngsten Gebäude hochdekoriert: Ihre Bibliothek in Kressbronn erhielt unter anderem den Deutschen Holzbaupreis 2019 und brachte ihnen den Best Architects 20 Award ein. „Alles, was besonders klingt, reizt uns“, sagt Christine Steimle. Und besonders war die Bauaufgabe am Bodensee allemal, galt es doch, einen zu Beginn der 1920er Jahre errichteten Bauernstadel im Ortszentrum in eine Stadtbücherei des 21. Jahrhunderts zu verwandeln. Dabei ist es ihnen gelungen, die Geschichte der historischen Scheuer mit modernen architektonischen Mitteln weiterzuerzählen: Sie verwendeten Leichtbeton für den tragenden Sockel, bewahrten das Satteldach wie auch das Holztragwerk des Tennengeschosses und überführten die vertikale Heustadel-Holzlatten-Optik in eine feingliedrige, lichtdurchlässige Fassade aus aufgedrehten Holzlamellen.

Die Bücherei ist auch für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert – Nachhaltigkeit habe einen hohen Stellenwert bei ihrer Arbeit, wie Thomas Steimle sagt. Ihre Philosophie: „Lieber auf Unnötiges verzichten, um mehr Architektur und Qualität zu schaffen“. So seien beim Bauen mit Leichtbeton keine zusätzlichen Dämm-Materialien nötig; sie schätzten den mit einem Blähton-Zuschlag versehenen Beton als nachhaltigen „Werkstoff, der die Jahre überdauert“.

Junge Büros haben es in Stuttgart schwerer

Dass man als Paar gemeinsam ein Büro betreibt, kommt in der Architektur häufiger vor. Wie aber muss man sich da den Entwurfsprozess vorstellen? „Als eine Mischung aus Chaos und Struktur“, sagt Thomas Steimle – „und ich bin das Chaos und du die Struktur“, schließt seine Frau sofort an und lacht dabei, wie häufig während des Frühstücks, herzhaft und einnehmend. Er gehe eher analytisch-strukturell vor und brauche lang, bis er einen Strich auf dem Papier habe, so Thomas Steimle, während bei seiner Frau schnell eine ganze Skizzenrolle voll sei. Wenn es aber darum gehe, die Arbeit eines Teamkollegen beim Vorübergehen zu beurteilen, „dann sagen wir zu 99 Prozent dasselbe“, ergänzt Christine Steimle.

In Stuttgart haben sie bislang wenig gebaut, obwohl sie sich an fast jedem Wettbewerb beteiligten. Das habe zwar auch mit Glück zu tun, sagt Thomas Steimle, aber auch damit, dass man es als jüngeres Büro hier bei Wettbewerben schwerer habe als in anderen Städten, „wenn man nicht eine Vielzahl gebauter Referenzen in der gefragten Typologie“ vorweisen könne.

Überraschungsreise mit dem ganzen Team

Auch beim städtebaulichen Wettbewerb für das Rosensteinquartier haben sie mitgemacht, schlicht aus der Pflicht heraus, „Stadtentwicklungsdebatten nicht nur zu verfolgen, sondern als Architekten Verantwortung zu übernehmen“. Für den neuen Stadtteil erhoffen sie sich nun ein besseres Ergebnis im Vergleich zu dem, was „um die Stadtbibliothek herum“ entstanden sei. Auch für die Neugestaltung des Marktplatzes hatten sie sich – ebenfalls vergeblich – beworben, „das ist schließlich unser Wohnzimmer“, sagen sie unisono.

Längst haben sich die Terrassentische der Alten Kanzlei gefüllt – und die Arbeit am Marktplatz ruft. Das Büro sei ihre Familie, sagen sie, und dass das bei den Steimles keine hohle Floskel ist, zeigt sich vielleicht auch daran, dass sie alle zwei Jahre einen Wochenend-Trip mit dem ganzen Team unternehmen; man war schon in Venedig und Barcelona. Der Clou: Die Kollegen wüssten bis zum Abreisetag nicht, wohin es gehe, erzählen sie und können dabei ihren Spaß an diesem Überraschungspaket nicht verhehlen. Ende August ist es wieder soweit, doch zuerst steht der Familienurlaub an. Sie will nach Island, er lieber in den Süden. Der Urlaub beginnt in wenigen Tagen – „wir haben noch nichts gebucht.“

Frühstück mit . . .

In loser Folge bitten wir Zeitgenossen aus dem Stuttgarter Kulturleben in einem Café ihrer Wahl zum Gespräch über Themen und Projekte, die sie beschäftigen. Und natürlich über ihre Frühstücksgewohn-heiten: Tee oder Kaffee, Müsli oder Croissant?

Im Sommer 2019 Sommer frühstücken wir außer mit Christine und Thomas Steimle etwa mit Ulrike Groos, der Direktorin des Stuttgarter Kunstmuseums, dem Schauspieler Sebastian Schäfer, der Kunstvermittlerin Sara Dahme, Andreas Hykade von der Filmakademie Baden-Württemberg oder Axel Preuß, dem Chef der Schauspielbühnen in Stuttgart.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Architektur