Seit dem vergangenen Jahr spukt es in manchen Führungen durch die Landeshauptstadt.

S-Mitte - Es ist dunkel, es ist kühl und in der Luft hängt, nachdem der Nieselregen unerwartet aufgehört hat, ein Hauch von Restfeuchte in den Straßen und Gassen von Stuttgart. Es sind die perfekten Rahmenbedingungen für die Geisterführung, zu der sich an diesem unwirtlichen Maiabend 14 mutige Frauen und Männer aufmachen – geführt von Katharina Helmerich. In dunklem Gewand führt sie, ausgehend vom Rathaus, wo die Tour unter der Stuttgardia startet, die Teilnehmer zur Stiftskirche und zum Alten Schloss, zur Markthalle und durchs Bohnenviertel, um nach exakt einer Stunde an der Eberhardskirche und wieder in der Gegenwart anzukommen. Katharina Helmerich führt die an Stuttgarter Geistergeschichten Interessierten nicht nur über geteerte und gepflasterte Wege und Plätze, sondern auch in die Vergangenheit. Da soll es, wenn man der ausdrucksstarken Führerin Glauben schenkt, mancherorts gespukt haben. „Selbst heute begegnet man noch manchmal den Geistern“, beteuert Helmerich, die von armen Seelen, kopflosen Reitern und im Morgengrauen umherwandelnden Gestalten berichtet.

 

Kein leibhaftiger Geist erscheint

Die einstündige Tour ist unterhaltsam. Auch wenn einem an diesem Abend kein leibhaftiger Geist erscheint, der über den Schillerplatz wandelt, der in der Toreinfahrt des alten Stuttgarter Waisenhauses lauert oder in der Weberstraße mit kühlem Windhauch begegnet, kann einem mitunter ein wenig mulmig werden, wenn Katharina Helmerich, die ein- bis zweimal wöchentlich durch die verwinkelten Gassen führt, davon berichtet, wie einst – so zumindest heißt es in einer Sage – in der Schulstraße die Pferde von Soldaten ohne erkennbaren Grund wie angewurzelt stehen geblieben sind. Aber auch von historisch belegten Ereignissen aus der Zeit, als der Reformator Johannes Brenz im 16. Jahrhundert Probst der Stiftskirche wurde und durch welche wundersame Begebenheiten er den Häschern „des erzkatholischen Kaisers entgangenen ist, der die Spaltung der Kirche nicht hinnehmen wollte“, bekommen die Teilnehmer der Geistertour zu hören.

In Gedanken begegnen sie aber auch einer durch den Hof des alten Stuttgarter Waisenhauses geisternden Frau, die nach ihrer Tochter Johanna sucht. Im auch als Esslinger Vorstadt bezeichneten Bohnenviertel erfahren die nächtlichen Spaziergänger einiges zu einem kopflosen Reiter. Dieser Geist eines Postreiters soll vier Jahrzehnte lang nächstens durch Esslingen und Stuttgart geritten sein, nachdem er zu Unrecht wegen eines vermeintlichen Mordes hingerichtet worden war. Erst als der wahre Täter starb, so schildert es Helmerich, habe auch der kopflose Reiter Ruhe gegeben, der bis dahin auf seinen Ritten mitunter auch markerschütternde Töne aus seinem Posthorn jagte.

Mehrmals wöchentlich wird die Tour angeboten

Von solchen Tönen bleiben die Tourteilnehmer aber verschont. Stattdessen sind es Kirchenglocken, die die Nachtwandelnden begleiten und ihnen bedeuten, welche Stunde ihnen geschlagen hat. Die anderen Geräusche stammen aus der Neuzeit, dem Hier und Jetzt: Über die Straßen rollende Autos und Martinshörner von Einsatzfahrzeugen, die die Nacht zerschneiden.

Mehrmals wöchentlich wird die Geistertour, die schon bald um eine weitere ergänzt werden soll, angeboten. Der Zuspruch bei den von vier Führern geleiteten Touren ist groß. Bis knapp an die 100 Teilnehmer sind laut Annette Ladovic, der Chefin von „Stuttgarter Geister“, schon bei Einzelführungen auf dem Weg gewesen. „Aber die Touren finden immer statt, auch wenn mal nur einige Interessierte mit am Start sind“, sagt sie und freut sich, dass nur an wenigen Tagen weniger als ein Dutzend Leute den hiesigen Geistern nachspüren.