Führungskrise beim VfB Stuttgart Die Aufräumarbeiten haben begonnen – wie geht es weiter?

Thomas Hitzlsperger hat das Wort – denn seine Vorstandskollegen Jochen Röttgermann (links) und Stefan Heim (Mitte) sind vom Aufsichtsrat abberufen worden. Foto: Baumann

Auch nach dem Aus für die Vorstände Stefan Heim und Jochen Röttgermann bleiben in der Führungskrise des VfB Stuttgart viele Fragen offen. Die wichtigste lautet: Was wird aus Präsident Claus Vogt?

Stuttgart - Ein langer Arbeitstag liegt hinter ihm, als Thomas Hitzlsperger noch immer nicht daran denkt, den Feierabend einzuläuten. Am späten Samstag setzt sich der Vorstandschef des VfB Stuttgart noch einmal an den Computer, um seine Mitarbeiter in einer Mail darüber in Kenntnis zu setzen, woran es zuletzt einige Zweifel geben konnte: „Es ist sichergestellt, dass der VfB weiterhin vollumfänglich handlungsfähig bleibt.“

 

Vorangegangen ist an jenem Tag nicht nur das 1:1 gegen Hertha BSC, sondern auch eine Nachricht, die sehr viel mehr Aufsehen erregt hat als der ehe müde Bundesligakick gegen den Hauptstadtclub aus Berlin: Gut eine Stunde nach dem Schlusspfiff teilte der Aufsichtsrat mit, dass die beiden VfB-Vorstände Stefan Heim und Jochen Röttgermann mit sofortiger Wirkung abberufen werden.

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Die Führungskrise hat also zu den ersten personellen Konsequenzen geführt, die Aufräumarbeiten haben begonnen – doch gibt es weiterhin viele offene Fragen.

Warum müssen Stefan Heim und Jochen Röttgermann gehen?

Als Assistent des damaligen Geschäftsführers Thomas Weyhing begann Heim (50) vor 23 Jahren seine Tätigkeit beim VfB und wurde im Juli 2015 zum Finanzvorstand bestellt. Marketingvorstand wurde zum gleichen Zeitpunkt Jochen Röttgermann (54), der im August 2006 von der Sportvermarktungsagentur IMG zum VfB gekommen war. Mit der Mitteilung des Aufsichtsrats, in der die beiden Namen nicht genannt wurden, ist die gemeinsame Ära nun jäh zu Ende gegangen.

Über die Gründe für die einstimmige Abberufung hat sich das Kontrollgremium vorerst nicht geäußert. Doch besteht kein Zweifel daran, dass Heim und Röttgermann über die Datenaffäre gestolpert sind, deren Aufklärung den VfB seit Monaten in Atem hält. Erheblich müssen ihre Verfehlungen gewesen sein, wie offenbar auch die Kanzlei Gleiss Lutz festgestellt hat, die im Auftrag des Aufsichtsrats die rechtliche Bewertung des Esecon-Abschlussberichts vorgenommen hat. Zuletzt hatte der „Spiegel“ aus dem Rechtsgutachten der Kölner Kanzlei Seitz berichtet, die vom e. V. beauftragt worden war: Aufgrund „arglistiger Täuschung der Mitglieder“, so heißt es darin, sei eine Abberufung der beiden Vorstände denkbar.

Wie geht es mit Thomas Hitzlsperger weiter?

Es ist nicht die Weitergabe von Mitgliederdaten, sondern seine Rolle bei der Aufklärung der Affäre, die den Vorstandsvorsitzenden in schwere Bedrängnis gebracht hat. Auch Hitzlsperger, so steht in den Esecon-Dokumenten, habe Einfluss auf die Ermittlungen genommen und damit eine unabhängige Aufarbeitung erschwert – ein Vorwurf, den der AG-Chef zuletzt mehrfach dementiert hat.

Auf Basis der „vorliegenden Untersuchungsberichte und Rechtsgutachten“ hat der Aufsichtsrat Hitzlsperger nun das „uneingeschränkte Vertrauen“ ausgesprochen und ihm „ein rechtskonformes Vorgehen bei der Aufklärung“ attestiert. Unberücksichtigt lässt das Kontrollgremium, was dem Meisterspieler von 2007 noch mehr Ansehen gekostet hat als mögliche Fehler in der Datenaffäre: die schweren Attacken auf Präsident und Aufsichtsratschef Claus Vogt und die (inzwischen widerrufene) Präsidentschaftsbewerbung in seinem offenen Brief, mit dem Hitzlsperger den VfB Ende vergangenen Jahres in Chaos gestürzt hatte. Bis heute hat sich das Kontrollgremium zu diesem beispiellosen Vorgang nicht geäußert.

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Stattdessen hat Hitzlsperger nun den Auftrag bekommen, „weitere Personalentscheidungen schnellstmöglich unter Berücksichtigung der besonderen arbeitsrechtlichen Bedingungen“ herbeizuführen. Was im Klartext heißt: Es wird nicht mehr lange dauern, bis weitere Führungskräfte des VfB ihre Schreibtische räumen müssen. Eine große Überraschung wäre es, würde nicht in Kürze die Freistellung von Kommunikationschef Oliver Schraft, Marketingleiter Uwe Fischer und vom früheren Projektleiter Ausgliederung, Rainer Mutschler, verkündet werden. Zuletzt hatte Mutschler als Präsidiumsmitglied gemeinsam mit Bernd Gaiser und gegen den Willen des Clubchefs Vogt die Mitgliederversammlung auf 28. März gelegt und gleichzeitig eine Veröffentlichung des Esecon-Berichts abgelehnt.

Was wird aus Claus Vogt?

Als Erfolg darf es der Präsident verbuchen, dass nun derart weitreichende personelle Konsequenzen gezogen werden. Schließlich ist er es gewesen, der den Mitgliedern nach Bekanntwerden der Datenaffäre (und gegen viele Widerstände in den eigenen Reihen) die lückenlose Aufklärung versprochen hatte. Sein Ansehen bei weiten Teilen der organisierten Fans ist dadurch noch größer geworden – genau wie der Graben innerhalb des Vereins, in dem sich Vogt erbitterten Gegnern gegenübersieht.

Zu ihnen gehört allem Anschein nach auch weiterhin Thomas Hitzlsperger, der sich bei der Frage, ob er sich eine weitere Zusammenarbeit mit Vogt vorstellen könne, noch immer windet: „Das ist eine Entscheidung, welche die Mitglieder zu treffen haben“, sagte er in der Halbzeit des Hertha-Spiels am Sky-Mikrofon. „Es muss wieder nach vorne geschaut und konstruktiv weitergearbeitet werden. Ich werde meinen Teil dazu beitragen.“

Sehr viele VfB-Mitglieder würden nichts lieber tun, als Vogt im Amt zu bestätigen – ungewiss aber bleibt auch weiterhin, ob der bei den Fans beliebte und in den Gremien isolierte Präsident überhaupt die Gelegenheit bekommt, sich zur Wiederwahl zu stellen. Am Sonntagnachmittag traf sich der Vereinsbeirat zur nächsten (und womöglich entscheidenden) Sitzung, um über die Nominierung der Präsidentschaftskandidaten zu beraten. Es wurde damit gerechnet, dass sie bis weit in den Abend dauern könnte. Unklar vorerst, inwieweit die jüngsten Entscheidungen und Veröffentlichungen die Stimmungslage in dem achtköpfigen Gremium verändert haben.

Wie geht das Tagesgeschäft weiter?

Im Vorstand ist vorerst nur Thomas Hitzlsperger übrig geblieben – er weiß: „All das kann keiner alleine stemmen.“ Daher habe er, wie er der VfB-Belegschaft mitteilt, eine „Steuerungsgruppe ins Leben gerufen, die mich so lange unterstützen wird, bis der Aufsichtsrat über eine Nachfolge im Vorstand entschieden hat“. Ihr gehören die Direktoren Jens Bräuning (Business to Customer), Bernd Burger (Operations/Sicherheit), Markus Erdmann (Business to Business), Tobias Keller (Finanzen), Markus Rüdt (Sportorganisation), Christian Ruf (Strategie) sowie Janna Kohlmann (Personal) und Florian Mattner (Kommunikation) an. An diesem Montag, schreibt Hitzlsperger, werde man sich „erstmalig mit mir und weiteren Führungskräften austauschen“. Es dürfte viel zu besprechen geben.

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