„Hallo, können Sie mich hören?“, ruft Beate Wichtler. Doch der Körper am Boden bleibt reglos. Gleicht macht sich Wichtler daran, Aufgaben zu delegieren: „Können Sie schnell den Rettungsdienst anrufen?“ Zu einem anderen Umstehenden sagt sie: „Sie gehen bitte in die Hütte dort drüben, dort liegt ein Defibrillator.“ Dann beginnt sie eine Herzdruckmassage.
Dass diese oder der automatische Defibrillator dem Patienten Leben einhaucht, wäre in diesem Fall ungewöhnlich – denn der Körper ist ein Dummy aus Gummi. Die Teilnehmer eines Erste-Hilfe-Kurses üben an ihm, wie man einen leblosen Menschen wiederbelebt. Der Kurs ist speziell auf Outdoor-Situationen ausgerichtet. Beate Wichtler ist Ausbildungsbeauftragte beim Roten Kreuz (DRK) Rems-Murr. Alle paar Wochen bietet sie solche Kurse an. Für viele Teilnehmer war der Erste-Hilfe-Kurs zum Führerschein, absolviert vor Jahrzehnten, der letzte. Manche sind einfach gern an der frischen Luft, andere brauchen den Kurs für eine Tätigkeit als Wanderführer – allen ist gemein, dass sie auf Notsituationen unterwegs vorbereitet sein wollen.
Welche Verletzungen passieren unterwegs am häufigsten? Oft sind es nicht einmal schwere Verletzungen, die unterwegs – vor allem auf Bergtouren, abseits befestigter Straßen und Wege – zum Problem werden können. „Es kommt auf die Sportart an, aber meist kommt es zum Beispiel zu einem umgeknickten Fuß, einem verstauchten Knöchel oder einem aufgeschlagenen Knie“, erklärt Beate Wichter. Auch Probleme durch Hitze und/oder zu wenig Flüssigkeit seien häufig.
„Bei der Ersten Hilfe sind auf jeden Fall Flüssigkeit und Wärmeerhalt zwei wichtige Grundpfeiler“, sagt Wichtler. Ersteres stabilisiere den Kreislauf, zweiteres werde oftmals vernachlässigt: „Sogar bei scheinbar warmen Temperaturen kann jemand, der reglos am Boden liegt, auskühlen.“
Viel hilft viel? Nur, wenn man es dabeihat. Im Handel erhältlich sind Erste-Hilfe-Sets in Taschen und sogar ganze Notfallrucksäcke – alles sei gut, sagt Wichtler. „Aber man muss sich überlegen, ob man das im Fall der Fälle dann auch wirklich dabei hat.“ Bei ihrem Kurs zeigt sie daher, wie man Verunglückten mit dem absoluten Minimum helfen kann – „für mich sind das zwei Rettungsdecken und zwei Dreieckstücher“.
Wenn man nämlich weiß, wie man es anstellt, werden vor allem letztere zu regelrechten Multitalenten. In Wasser getaucht, können die Tücher eine Beule am Kopf oder einen dicken Insektenstich kühlen. Um den Kopf gewickelt, wird ein Dreieckstuch flott zum hervorragenden Sonnenschutz. „Mit ihnen kann man auch jede Art von blutender Wunde versorgen.“ Ein Dreieckstuch kann sogar zu einer Trage umfunktioniert werden, mit der zwei Personen einen Verletzten relativ komfortabel zur nächsten Straße tragen können.
Prävention kann jeder leisten Auch in Zeiten von Smartphones oder tragbaren GPS-Systemen kann es nie schaden, die Orientierung zu haben. „Vor allem auf Bergtouren kann es durchaus sein, dass die Netzabdeckung nicht ausreicht“, sagt Wichtler. „Daher ist es wichtig, zumindest zu wissen, wo man sich ungefähr befindet.“ Das helfe dabei, im Notfall entweder Rettungskräften den Unfallort besser beschreiben zu können oder den Weg zurück zu finden. „Es hilft schon, wenn man sich den Start- und den Zielpunkt vorher kurz noch einmal anschaut.“
Richtig gelagert ist schon halb geholfen Schon durch die richtige Lagerung eines Verletzten könne man diesem helfen, sagt die Rotkreuzlerin. Dabei komme es individuell auf den Notfall an: „Wenn jemandem schwindlig ist, sollte man seine Beine leicht erhöht hinlegen. Hat jemand dagegen Atemprobleme, sollte man seinen Oberkörper nach oben bringen.“ Bewusstlose Patienten bringe man dagegen am besten in eine stabile Seitenlage. „Bei Bauchschmerzen ist eher eine Embryonalhaltung zu empfehlen“, sagt Wichtler. Mit der richtigen Lagerung tue der Ersthelfer schon viel: „Schließlich ist Erste Hilfe ja nie als Ersatz für die professionelle ärztliche Hilfe gedacht, sondern immer als Überbrückung, bis diese geleistet werden kann.“
Kommen Rettungsdecken zum Einsatz, kann man diese bei Kälte auch doppelt legen und mit Naturmaterialien oder Kleidungsstücken auspolstern. Ob die goldene oder silberne Seite nach außen komme? „Sie unterscheiden sich von der Reflexionsfähigkeit nur minimal“, verrät Wichtler. Wichtiger sei es, zu überlegen, ob die goldene oder die silberne Seite auf dem jeweiligen Untergrund von Rettern besser gesehen werde könne.
Jeder kann irgendwie helfen – sei es durch den Notruf Aus Studien weiß man: Je mehr Menschen einen Unfall oder eine Straftat beobachten, desto größer ist die Hemmung für den Einzelnen, Hilfe zu leisten. „Unterwegs im Gelände verhält sich das zum Glück etwas anders“, sagt Wichtler. Dennoch ist es ihr sehr wichtig zu betonen, dass im Gelände jede Art von Hilfe enorm wichtig sei. „Einen Notruf abzusetzen bekommt auch wirklich jeder hin. Sobald Atmung, Bewusstsein oder der Kreislauf massiv beeinträchtigt sind, sollte man einen Notruf absetzen.“ Wer sich unsicher sei, ob eine Situation das Wählen von 110 oder 112 rechtfertige, könne sich auch erst einmal an die nächste Rettungsleitstelle wenden: „Die Kollegen dort haben die Aufgabe, da Hilfestellung zu geben.“ Gerade unterwegs solle man nicht zögern, Aufgaben an Umstehende zu verteilen. „Am besten ist, man spricht die Leute dann direkt an. Sagt man ,Könnte mal jemand?’, reagiert darauf keiner“, rät Wichtler.