Gut 35 Jahre nach den Ausgrabungen sind die Funde aus dem Hochdorfer Keltengrab allesamt dokumentiert und interpretiert – außer einem.

Eberdingen - Sie haben jeden Stein dokumentiert, jede noch so kleine Tonscherbe bewertet und den Nutzen von zig keltischen Gebrauchsgegenständen interpretiert – 35 Jahre hat das gedauert. Jetzt ist den Archäologen nur eines der größten Fundstücke aus dem Hochdorfer Keltengrab noch ein Rätsel: die Sitzbank. Bis zum kommenden Frühjahr soll auch die Herkunft und der damalige Gebrauch dieser Fürstenbank erforscht sein. Doch ob die ganze Wahrheit herausgefunden werden kann, ist fraglich.

 

„Dieses Möbelstück ist archäologisch sehr schwer zu beurteilen“, sagt Jörg Biel. Weil auf der Welt nichts Vergleichbares gefunden worden sei, sei die Einordnung schwierig. Die Frage nach der Herkunft des Stückes beziehungsweise der Materialien, aus dem es hergestellt wurde, sei bislang ebenso offen geblieben wie die nach der früheren Nutzung: War es ein Bett? Ein Thron? Ein Sofa? Eine Sitzbank? Wurde es aus Materialien aus der Umgebung, aus dem Schwarzwald oder doch aus Italien hergestellt? Letzteres sei wahrscheinlich, meint Biel. Die Auswertungen der Substanzen mit Hilfe der allerneuesten Techniken der Archäologie seien noch im Gange – aber letztlich werde man wohl keine absolute Gewissheit erhalten, sondern nur eine gewisse Auswahl an Möglichkeiten, die in Frage kommen.

Kolloquium zu Ehren des Ausgrabungsleiters

Biel hat die Ausgrabungen des Fürstengrabes vor 35 Jahren geleitet und sich seither mit diesem sowie der nicht weit davon entfernt entdeckten keltischen Siedlung beschäftigt. Der 70. Geburtstag des einstigen Landesarchäologen wurde nun zum Anlass genommen, ein wissenschaftliches Kolloquium mit dem Titel „Thron oder Sofa? Aktuelle Forschungen zur Sitzbank von Hochdorf“ in dem Teilort von Eberdingen zu veranstalten. Rund 300 Fachleute kamen zu der Tagung am Freitag. „Das zeigt, wie sehr die Ausgrabungen von Hochdorf auch nach 35 Jahren noch im Mittelpunkt des Interesses stehen“, sagt Dieter Planck, Vorsitzender der Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern.

Laut Jörg Biel hat sich Hochdorf inzwischen zu einem international bedeutenden Zentrum für Keltenforscher entwickelt. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen belegten dies. Doch es gibt auch Dinge, die bislang in keiner Veröffentlichung vorkamen. Dinge, die für die Wissenschaft nicht von Belang waren, aber umso mehr über die Arbeit der Archäologen damals und über die Situation an der Grabungsstelle in Hochdorf erzählen: Anekdoten, Erlebnisse sowie persönliche Eindrücke des Grabungsleiters Jörg Biel selbst. Diese sind nun von der SWR-Moderatorin und Autorin Heike Lüttich in einem kleinen Buch unter dem Titel „Hochdorf – Steine, Gold und Menschenmassen. Erinnerungen des Ausgräbers Jörg Biel“ zusammen gefasst worden.

Anekdoten von den Arbeiten an der Fundstelle

So erfährt der Leser des Buches unter anderem, wie geschockt Biel war, als ihm klar wurde, dass er jeden einzelnen Stein des Fürstengrabes würde exakt abzeichnen müssen – Computer und Digitalkameras gab es dafür noch nicht. Es wird beschrieben, wie Biel sich ein Messgerät aus einer Klopapierrolle bastelte, mit welchen Massen an Besuchern sich die Archäologen bei der Grabung konfrontiert sahen – im Schnitt 1000 am Tag – und unter welchem Druck sie arbeiten mussten, weil viele Funde wie beispielsweise Textilien beim Kontakt mit Sauerstoff schnell zu zerfallen drohten.

Und dann war da das Problem mit dem Gold: So manch ein Schmuckstück aus dem Edelmetall wurde ausgegraben. Doch weil zunächst Fundstelle und Position genau dokumentiert werden mussten, konnten die wertvollen Stücke nicht sofort geborgen werden. Damit sie nicht gestohlen werden konnten, erklärte sich ein befreundeter Bergsteiger bereit, Nacht für Nacht seine Hängematte über den Goldfunden aufzuhängen und dort zu schlafen. Als das erhebendste Ereignis aber beschreibt Biel in dem Buch den Fund der Sitzbank: „Diese zu finden war ein unbeschreibliches Gefühl.“