Um die Becel pro.activ-Margarine aus dem Hause Unilever ist ein Streit entbrannt. Am Freitag Vormittag werden Richter am Landgericht Hamburg mögliche Nebenwirkungen beurteilen.

Stuttgart - „Senkt aktiv den Cholesterinspiegel“, heißt es auf der Margarinenschachtel. Während sich der Lebensmittelkonzern Unilever laut einer Pressemitteilung vom November 2011 darauf beruft, dass es „aus wissenschaftlicher Sicht keinen Hinweis auf Nebenwirkungen“ gebe, sehen das Foodwatch-Vertreter anders: „Eine Margarine, die nachweislich den Cholesterinspiegel senkt, hat eine medizinische Wirkung. Sie gehört in die Apotheke, nicht in den Supermarkt“, sagt der Foodwatch-Sprecher Oliver Huizinga. Verbraucher müssten davon abgehalten werden, unkontrolliert an ihren Blutwerten herumzudoktern.

 

Im Januar hat Foodwatch eine Unterlassungsklage beim Landgericht Hamburg eingereicht. Heute soll das Urteil fallen. Unilever führt 40 Studien für die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der Margarine an, Foodwatch setzt eine Vielzahl dagegen. Der Konzern solle nicht mehr mit der Unbedenklichkeit der Margarine werben dürfen, weil die Phytosterine – der pflanzliche Stoff, der das Cholesterin senkt – umstritten seien, sagt Oliver Huizinga. „Sie stehen im Verdacht zu verursachen, was sie verhindern sollen: Ablagerungen in den Gefäßen und ein erhöhtes Risiko für Herzkreislaufkrankheiten.“

Unumstritten: der Cholesterinspiegel sinkt

Vermutlich wird die Margarine nicht aus dem Kühlregal verschwinden – und sie wird wohl auch kein Arzneimittelprüfverfahren durchlaufen müssen, wie sich das der Kläger wünscht. Seit 2000 ist die Margarine als erstes Novel-Food-Produkt EU-weit zugelassen. Die Margarine wurde damals nach der Novel-Food-Verordnung als neuartiges Lebensmittel überprüft. Bei Unilever blickt man dem Urteil gelassen entgegen: die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) habe dem Produkt 2009 einen Health Claim erteilt, sagt ein Unilever-Sprecher. Seitdem darf der Hersteller mit einem klar definierten gesundheitlichen Nutzen werben. Es gebe keine Studie, die besagt, dass Phytosterine zu Nebenwirkungen beim Menschen führen können, heißt es aus dem Hause Unilever. „Hätten wir Zweifel an der Sicherheit, würden wir die Produkte nicht weiter vertreiben.“

Unumstritten ist, dass man mit den Phytosterinen, wie sie in der Becel pro.activ enthalten sind, einen erhöhten Cholesterinspiegel um zehn Prozent senken kann. Was genau Phytosterine darüber hinaus im Körper bewirken, wissen die Forscher allerdings noch nicht genau. So ist nicht klar, ob der eigentliche Zweck der Cholesterinsenkung, das Herzinfarktrisiko zu senken, damit erreicht wird. „Den Zusammenhang zwischen Cholesterinsenkung mit Phytosterinen und reduziertem Herzinfarktrisiko können wir noch nicht belegen“, sagt Bernhard Watzl vom Max-Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe. Man gehe aber davon aus, dass Phytosterine eine positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System haben, weil jede Senkung des Cholesterinspiegels diesen Effekt verspreche. Experten zufolge überwiegt der Nutzen für Verbraucher mit einem erhöhten Blutfettwert, selbst wenn nicht alle Wirkungen bekannt sind.

Als Prophylaxe nicht geeignet

Was aber, wenn am Kühlregal ganz andere Menschen zugreifen als die Personen mit erhöhtem Cholesterinspiegel? Eine Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) mit den Verbraucherzentralen aus dem Jahr 2007 kommt zum Ergebnis: von 1000 Käufern der Spezialmargarine hatten nur 55 Prozent erhöhte Blutfettwerte, die restlichen 45 Prozent aßen das funktionelle Lebensmittel innerhalb der Familie als Prophylaxe mit. Sie hofften, sich damit etwas Gutes zu tun oder einen ungesunden Lebensstil auszugleichen. Unter den 45 Prozent waren auch Schulkinder. Auf der Packung ist ein Hinweis angebracht, demzufolge Becel pro.aktiv exklusiv für Personen mit erhöhtem Cholesterinspiegel bestimmt ist. Wer Medikamente zur Cholesterinsenkung nehme, solle den Arzt um Rat fragen. Für Schwangere, Stillende und Kinder unter fünf Jahren sei die Margarine „unter Umständen“ nicht zweckmäßig.

Kaum einer der Befragten wusste zudem, dass der tägliche Verzehr der Spezialmargarine die Aufnahme einiger Carotinoide und fettlöslicher Vitamine aus der Nahrung bremst. Deshalb ist es wichtig, zusätzlich ausreichend Obst und Gemüse in den Speiseplan einzubauen.

Das BfR hat im vergangenen Jahr empfohlen, die Efsa mit einer Neubewertung der Phytosterine als Lebensmittelzutat zu beauftragen. „Aufgrund der aktuellen Studienlage sieht die Efsa derzeit eine Neubewertung nicht als erforderlich“, berichtet jedoch Alfonso Lampen, Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit beim BfR.

Einige Hersteller haben die Forschung eingestellt

Klar ist, dass vieles unklar ist. „Vielleicht sollte man eher die Frage stellen, wer die Produkte überhaupt braucht“, sagt Bernhard Watzl vom MRI. Wer einen erhöhten Cholesterinspiegel habe, sollte mit einer bewussten Ernährung gegensteuern: viel Obst und Gemüse, wenig tierische Eiweiße. „Es kommt immer auf die Höhe des Cholesterinspiegels und auf andere Risikofaktoren an. Erst unter Berücksichtigung aller Faktoren kann entschieden werden, ob eine Änderung der Ernährung ausreicht oder ob der Arzt eine Arzneimitteltherapie für sinnvoll hält“, sagt Watzl. Wer sich zur bewussten Ernährung ausreichend bewegt, braucht Watzl zufolge auch keine teurere Margarine zu kaufen. „Funktionelle Lebensmittel setzen nur an einem Punkt an, aber für die Gesundheit müssen viele Punkte durch das tägliche Verhalten angegangen werden. Nur so sinkt ein Risiko.“

Weil viele Firmen meinten, mit allgemeinen Aussagen der Art „Kalzium ist gut für die Knochen“ sei das große Geschäft zu machen, gingen bei der Efsa bis 2009 mehr als 40.000 Anträge für Werbeaussagen ein. Die Behörde ließ nur 4000 davon zu. Spezifische Aussagen wie bei der Becel-Margarine zum Cholesterinspiegel sind viel seltener. „Einige Hersteller haben ihre Forschungen in dem Bereich eingestellt, weil die Hürde so hoch ist, einen Claim zu erhalten“, sagt Watzl. Von heute an müssen Produkte mit fragwürdigem Gesundheitsversprechen aus den Regalen verschwinden. Die von der Efsa gewährte Übergangsfrist läuft aus. „Lange bewegten sich die Aussagen in einer rechtlichen Grauzone; die Grenze zwischen Lebensmittel und Arzneimittel war fließend“, sagt Watzl. Mit der Positivliste der Efsa soll das – so ist der Plan – ein Ende haben.

Neue Lebensmittel in vielen Kategorien

Funktionelle Lebensmittel
In diese Kategorie fallen Lebensmittel, die einen Nutzen haben, der über eine reine Quelle für Nährstoffe hinausgeht. Funktionelle Lebensmittel (englisch: functional food) bilden eine neue Kategorie der Lebensmittel; der Begriff ist nicht geschützt. Im weitesten Sinn kann man bei Fisch, Obst und Gemüse von natürlichen funktionellen Lebensmitteln sprechen, da sie die Gesundheit erhalten oder optimieren.

Inhaltsstoffe
Die meisten funktionellen Lebensmittel sind in Milchprodukten, Getreideprodukten, alkoholfreien Getränken, Backwaren und Brotaufstrichen zu finden. Am bekanntesten sind Probiotika-angereicherte Produkte. Es handelt sich dabei um lebende Mikroorganismen, welche die Magen-Darm-Passage überleben und dann im Dickdarm ihre potenziellen Wirkungen erzielen.

Kritik
Funktionelle Lebensmittel tragen nur wenig zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung bei und können diese nicht ersetzen. Kritisiert werden auch unzureichende Hinweise zur Dosierung.

Nahrungsergänzungsmittel
Die Mittel kommen meist in Pulver-, Kapsel- oder Pillenform daher. Sie gehören nicht zu den funktionellen Lebensmitteln und stehen in der Kritik. Gesunde sind Experten zufolge ausreichend mit Nährstoffen versorgt.

Novel Food
Darunter sind neue Lebensmittel zusammengefasst, die in der EU nicht traditionell vorkommen. Sie müssen eine Prüfung auf gesundheitliche Unbedenklichkeit absolvieren. Die Becel-pro.activ-Margarine hat das Verfahren erfolgreich durchlaufen.