Kroatische Ultragruppen wollen dem Verband schaden. Das EM-Spiel gegen Tschechien offenbart eine andere Hooliganseite – sie protestiert gegen die Korruption im Land.

St. Etienne - In der 86. Minute der Partie gegen Tschechien mussten die Spieler der kroatischen Nationalmannschaft als Friedenstrupp im Krisengebiet tätig werden. Mario Mandzukic, Ivan Perisic und ihre Kollegen liefen vor den Fanblock und versuchten, die Anhänger von ihrem schädigenden Werk abzubringen. Im Hintergrund löschten Ordnungskräfte, die bengalischen Feuer, die aus dem kroatischen Sektor auf den Rasen geflogen waren. Ein Ordner wurde von der Wucht eines Böllers umgerissen. Es war beinahe ein Wunder, dass er nicht verletzt wurde. Der Kapitän Darijo Srna stand ratlos da, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf schüttelnd. Alles an ihm sagte: nicht schon wieder.

 

Die EM hat im Stade Geoffroy Guichard in Saint-Étienne ihr nächstes Skandalspiel bekommen am Freitagabend, doch die Ausschreitungen bei der Partie der Kroaten gegen die Tschechen haben eine andere Dimension als die bisherigen Krawalle bei diesem Turnier. Es ging nicht um stumpfe Hooligan-Gewalt gegen Fans anderer Länder. Es ging um Sabotage und um Politik.

Als Wiederholungstäter müssen die Kroaten mit einer harten Strafe rechnen

Einige kroatische Fans wollten ihrer Mannschaft und vor allem dem heimischen Verband HNS gezielt schaden mit der Störung der Partie, möglicherweise sogar einen Spielabbruch erzwingen, noch am Abend bekannten sich die Bad Blue Boys, eine Ultra-Gruppe von Dinamo Zagreb, zu den Vorfällen. Dass die Kroaten nach der vierminütigen Unterbrechung und ihrem Einsatz vor dem Fanblock noch den Ausgleich zum 2:2-Endstand kassierten und zwei sicher geglaubte Punkte hergaben, dürfte kein Zufall gewesen sein. „Danach kann man nicht einfach ruhig weiterspielen“, sagte der Trainer Ante Cacic.

Nicht zum ersten Mal haben die Fans den kroatischen Fußball vor den Augen der Öffentlichkeit diskreditiert. Im November 2014 flogen beim EM-Qualifikationsspiel gegen Italien in Mailand Fackeln auf den Platz. Im März des vergangenen Jahres gab es rassistische Gesänge bei der Partie gegen Norwegen. Das Rückspiel gegen Italien fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, trotzdem gelang es den Fans, die Partie zu stören. Sie hatten mit Chemikalien ein Hakenkreuz in den Rasen gebrannt. Büßen muss für solche Aktionen immer der Verband. Mit Geldstrafen, Geisterspielen, Punktabzügen. Auch wegen der Zwischenfälle in Saint-Étienne hat die Uefa Ermittlungen aufgenommen. Als Wiederholungstäter müssen die Kroaten mit einer harten Strafe rechnen, möglicherweise wie Russland mit einem EM-Ausschluss auf Bewährung.

Protest gegen die Zustände im heimischen Fußball

Die ständige Sabotage eigener Spiele ist der bizarre Protest einiger kroatischer Fans gegen die Zustände im heimischen Fußball, der immer wieder von Korruptionsskandalen und anderen undurchsichtigen Vorgängen erschüttert wird. Zentrale Figur ist Zdravko Mamic, langjähriger Präsident von Dinamo Zagreb, Vizepräsident des kroatischen Verbandes und nach allgemeinem Dafürhalten immer noch der mächtigste Mann im heimischen Fußball mit guten Kontakten zu Politik, Justiz und Medien. Der Verbandspräsident Davor Suker gilt als seine Marionette.

Mamic soll sich in seiner Zeit als Dinamo-Präsident an Transfers bereichert und zum Beispiel bei den Verkäufen von Luka Modric und Dejan Lovren ins Ausland mitverdient haben. Es gab mehrere Verfahren gegen ihn wegen Veruntreuung, Steuerhinterziehung und Bestechung, mehrfach musste er ins Gefängnis. Auch Damir Vrbanovic, der Generalsekretär des Verbandes, soll in die Geschäfte verstrickt gewesen sein. Und so ist auch der Verband mitverantwortlich für den erneuten Sabotageakt aus der Kurve.

Cacic gibt sich mittlerweile resigniert nach Jahren des Widerstandes aus der eigenen Kurve. Er sprach davon, dass es sich bei den Störern nicht um Fans handle, sondern um Terroristen, die nicht in den Griff zu bekommen seien. „Das sind wirklich gefährliche Leute. Sie machen, was sie wollen“, sagte der Trainer. Offenbar hatten die Fans ihre Tat vor dem Spiel angekündigt. Die Uefa soll über die drohende Gefahr Bescheid gewusst haben. Auch Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic schaltete sich ein. „Das sind Staatsfeinde, die ihre Mannschaft und ihr Land hassen“, klagte sie. Die Fans selbst sehen das anders. Im Internet prahlten sie damit, dass sie die einzig wahren Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit im kroatischen Fußball seien.