Als Reservist braucht man bei dieser Fußball-EM besonders viel Sitzfleisch: Weil Löws Startelf fast zementiert zu sein scheint, müssen sich die Ersatzspieler der Nationalmannschaft in Geduld üben.

Danzig - Der schwerste Teil seiner Arbeit hat für Lars Jacobsen erst nach 64 Spielminuten begonnen. Zuvor hatte der dänische Nationalspieler gegen Lukas Podolski verteidigt und dessen Tor zwar nicht verhindern können – ansonsten aber war der Routinier vom FC Kopenhagen durchaus zufrieden gewesen mit sich und seiner Leistung: „Ich hatte ihn im Griff.“ Dann jedoch wurde Podolski ausgewechselt – und Jacobsen sah sich plötzlich vor fast unlösbare Probleme gestellt: „Der Typ, der dann reinkam“, sagte er nach dem Schlusspfiff, „der war viel gefährlicher. Der hatte viel mehr Tempo in den Beinen.“

 

André Schürrle (21) heißt der Mann, der beim 2:1-Sieg der DFB-Auswahl gegen Dänemark als frische Kraft aufs Feld kam. Es war im dritten Gruppenspiel sein erster Kurzeinsatz – und tatsächlich führte sich der Leverkusener auffallend motiviert ein. Das dürfte Schürrle freilich nicht davor bewahren, auch im Viertelfinale am Freitag gegen Griechenland wieder seinen Stammplatz auf der Reservebank einzunehmen.

Für die Startelf gibt es nur eine Frage

Schon seit Beginn der EM scheint die Startformation der DFB-Auswahl zementiert. Die Zeit der Stammspieler sei längst vorbei, hat der Bundestrainer Joachim Löw zwar immer wieder betont und von der viel größeren Breite an hochveranlagten Profis geschwärmt. Doch anders als etwa bei der EM 2008, als Löw noch im Laufe des Turniers sein System über den Haufen geworfen und von einem 4-4-2- auf das bis heute gültige 4-5-1-System umgestellt hat, hält er diesmal bislang eisern an der Elf seines Vertrauens fest. Eine Änderung gab es nur, weil gegen Dänemark Jérôme Boateng (23) gesperrt war. Nach Lage der Dinge ist vor dem Griechenlandspiel die einzige Frage, ob der Münchner ins Team zurückkehrt oder ob Lars Bender (23) nach seiner guten Leistung weitermachen darf.

Es sind daher schwierige Tage für jene, die als Reservisten auf ihre Chance warten müssen. Besonders hart sind sie für Per Mertesacker und Miroslav Klose, jahrelange und unumstrittene Konstanten in der deutschen Nationalmannschaft. Seit 2004 ist Mertesacker dabei, so lange also wie der Bundestrainer, er war Stammspieler bei den vergangenen drei Turnieren. Nun findet er sich erstmals auf der Ersatzbank wieder, was für den Innenverteidiger schwer zu verkraften ist. „Das ist sehr ungewohnt für mich, und natürlich bin ich enttäuscht“, sagt der 27-Jährige. Gerade er weiß genau, dass in der Innenverteidigung nur im absoluten Notfall gewechselt wird. Mats Hummels und Holger Badstuber haben ihren Dienst bisher zur größten Zufriedenheit verrichtet – und so muss sich Mertesacker damit befassen, mit möglicherweise null Spielminuten in den Urlaub zu fahren.

Aufbegehren wollen die Ersatzspieler nicht

Miroslav Klose (34) ist bisher zumindest jedes Mal eingewechselt worden und darf sicher sein, dass weitere (Kurz-)Einsätze folgen. Mit bemerkenswerter Kollegialität hat er sich mit Mario Gomez über dessen Tore gefreut, auch wenn jedes einzelne seine Chancen auf eine Rückkehr in die Startelf schmälern. Er wolle Gomez nach Kräften unterstützen – „so wie es der Mario bei den letzten Turnieren bei mir gemacht hat“, sagt Klose. Allerdings kann man davon ausgehen, dass ihm das nicht besonders leichtfällt. Im Spätherbst seiner Karriere befindet er sich, zudem hat die EM in seinem Geburtsland Polen für ihn eine ganz besondere Bedeutung.

Er beobachte jedes Training genau und wisse, „dass ich gute Spieler in der Hinterhand habe“, sagt Löw: „Das gibt mir ein gutes Gefühl. Ich würde mich nicht scheuen, auch einmal Veränderungen vorzunehmen.“ Nicht zuletzt zur moralischen Unterstützung der Reservisten dürfte diese Ansage dienen – auch die der Jungstars, an denen die EM bisher komplett vorbeigelaufen ist. Am Dortmunder Mario Götze (20) zum Beispiel, und vor allem an Marco Reus (23).

Als einer der großen Gewinner der Vorbereitung durfte sich der Mönchengladbacher fühlen. In den Wochen auf Sardinien und in Südfrankreich, als ein Großteil der Stammkräfte noch fehlte, hatte er sich in den Vordergrund gespielt. Dann jedoch stießen die Münchner Spieler dazu, sieben von ihnen gehören zum Stamm der DFB-Auswahl – und für Reus blieb seither nur die Ersatzbank. Wie Götze hat der Überflieger der abgelaufenen Bundesligasaison bei der EM noch keine Minute gespielt.

Von den Bayern muss nur Kroos zuschauen

Toni Kroos (22) ist der einzige Nationalspieler aus der Bayern-Fraktion, der sich bisher hinten anstellen musste. Zwar wurde er immerhin dreimal eingewechselt – „befriedigend ist das alles aber nicht“, hat der Mittelfeldspieler schon nach dem Hollandspiel gesagt: „Gerade nach der Saison, die ich hinter mir habe, ist es doch logisch, dass ich spielen will.“ Es war das erste und bisher einzige Mal, dass ein Reservist seinem Ärger ein ganz klein wenig Luft verschafft hat. Vom Boulevard wurde die Vorlage dankend angenommen und zu einem vermeintlichen „Stunk in der Nationalmannschaft“ verarbeitet.

Per Mertesacker ist fest entschlossen, nicht aufzubegehren. „Die, die hinten dran sind, haben die Aufgabe, sich in Form zu halten. Ich nehme diese Herausforderung an“, sagt der Verteidiger – und ist guter Hoffnung, dass sein Team noch lange im Turnier bleibt: „Schließlich ist bei uns ja auch die Bank sehr stark besetzt.“