Der Dialog zwischen Vertretern der Bahn und Anwohnern der Gäubahn ist ohne Ergebnis geblieben.

S-Nord/S-West - Ernüchterung hat sich breit gemacht. Dabei hatte es vielversprechend begonnen. Mit Butterbrezeln zum Dialog zwischen der Bahn und den Bürgern. Doch in nicht mal mehr drei Wochen wird die neue S-Bahn-Linie 60 freigegeben und die Güterzüge werden nicht mehr über die Gäubahntrasse geleitet. Die Anwohner befürchten allerdings, dass dies nicht so bleiben wird – vor allem haben sie die Erdaushubarbeiten für Stuttgart 21 im Blick.

 

Rückblick: Anfang Januar dieses Jahres erschien in dieser Zeitung eine kurze Meldung: Aufgrund des Baus neuer Gleise für die Linie S 60 zwischen Böblingen und Renningen müssten Güterzüge auf die historische Gäubahntrasse umgeleitet werden. Bereits drei Tage später ging es los. Güterzüge ratterten über die Gleise und das die ganze Nacht hindurch, im Gegensatz zu den sonst dort fahrenden Personenzügen. Es war vorbei mit dem ruhigem Schlaf der Anwohner, die Gäubahntrasse schlängelt sich einmal quer durch den Talkessel. Daniela Jüssen wohnt lange schon direkt an den Gleisen. „Die Personenzüge höre ich gar nicht mehr“, sagt sie. Wenn aber einer der voll beladenen Güterzüge vorbei rattere und vor der Stadt bremse, entstehe ein unerträglicher Lärm.

Die Art der Kommunikation hat die Anwohner verärgert

Die Zeit der Umleitung sei zwar begrenzt. Im Dezember dieses Jahres wird die Baustelle abgeschlossen sein. Die Kommunikation allerdings, die Tatsache, als direkt Betroffene lediglich kurz vor dem Start aus der Zeitung davon erfahren zu haben, hat die Anwohner verärgert. Außerdem befürchten sie, dass die Trasse auch für den Abtransport des Erdaushubs der Stuttgart-21-Baustelle verwendet wird.

Daniela Jüssen ist nur eine von vielen Anwohnern, die versucht haben, sich zu wehren. Zusammen mit Gerhard Waidelich, Philipp Dreiss und Helmut Irion-von Dincklage, alle wohnen entweder im Norden oder im Westen an der Gäubahntrasse, hat sie das Gespräch mit der Bahn gesucht. Keine Revolte, sondern ein Bürgerdialog, eine konstruktive Auseinandersetzung sei das Ziel gewesen. Auch mit Stuttgart 21 habe man sich nur am Rande befassen wollen. „Uns geht es um dieses akute Problem. Und um die Perspektive für die Zukunft“, sagte Waidelich im Vorfeld des ersten Gesprächs. Ein Ansinnen, das die Zuständigen der Bahn scheinbar beeindruckte. Vor gut fünf Monaten luden Eckart Fricke, der Konzernbevollmächtigte der Bahn in Baden-Württemberg, und Ralf Oswald, Qualitätsbeauftragter des Konzerns für die Region Südwest, in ihr Büro in die Jägerstraße 2.

Fricke zeigte sich zunächst kompromissbereit

Bei Butterbrezeln und Kaffee nahm man sich viel Zeit für die Belange der Anwohner, für ihre Geschichten, die zumeist davon handelten, nachts nicht mehr schlafen zu können. Drei Stunden dauerte das Gespräch mit den beiden Vertretern der Bahn. Fricke zeigte sich kompromissbereit. Die Nachtfahrten wolle er durch Gespräche mit den verantwortlichen Unternehmen versuchen zu reduzieren. Auch wolle er mit den Fahrdienstleitern sprechen, um das quietschende Bremsen, das den meisten Krach verursache, zu minimieren.

Dass nicht alle Züge gestrichen werden können, war den Anwohnern klar. Nach dem Gespräch waren sie dennoch zufrieden. Die Strategie, nicht auf die Barrikaden zu gehen, sondern in einen Dialog mit der Bahn einzusteigen, schien richtig zu sein. „Wir dachten, das läuft jetzt“, sagt Gerhard Waidelich heute. „Das war vielleicht etwas naiv.“

Die Zeit löst das Problem, nicht die Bahn

Denn die Ernüchterung folgte schon vier Wochen später beim Folgetermin in der Jägerstraße. Der einzige Güterzug, den man in der Nacht verschieben könne, sei der am Sonntagabend um 22.48 Uhr. Ein einziger Zug von 22 nächtlichen wäre beseitigt gewesen. Über weitere Züge würde man noch verhandeln. Immerhin: die Nacht von Sonntag auf Montag wäre so güterzugfrei gewesen.

Inzwischen ist November. Noch drei Wochen, und die Umleitung ist beendet. Keiner der Züge, weder tagsüber noch nachts, ist gestrichen oder verlegt worden, kritisieren die Anwohner. Auch der Zug um 22.48 Uhr rattere laut und pünktlich an den Häusern vorbei. „Wir fragen uns jetzt natürlich, weshalb sich die Bahn so viel Zeit für uns genommen hat, wo doch am Ende gar nichts passiert ist“, sagt Daniela Jüssen etwas ratlos. Sicher sei der Lärm bald ausgestanden. Auch habe Fricke im Gespräch versichert, die Gäubahntrasse bleibe vom Transport des Stuttgart-21-Erdaushubs verschont.

Andere Anwohner sind ebenso geplagt vom Lärm

Doch so recht glauben will man Frickes Worten nicht mehr. „Wir dachten wir kommen ohne Gutachter, juristischen Beistand und die Politik aus“, sagt Waidelich. „Das war eine schwere Heimsuchung“, sagt Helmut Irion-von Dincklage. Er wundere sich, dass Fluglärm ein nationales Thema sei, der Lärm von Güterzügen von der Politik aber nur am Rande wahrgenommen werde. Ob man bereue, nicht schärfere Geschütze aufgefahren zu haben? „Nein“, sagt Gerhard Waidelich, „wenn wir 10 000 gewesen wären, hätte das auch nichts geändert.“ Die anderen Anwohner seien genauso geplagt vom Lärm, es gab eine Unterschriftenliste. Doch viele waren von vornherein davon überzeugt, dass all das keine Verbesserung bringen würde. „Man kann auch aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen. Wir mussten es zumindest versuchen“, sagt Helmut Irion-von Dincklage.

Sicher ist jedenfalls: Vom 18. Mai bis 24. Juni nächsten Jahres wird es noch mal eine Umleitung geben. Doch immerhin wissen die Anwohner nun rechtzeitig Bescheid. „Der Urlaub ist schon gebucht“, sagt Daniela Jüssen.