Stuttgart - Die Kommunen im Südwesten treten bei der Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter vom Herbst 2026 an auf die Bremse. Städtetag, Gemeindetag und Landkreistag in Baden-Württemberg halten das von der Bundesregierung in dieser Woche beschlossene Vorhaben für nicht umsetzbar. Die kommunalen Spitzenverbände bezeichnen die Berliner Pläne als „realitätsfern“ und „nicht zielführend“.
Wegen Finanzlücken und Fachkräftemangels werde es „in Baden-Württemberg nicht möglich sein, die Erwartungen zu erfüllen, die ein Rechtsanspruch mit sich bringt“, erklärten der Präsident des Gemeindetags Steffen Jäger, die Geschäftsführerin des Städtetags Gudrun Heute-Bluhm, und der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Alexis von Komorowski.
„Es gibt noch keinen für die Kommunen in Baden-Württemberg tragbaren und auf Dauer ausgelegten Finanzierungsvorschlag für die laufenden Kosten“, so die drei Spitzenverbände. Sie schätzen die finanzielle Belastung der kommunalen Seite auf mindestens 4,45 Milliarden Euro bundesweit, und kritisieren, dass die Bundesregierung lediglich maximal 960 Millionen Euro im Jahr investieren will. Insgesamt hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) für die Bundesregierung Finanzmittel von 3,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Zusätzlich zu berücksichtigen ist nach Einschätzung der Kommunalverbände, dass für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auch umfangreiche Investitionen zur Schaffung zusätzlicher Räumlichkeiten erforderlich seien.
Engpässe beim Geld und beim Personal
Auch die Personalnot sehen die Verbände als Hindernis. Schon jetzt würden Erzieherinnen und Erzieher für Kindergärten und Tagesstätten händeringend gesucht „Es wird nicht möglich sein, die dortigen Engpässe zu bewältigen und gleichzeitig noch viel mehr zusätzliche Fachkräfte für die schulische Betreuung zu finden“, so die Kommunen. Selbst wenn die Einführung des Rechtsanspruchs um ein Jahr auf 2027 verschoben würde, sei die vom Bund vorgesehene zeitliche Abfolge „realitätsfern“. „Es wäre im Sinne aller Beteiligten, zunächst solide Rahmenbedingungen zu schaffen und die Realisierbarkeit des Vorhabens zu überprüfen, bevor Erwartungen geweckt und Rechtsansprüche verankert werden“, poltern die Vertreter der Gemeinden weiter.
Auf den Weg gebracht hat die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2017. In dieser Woche hat die Regierung das Konzept beschlossen. Demnach sollen von August 2026 an zunächst alle Erstklässler einen Rechtsanspruch erhalten. In den Folgejahren soll je eine Klassenstufe hinzukommen. Damit hätte von August 2029 an jedes Grundschulkind der Klassen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung von acht Stunden an allen fünf Werktagen. Auch in den Ferien soll der Anspruch auf Betreuung für maximal vier Wochen aufrechterhalten werden. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach von einem „Meilenstein in der weiteren Modernisierung Deutschlands“. Sie forderte die Länder auf „mitzuziehen“. Die gestaffelte Einführung ermögliche es, das erforderliche Personal auszubilden.
Grün-Schwarz hat Rechtsanspruch nicht auf dem Zettel
Auch die neue grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich den Ausbau der Ganztagsschule auf die Fahnen geschrieben, erwähnt im Koalitionsvertrag den vom Bund avisierten Rechtsanspruch aber nicht. Die Landesregierung setzt vor allem auf flexible Betreuungsangebote für Klein- und Schulkinder und stellt den „Wunsch vieler Eltern nach mehr Flexibilität bei den Ganztagsangeboten“ ins Zentrum ihrer Politik. Erprobt werden soll in der neuen Legislaturperiode „eine flexibilisierte Struktur – zum Beispiel für Vereinsaktivitäten, Angebote außerschulischer Partner oder familiäre Unternehmungen – im Ganztag“. Wie alle Vorhaben steht auch dieses grün-schwarze Projekt unter Finanzvorbehalt.
Der Rechtsanspruch kann nur mit Zustimmung des Bundesrats eingeführt werden. Die Bundesministerinnen Giffey und Karliczek warben in Berlin nicht nur um das Jawort der Länder, sondern betonten auch deren Verantwortung. Erwartet wird, dass der Bundesrat auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause und damit vor den Bundestagswahlen darüber abstimmt.