Deutschland und Frankreich sollen eine gemeinsame Basis für Wohlstand  in Europa bilden. Ein Gastbeitrag von Annette Schavan und Laurent Wauquiez.

Berlin - Die Finanzkrise hat Deutschland und Frankreich zusammengeschweißt. Gemeinsam arbeiten wir an einer Stabilitätsunion in Europa, um wieder auf einen sicheren Wachstumskurs zu gelangen. Denn wir wollen der jungen Generation eine Perspektive für Arbeit und Beschäftigung geben und älteren Menschen ermöglichen, gesund und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Familien brauchen Perspektiven, um ihrer Verantwortung für die junge und die ältere Generation gerecht zu werden.

 

Gemeinsam wollen wir eine neue Basis für Wohlstand und Zuversicht in unseren Ländern und in Europa legen. Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation sind der Schlüssel, für wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Zusammenhalt. Mehr als 90 Prozent des Wissens der Welt entstehen derzeit außerhalb Frankreichs oder Deutschlands. Wir stehen in einer globalen Konkurrenz um neue Ideen, die ihren Weg in Produkte, Dienstleistungen und Märkte finden. Alleine werden wir auf lange Sicht kaum bestehen können.

Eine lange Tradition der Zusammenarbeit

Gemeinsam sind wir jedoch schon heute ein Innovationsmotor in Europa: Nahezu 50 Prozent aller Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa stammen von unseren Unternehmen und Steuerzahlern. Mit diesem Geld suchen wir, die Regierungen, Wissenschaftler und Unternehmer in Deutschland und Frankreich, Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir im 21. Jahrhundert stehen:

Wie können wir die Energieversorgung langfristig sichern? Wie finden wir Ersatz für die knappen Rohstoffe, die wir für unsere Hochtechnologieprodukte benötigen? Welche Forschungsarbeiten unterstützen uns bei der Anpassung an den Klimawandel? Wie können wir die Chancen, die uns eine deutlich höhere Lebenserwartung bieten, nutzen?

Es ist unsinnig, solche Fragen in nationalen Alleingängen beantworten zu wollen. Deutschland und Frankreich blicken auf eine lange Tradition der Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft und Forschung zurück. Daher müssen wir heute fragen, wie unsere gemeinsame Forschung sich visionär und kreativ in die öffentlichen Debatten einbringen kann. Nehmen wir die Gesundheitsforschung: Krankheiten wie Diabetes oder Lungenerkrankungen gehören zu den großen Volkskrankheiten. Die Molekularbiologie erschließt uns völlig neue Zugänge zu den Faktoren, die diese und weitere Krankheitsbilder bestimmen.

Eine kluge Wissenschaftspolitik für wirtschaftliche Innovationssprünge

So erhalten wir wertvolle Hinweise auf die Risikodispositionen und Heilungsmöglichkeiten. Die öffentliche Gesundheitsforschung mit großen Bevölkerungsstudien bringt neue Erkenntnisse über Krankheitsverteilungen und soziale Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Französische und deutsche Forscher werden künftig gemeinsam fragen, wie sich die innovativen Ergebnisse dieser beiden Forschungsrichtungen verbinden lassen und danach suchen, welche Vorsorgen wir treffen können, um ein gesundes Leben - auch im Alter - zu ermöglichen.

Wir werden prüfen, welche Konsequenzen wir aus diesen Forschungsergebnissen für die Organisation und das Management unserer Gesundheitssysteme ziehen können. Mit einer klugen Wissenschaftspolitik können wir auf den Feldern moderner Forschung wirtschaftliche Innovationssprünge auf den Weg bringen. Erfolge in der industriellen Biotechnologie beeinflussen heute Produkte und Dienstleistungen in der Pharmaindustrie und bei Nahrungsmittelherstellern.

Die erfolgreiche Energiegewinnung auch aus nachwachsenden Rohstoffen wird mit über den Wohlstand der kommenden Generationen entscheiden. Die Unterschiede unserer beiden Länder in der landwirtschaftlichen Struktur oder in der Energieversorgung wollen wir nicht ignorieren. Gleichwohl erfordern künftige Herausforderungen gemeinsames Handeln. Dies gilt auch für eine offene gesellschaftliche Debatte über Chancen und Grenzen der Forschung.

Eine Vision von der künftigen Kraft eines vereinten Europas

Wie etwa bei der Pflanzenbiotechnologie: Wir nehmen die Fragen, die viele Menschen in Deutschland und Frankreich zu dieser Technologie stellen, ernst. Wir sehen aber auch, dass wir Antworten darauf geben müssen, wie wir im Jahr 2050 neun bis zehn Milliarden Menschen auf der Welt ernähren wollen. Wenn unsere Forscher auf diesen Gebieten zusammenarbeiten, dann ist dies keine geschlossene Gesellschaft.

Gemeinsam prägen wir die wissenschaftspolitische Debatte und laden weitere Länder zur Kooperation ein: etwa in gemeinsamen europäischen Programminitiativen zur Ernährungssicherung und zum Klimawandel, zu den Herausforderungen des demografischen Wandels oder zu neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa der Alzheimer-Krankheit. Naturwissenschaft und Technik alleine werden die Fragen, die sich in diesem europäischen Forschungsverbünden stellen, nicht beantworten können. Wir brauchen zusätzlich die kritische Begleitung und Reflexion durch unsere Gesellschafts-, unsere Geistes- und Kulturwissenschaftler.

Denn wir müssen klar sehen, dass die derzeitige Krise Europas mehr ist als nur eine ökonomische. Sie ist auch eine Identitäts- und Perspektivkrise Europas. Es ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, die die großartige historische Errungenschaft des Friedens- und Versöhnungswerks Europa nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt. Wir müssen diesen jungen Menschen die Erfolge der Vergangenheit erklären. Vor allem aber müssen wir Ihnen eine Vision von der künftigen Kraft eines vereinten Europas geben. 1946 hat Winston Churchill in seiner „Zürcher Rede“ Deutschland und Frankreich eine Vorreiterrolle für ein friedliches Europa zugesprochen. Mit dem Elysee-Vertrag von 1963 haben wir gezeigt, dass wir uns dieser Verantwortung stellen. Wenn wir im kommenden Jahr das 50-jährige Vertragsjubiläum feiern, dann wollen wir gemeinsam zeigen, wie ein Europa des 21. Jahrhunderts aussieht.

Deutsch-Französische Achse

Steuern Das halbe Kabinett reist heute zum 14. deutsch-französischen Ministerrat nach Paris. Beim Treffen mit Frankreichs Präsident Sarkozy und seinen Ministern werden neben Kanzlerin Merkel acht deutsche Ressortchefs dabei sein. Geplant ist ein „Grünbuch“ für eine Angleichung der Unternehmensteuern beider Staaten. Das Ziel ist es, Mittelständlern die grenzüberschreitende Arbeit zu erleichtern.

Forschung Zudem soll ein deutsch-französischer Forschungsfonds gegründet werden, in den in diesem Jahr 27 Millionen Euro fließen. Vereinbart wurde er von Bundesbildungsministerin Annette Schavan ihrem Amtskollege in Paris, Laurent Wauquiez (36). In einem gemeinsamen Beitrag für die StZ beschwören beide eine Abstimmung in der Forschungspolitik.