Mit ihren Bewertungen entscheiden Restaurantführer wie „Michelin“ und „Gault Millau“ über die Zukunft von Starköchen - doch nicht immer ist man sich einig.

Berlin - Dem französischen Restaurantführer „Michelin“ gilt Tim Raue noch als Hoffnungsträger auf einen zweiten Stern - aus Sicht der Gourmet-Bibel „Gault Millau“ hingegen hat der 37-Jährige längst alle Hoffnungen erfüllt und sich in die kulinarische Weltspitze gekocht. In der Deutschlandausgabe für 2012 bewerten die Tester sein Restaurant „Tim Raue“ in Berlin-Kreuzberg mit 19 von möglichen 20 Punkten. Nach dem Geschmack des „Gault Millau“ ist es nun das beste Restaurant in der Bundeshauptstadt und hat das „Fischers Fritz“ mit Küchenchef Christian Lohse vom Spitzenplatz verdrängt.

 

Im „Michelin“ sind das „Fischers Fritz“ sowie die beiden Lokale „Lorenz Adlon“ und „Reinstoff“ mit jeweils zwei von drei möglichen Sternen als die Berliner Top-Restaurants gelistet. Raue musste sich in der vor einer Woche erschienenen neuen „Michelin“-Ausgabe mit einem Stern begnügen. Dieser Restaurantführer gilt in seinen Bewertungen als eher konservativ, während der „Gault Millau“ Experimentelles auf dem Teller mehr belohnt.

Ungehemmtes Schwärmen

Mit Blick auf Tim Raue kommen die „Gault-Millau“-Tester fast schon ungehemmt ins Schwärmen. Er gehört für sie zu den zwölf besten deutschen Köchen. Der gebürtige Berliner habe es geschafft, eine persönliche Essenz der asiatischen Küche zu destillieren, die ihn von allen anderen deutschen Kollegen unterscheide. „Hier ist ein Ausnahmekoch endlich dort angekommen, wo er hinwill“, heißt es in ihrer Bewertung.

Der Starkoch beeindruckte den „Gault Millau“ nicht zuletzt mit Produkten, die es im deutschen Handel zum großen Teil nicht gibt. „Fish Maw, die getrochnete Schwimmblase großer Pazifikfische, kostet ungefähr so viel wie weiße Trüffel, wenn man sie überhaupt bekommt. Raue kombiniert sie beispielsweise mit Essiggemüse und Melonenwürfeln in einem sanften Wasabisud. (...) Am asiatischten wird Raues Küche beim Geflügel, wenn er etwa Taube scharf auf Szechuan-Art brät und mit einem eher thailändisch orientierten Papaya-Koriandersalat kombiniert.“ Außerordentlich schmackhaft fanden die Tester in dem Lokal in der Rudi-Dutschke-Straße auch in Pistazienöl marinierte Himbeeeren, die ihnen als Dessert serviert wurden.

Im "Fischers Fritz" gelangweilt

Christian Lohse musste eine Abwertung um einen auf 18 Punkte hinnehmen, was im „Gault-Millau“-Ranking immer noch für Platz zwei in Berlin reicht. Die Tester hatten sich wohl beim Menü im „Fischers Fritz“ im Hotel Regent am Gendarmenmarkt gelangweilt, anscheinend fühlten sie sich in diesem Feinschmeckerlokal wie in einem Gourmet-Museum. „Es fehlen die Aha-Erlebnisse“, heißt es in ihrem Urteil. Sie bescheinigten Lohse eine klassische französische Fisch- und Krustentierküche auf höchstem Niveau mit besten Produkten. Doch ihre Forderung lautete: „mehr Überraschung, mehr Veränderung, mehr Emotion.“

Während das "Fischers Fritze" also absteigt, wird Sven Elverfeld vom „Aqua“ aus Wolfsburg dagegen von 19 auf 19,5 aufgewertet. 20 Punkte wurden in Deutschland noch nie vergeben.

„La Vision“ aus Köln und das „Rosin“ in Dorsten

In die Gruppe der 18-Punkte-Restaurants rücken im „Gault Millau“ 2012 auch das „La Vision“ aus Köln und das „Rosin“ in Dorsten auf. Sie hatten im „Michelin 2012“ ebenfalls erstmals zwei Sterne bekommen. Auch der Avantgardekoch Juan Amador hat nun 18 Punkte, im „Michelin“ gehört er auch nach seinem Umzug nach Mannheim weiter zur Spitzengruppe mit drei Sternen.

Im Aufwärtstrend sehen beide Führer in Berlin das „Reinstoff“ und das „Lorenz Adlon“, während das „Jacobs“ in Hamburg beim „Michelin“ auf- und beim „Gault Millau“ abgewertet wird. Der für seine Kritiken gefürchtete „Gault Millau“-Chefredakteur verurteilt in seinem Vorwort die immer kleinteiligeren Kreationen auf den Tellern und die Bedienung. Der Service komme etwa doppelt so oft wie früher an die Tische, störe die Gespräche und habe ständig etwas zu erklären: „Man fühlt sich in den meisten Toprestaurants mittlerweile wie in einem Überwachungsstaat.“