Wenn es stimmt, dass auch Autos leben, stellt sich die Frage nach der gerechten Verteilung des öffentlichen Raums neu, meint Lokalchef Holger Gayer – und erklärt, warum Stuttgart eine Millionenmetropole ist.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Was ist eigentlich mit der Aufkleberindustrie passiert? Verschwunden, ins Internet abgewandert, seelenlos, ohne jede Botschaft behaftet? Nix mehr mit der Weisheit der Cree-Indianer („Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann“) oder dem griffigen Motto „Petting statt Pershing“?

 

Früher, als wir noch jugendbewegt waren, klebten wir unsere Überzeugungen als Kurzdepeschen auf unseren Schulschalenkoffer. Als wir volljährig wurden, bedeckten wir die wesentlichen Rostflecken unseres ersten, elf Jahre alten R 5 damit. Manch tiefer Sinn musste allerdings bis jetzt reifen, um entdeckt zu werden. Einer meiner Lieblingsbäbber trug die Aufschrift: „Mein Auto lebt. Es raucht, es säuft und manchmal bumst es auch.“ Natürlich schwärmte ich in Zeiten der Spätadoleszenz eher für den zweiten Satz. Nun aber denke ich intensiver über den ersten nach. Die Frage ist doch, wie viele Lebewesen wir in Stuttgart zählen, wie wir uns bewegen und am friedlichsten vertragen. Dazu ein paar Zahlen: Stuttgart hatte Ende 2016 exakt 609 220 menschliche Einwohner. Addiert werden dürfen qua der zitierten Aufkleberdefinition 340 499 Lebendfahrzeuge, davon 296 082 Autos, 23 532 Krafträder, 15 946 Lastwagen. Zusammen genommen kratzen Stuttgarts aktuelle Menschmotoren also an der Grenze zur Millionenmetropole. Ergo: Wir sind viel mehr, die sich die Luft im Kessel teilen müssen. Unser Problem ist noch größer als bisher angenommen.

Stuttgart zählt mehr Fahrräder als Menschen

Doch die Tabellen offenbaren auch einen Lichtblick. Das am häufigsten auftretende Fortbewegungsmittel ist nämlich das Fahrrad. Auf etwa 650 000 Stück schätzen die Statistiker den Bestand an Velos in der Stadt. Das heißt, dass jeder menschliche Stuttgarter im Schnitt mehr als ein Fahrrad sein eigen nennt, was ja auch einen Hinweis auf die künftige Verkehrsplanung ergeben könnte.

Im Sinne des Gassenhauers „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ wird das Bewegungsprofil der Stuttgarter übrigens von 7823 registrierten Hühnern ergänzt. Des Weiteren sind 14 242 Hunde registriert. Den Oscar in der Wauwauliga bekommt der Terrier, der mit 1753 Exemplaren vertreten ist. Den Schluss der Tabelle ziert der Pinscher mit 63 Wesen. Auf den 101. Dalmatiner warten wir noch, bis jetzt stehen wir bei hundert schwarz-weiß-gepunkteten Kollegen.

Die Wildkatzen im Schwsarzwald sind Vorbilder für Stuttgart

Erwähnenswert wäre zuletzt, dass der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) demnächst eine Exkursion in den Schwarzwald anbietet. Dort fahnden die Jungs und Mädels nach seltenen europäischen Wildkatzen. „Als Lockstoff nutzen wir Baldrian. Sein Geruch zieht die Wildkatze magisch an, da sie ihrem Paarungsduft sehr ähnlich ist“, sagt Axel Wieland, der Wildkatzen-Experte beim BUND Baden-Württemberg.

Vielleicht hat er noch ein paar Tropfen davon für Stuttgart übrig. Baldrian riecht besser als Feinstaub und soll ja auch eine entspannende Wirkung haben. Auf Menschen zumindest.