Das Leonberger Krankenhaus setzt ab dem Sommer ein neues Konzept um: Frauen können dort ihr Kind ohne ärztliche Hilfe zur Welt bringen. Für Schwangere gibt es von diesem Mittwoch an eine spezielle Sprechstunde.

Ludwigsburg: Anne Rheingans (afu)

Möglichst natürlich entbinden, ohne starke Medikamente oder medizinische Eingriffe: So sieht die Idealvorstellung für viele Schwangere aus. Tatsächlich aber ist spätestens seit der Jahrtausendwende der Anteil an Kaiserschnitten und anderen Interventionen kontinuierlich gestiegen. Cornelia Kraus, die leitende Hebamme im Leonberger Krankenhaus, und ihre Kolleginnen sehen diese Entwicklung kritisch. Sie wollen einen gegenläufigen Trend etablieren.

 

In der Klinik startet an diesem Mittwoch ein neues Angebot: die Sprechstunde zum hebammengeführten Kreißsaal, der Anfang August in der Leonberger Geburtshilfe eingeführt wird. Im Sommer soll das zusätzliche Konzept greifen, auf das sich das Hebammenteam intensiv vorbereitet: das Entbinden im Klinikumfeld, aber ganz ohne ärztliche oder sonstige medizinische Eingriffe.

Schwangere aus Renningen möchte als eine der ersten das Angebot nutzen

Die erste Schwangere, die die neue Sprechstunde in Anspruch nimmt, ist Marietta Ehret aus Renningen. Die 31-Jährige erwartet ihr erstes Kind. Von ihrer Nachsorgehebamme hat sie von dem neuen Konzept erfahren. Ihr Interesse war sofort geweckt. Auch die kurze Entfernung zwischen Renningen und Leonberg spricht aus ihrer Sicht für die Klinik. „Ich hoffe auf eine entspannte Geburt ohne Interventionen“, sagt sie.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Hebammenmangel im Altkreis Leonberg

Das ist mittlerweile nicht selbstverständlich. „Die Geburt wird immer häufiger pathologisiert“, sagt Cornelia Kraus. Dabei hätten Studien gezeigt, dass sich Frauen nach einer selbstbestimmten und natürlichen Entbindung meist besser fühlen. Die leitende Hebamme und ihre Kollegen freuen sich, dass mit dem hebammengeführten Kreißsaal nun ein Umdenken stattfinden soll. „Wir kämpfen schon länger dafür“, sagt sie. Im vergangenen Jahr hat der Aufsichtsrat des Klinikverbundes schließlich grünes Licht dafür gegeben, dass im Klinikverbund Südwest neben Herrenberg auch in Leonberg ein hebammengeführter Kreißsaal eingerichtet werden darf.

Das ganze Team steht hinter dem Ansatz

Bei dem Konzept geht es darum, dass die Schwangere im Kreißsaal ausschließlich von Hebammen bis zur Geburt begleitet wird. Eingriffe wie starke Schmerzmittel oder eine Teilnarkose durch eine Periduralanästhesie (PDA) sind ausdrücklich nicht vorgesehen. Nur falls Komplikationen auftreten, wird ärztliche Hilfe hinzugezogen.

Das gesamte Hebammenteam und Monica Diac, die Chefärztin der Gynäkologie in Leonberg, stehen hinter diesem Ansatz, sagt Kraus. Das Augenmerk soll auf dem Wohl der Schwangeren liegen. „Die Frauen stehen im Vordergrund“, betont die leitende Hebamme. Doch nicht nur für die werdenden Mütter soll der speziell geführte Kreißsaal Vorteile bringen. Die Klinik will damit attraktiver werden – sowohl für Schwangere als auch für Hebammen, die das selbstbestimmte Arbeiten zumeist lieber mögen als das in der sonstigen Geburtshilfe in Kliniken. In der Klinik in Herrenberg hat das zusätzliche Kreißsaalangebot zu mehr Geburten und zu mehr Bewerbungen von Hebammen geführt. Auch für das Angebot in Leonberg liegen schon viele Anfragen vor. Die ersten Termine sind bereits komplett vergeben.

Konzept ist in anderen Städten bereits sehr erfolgreich

Revolutionär ist das Konzept des Hebammenkreißsaals jedoch nicht. In Ländern wie Großbritannien und Schweden ist es bereits seit Längerem erfolgreich. In der Region wird es nicht nur in Herrenberg, sondern auch in Bietigheim-Bissingen seit Jahren erfolgreich umgesetzt. Bundesweit wird Leonberg eines von 23 Krankenhäusern mit diesem Angebot sein, sagt Kraus. In der Stadt am Engelberg sind aber auch künftig Spontangeburten mit regulärer ärztlicher Beteiligung möglich, betont sie. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Hebammenkreißsaal nicht für jede Schwangere geeignet ist. Eine komplikationsreiche Schwangerschaft, Vorerkrankungen, auffällige Befunde und eine komplizierte Kindslage sind nur einige der Gründe, die dagegensprechen. Bei zwei Sprechstunden, in der 27. und in der 36. Schwangerschaftswoche, wird daher unter anderem abgeklopft, ob die Schwangere bei dem Angebot grundsätzlich gut aufgehoben wäre.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Fast die Hälfte aller weltweiten Schwangerschaften ist unbeabsichtigt

Bei Marietta Ehret sieht es bisher ganz so aus. Ihr geht es gesundheitlich prima. „Ich fühle mich noch gar nicht so richtig schwanger“, gesteht sie. Viel Papierkram gibt es mit der Hebamme Martina Lenhardt, die die erste Sprechstunde leitet, dennoch am Anfang zu erledigen. Ob die schwangere Renningerin am Ende tatsächlich auf diese Weise entbindet, bleibt zwar abzuwarten. Noch ist die 31-Jährige allerdings zuversichtlich, als eine der ersten Frauen vom neuen Hebammenkreißsaal profitieren zu können.