Der Stiftskirchenpfarrer Matthias Vosseler ist froh, dass der Weihnachtsmarkt trotz der Trauer, der Angst und des Leids geöffnet bleibt: „Wir dürfen uns nicht vertreiben lassen. Wir müssen zu unserer Freiheit stehen“, sagt der Geistliche.

Stuttgart - Antworten gibt Matthias Vosseler keine. Was soll er den Gläubigen auch sagen, wenn an solchen Tagen die Fragen nach einem gerechten Gott kommen? Nein, der Pfarrer der Stuttgarter Stiftskirche sagt nur: „Es gibt immer Unheil in dieser Welt.“ Wenn Verblendung um sich greife, passierten Dinge wie am Montagabend in Berlin. Unerklärliches. Taten, die fassungslos machen.

 

So wie damals im August 2005. Vosseler erinnert sich noch gut. Eine Rumänin hatte den Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Roger, bei einem Messerangriff während eines Gottesdienstes getötet. „In solchen Fällen muss man den Menschen offen sagen, dass es zwar keine Antworten gibt, aber das Wissen, dass wir in Gottes Hand leben.“

Und natürlich weiß der evangelische Theologe, „dass Menschen in solchen Momenten Orte suchen, wo sie Trost finden“. Seine Kirche, die Stiftskirche, war einen Tag nach dem Attentat ein solcher Ort, an dem ein Licht im Dunkel brannte. Etwa 50 Christen versammeln sich zur kurzfristig umgewidmeten Andacht. „Beten für Berlin“, nennt Vosseler das Ereignis. „Wir wollen einerseits für die Verletzten und Hinterbliebenen beten, aber auch die zwölf Toten in Gottes Hand befehlen.“

Zwei Polizisten mit Maschinengewehr bewachen Kirche

Zudem will Vosseler ein Zeichen in die Stadt senden: „Wir wollen zeigen, dass unsere Kirche offen bleibt. Wir beugen uns nicht dem Terror.“ Gleichwohl bewachen zwei Polizisten mit einem Maschinengewehr auch seine Kirche. Ungeachtet dessen sagt der Pfarrer: „Gott kam auch nicht in eine heile Welt. Dieses Signal wollen wir zu Weihnachten setzen.“ Gleicher Meinung sei auch Landesbischof Frank Otfried July gewesen, mit dem sich Vosseler am Telefon ausgetauscht habe. Julys und Vosselers Botschaft nach dem Terrorakt lautet: „Das Licht von Weihnachten ist stärker als alle menschliche Gewalt.“

Nicht zuletzt ist der Stiftskirchenpfarrer froh, dass der Weihnachtsmarkt trotz der Trauer, der Angst und des Leids geöffnet bleibt: „Wir dürfen uns nicht vertreiben lassen. Wir müssen zu unserer Freiheit stehen“, sagt der Geistliche – und ist ohnedies davon überzeugt, dass die Menschen in den Tagen bis Heiligabend den Weihnachtsmarkt in angemessenem Verhalten besuchen werden: „Ich bin mir sicher, dass sich in diesen Tagen keine Partyszenen auf dem Weihnachtsmarkt abspielen werden. Die Menschen werden in einem anderen Bewusstsein kommen.“

Für eine Minute ruht der Weihnachtsmarkt

Schon am Dienstagabend hatte sich seine Ahnung bewahrheitet. Punkt 18 Uhr ruht für eine Minute das Treiben auf dem Weihnachtsmarkt. Keiner kauft, keiner verkauft. Ein kollektives Schweigen, das mehr als nur ein Gedenken an die Opfer und deren Angehörige ist. Stuttgart schickt aus dieser Stille heraus ein lautes Bild in die Welt – ganz im Wortlaut des Engels aus der Weihnachtsgeschichte: „Fürchtet euch nicht!“