Schwieberdingen kann sich vor Kindern nicht retten. In Schwaikheim sind die Schülerzahlen für die Gemeinschaftsschule eingebrochen. Woran liegt das?

Stuttgart - Schwaikheimer Viertklässler haben die Qual der Wahl. In ihrer Heimatgemeinde und in den benachbarten Orten Korb, Leutenbach, Winnenden und Waiblingen-Neustadt (Rems-Murr-Kreis) gibt es insgesamt fünf Gemeinschaftsschulen(GMS), außerdem zwei Realschulen und zwei Gymnasien – alle nur vier, fünf Kilometer weg und gut mit dem Fahrrad zu erreichen. Wer sich nicht abstrampeln möchte, setzt sich in die S-Bahn. In Waiblingen, Fellbach oder Stuttgart öffnen sich binnen kurzem zusätzliche Schulwelten.

 

„Als Gemeinde mit knapp 10 000 Einwohnern haben wir den Anspruch, eine weiterführende Schule zu stellen“, sagt der Bürgermeister Gerhard Häuser (Freie Wähler). Weil die benachbarten Orte weder kleiner noch anspruchsloser sind, kämpft Schwaikheim ums Überleben. Laut einer Prognose des Kultusministeriums haben sich in diesem Jahr nur 16 Schüler für die dortige Gemeinschaftsschule entschieden, nur halb so viele wie 2014 und nur ein starkes Drittel der Fünftklässler des ersten GMS-Jahrgangs 2013. Landesweit hat nur Ofterdingen schlechtere Anmeldezahlen.

Dass in Schwaikheim tatsächlich 18 Fünftklässer die Schule besuchen und sich bei der Konkurrenz in Leutenbach die Anmeldezahlen genauso drastisch verschlechtert haben, macht es nicht besser. Von der geplanten Zweizügigkeit ist man meilenweit weg. „Wir müssen uns überlegen, wie wir unsere Adressaten ins Haus bekommen“, sagt der Schulleiter Eberhard Bischoff. Wenn Eltern und Kinder erst einmal GMS-Luft geschnuppert hätten, davon ist der 57-Jährige überzeugt, würden sie sich leichten Herzens für seine Schule entscheiden.

Lob für die Lehrer, Kritik an der Schulleitung

Liegen die Probleme allein an der großen Konkurrenz? In Schwaikheim glaubt man das nicht. Innerorts hat die Schule zwar zugelegt, 13 der 18 Fünftklässler wohnen auch in der Gemeinde. Vor zwei Jahren waren noch 30 der 44 Fünftklässler von außerhalb. Mehrere Eltern loben auch das Engagement der Lehrer, die bei Problemen auch abends oder am Wochenende ansprechbar seien. „Da wird fantastische Arbeit geleistet“, sagt eine Mutter. Schwierig sei es aber, mit der Schulleitung und der Gemeinde ins Gespräch zu kommen. Manche Väter und Mütter wünschten sich mehr Offenheit und eine bessere Einbindung vom Rathaus und von der Schulleitung.

Dafür gilt die Ausstattung als gut. In den Klassenzimmern hängen digitale White Boards statt Kreidetafeln, es gibt ein Lernatelier, und die Kinder arbeiten mit Ipads und Laptops. 1,3 Millionen Euro sind in die Sanierung des Hauses geflossen. Weitere fünf Millionen will die Gemeinde in eine neue Schulmensa investieren. Auch Leutenbach baut für 3,5 Millionen Euro neue Speiseräume, um so attraktiver zu werden.

Die Kinder indes scheinen zufrieden zu sein. Die drei Sechstklässlerinnen, die sich mit ihren Arbeitsblättern ins Treppenhaus verzogen haben, haben nichts zu meckern. Als so genannte Lernprofis dürfen sie auch außerhalb des Klassenzimmers arbeiten. Alle drei wählten zwischen Real- und Gemeinschaftsschule und entschieden sich der Nähe und des Konzepts wegen für Schwaikheim. Der Ganztagesbetrieb hat sie nicht geschreckt. „Meine Schwester besucht eine Realschule. Wenn ich heim komme, macht sie noch Hausaufgaben. Ich habe dann frei“, sagt die elfjährige Amélie.

Schwieberdingen hat mehr Schüler als dem Träger lieb ist

Mittlerweile tagt ein Krisenstab. Eltern, die Schulleitung, die Verwaltung und das Staatliche Schulamt in Backnang beratschlagen gemeinsam, wie Schwaikheim an Zugkraft gewinnen könnte. Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg) hat ganz andere Sorgen. Die nächste GMS ist im sechs Kilometer entfernten Möglingen. Für Kinder aus Eberdingen und Korntal-Münchingen ist das zu weit. Die Glemstalschule Schwieberdingen-Hemmingen brummt so sehr, dass es den Schulträger-Gemeinden zu viel wird. Sie wollten für dieses Schuljahr nur vier Fünferklassen zulassen. Das Land musste die Fünfzügigkeit anordnen.

„Bei uns stehen die Schüler im Mittelpunkt“, so erklärt sich Sandra Vöhringer, die Rektorin der Glemstalschule, den Erfolg. Außerdem werden die Eltern konsequent einbezogen. So gibt es vier Mal im Jahr so genannte Wir-Foren, bei denen Eltern und Lehrer besprechen, was es zu besprechen gibt. „Wir fühlen uns als Partner, nicht mehr nur als Kinderlieferant“, sagt auch die Elternbeiratsvorsitzende Anja Cruse.

Ludwigsburg wiederum hat sich als einzige Stadt im Land dafür entschieden, keine Schule umzuwandeln, sondern eine neue GMS zu gründen. Die ging im Sommer an den Start – mit fünf Fünferklassen, mehr als erwartet. Zwei Werkrealschulen gibt es noch, beide wollen auch GMS werden. Ob Ludwigsburg für beide einen Antrag stellt, ist offen. Es geht um die zentrale Frage: „Wir müssen uns fragen, wie viele Gemeinschaftsschulen verträgt der Standort“, sagt der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried.

Aufsteiger und Absteiger

Seit der Einführung der Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg sind landesweit 271 Gemeinschaftsschulen genehmigt worden. Begonnen hat man im Herbst 2012 mit 16 Schulen. Nach Angaben des Kultusministeriums sind für das aktuelle Schuljahr 76 Anträge eingereicht, davon acht wieder zurückgezogen und 62 bewilligt worden. Für die fünfte Antragsrunde liegen bereits 32 Anfragen vor; die Entscheidung darüber soll Anfang Februar fallen. In Stuttgart und den fünf Nachbarkreisen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr werden zurzeit in 71 Schulen Kinder aller Leistungsniveaus gemeinsam unterrichtet. Beim Start waren es fünf.

Bisher erfüllen sich die zahlenmäßigen Erwartungen an die junge Schulart vielerorts nicht. Fast jede dritte Gemeinschaftsschule (23) in der Region schafft es laut einer aktuellen Prognose des Kultusministeriums nicht, die Anforderung der obersten Schulbehörde, wonach jährlich mindestens 40 Schüler in den Eingangsklassen angemeldet werden sollten, zu erfüllen. Bei 42 der 71 Schulen , immerhin 59,2 Prozent, liegen die Anmeldezahlen teils deutlich unter den Prognosen. Von den 51 Schulen in der Region, die schon vor dem jetzigen Schuljahr das neue Modell praktizierten, gibt es bei 27 (52,9 Prozent) mindestens zehn Prozent weniger Fünftklässler als 2014/2015. Dafür gibt es diverse Gründe. Mancherorts, etwa in Remseck, ging einfach in der Nachbarschaft eine neue Gemeinschaftschule an den Start.

Auch in Stuttgart gibt es einen beträchtlichen Schwund

Mancherorts sind die Schülerzahlen aber regelrecht eingebrochen. Schwaikheim (Rems-Murr-Kreis) belegt mit nur 16 neuen Schülern in Klasse 5 landesweit den zweitschlechtesten Platz; nur Ofterdingen (Kreis Tübingen) hat mit acht Anmeldungen weniger. In Kirchheim am Neckar (Kreis Ludwigsburg) und Weissach im Tal haben sich nur 21 Kinder für die – in beiden Orten allerdings in diesem Schuljahr neu eingerichtete – Gemeinschaftsschule entschieden. So wenig waren es auch in Leutenbach, nur 22 waren es in Salach (Kreis Göppingen). Aber auch an der Elise von König-Schule in Stuttgart-Münster ist der Schwund beträchtlich. Dort haben sich für dieses Schuljahr laut dem Kultusministerium gerade mal 42 Kinder angemeldet. 2014 waren es noch 82.

14 der 51 Schulen in der Region (27,5 Prozent), die schon länger als Gemeinschaftsschule zugelassen sind, haben in diesem Jahr mindestens zehn Prozent höhere Anmeldezahlen als 2014. Bei zehn Einrichtungen(19,6 Prozent) sind die Schülerzahlen gleich geblieben oder variieren um weniger als zehn Prozent. 40 Prozent aller Gemeinschaftsschulen haben mehr Schüler aufgenommen als kalkuliert. Im Kreis Ludwigsburg prosperieren die Schwieberdinger und die Möglinger Gemeinschaftsschule. Im Kreis Böblingen hat die Jettinger Gemeinschaftsschule kräftigen Zulauf. Konstant über dem Plan ist im Kreis Göppingen die Bad Boller Schickhardtschule, die 2012 eine Pionierschule war, und die Eislinger Gemeinschaftsschule. Im Kreis Esslingen hat die Frickenhäuser Schule Zulauf.

Interview mit Ute Kratzmeier von der GEW

Stuttgart. - Viele Lehrer an Gemeinschaftsschulen wünschten sich mehr Unterstützung, sagt die GEW-Referentin für allgemein bildende Schulen, Ute Kratzmeier. „Sie sagen aber auch: Wir wollen diese Schulart haben.“
Frau Kratzmeier, die Gemeinschaftsschulen klaffen auseinander. Die einen verlieren Schüler, andere boomen. Warum?
Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen gibt es immer mehr Gemeinschaftsschulen. Das heißt, die Schüler verteilen sich auch breiter. Dann muss man sich die Lage vor Ort anschauen: Steht die Schule in Konkurrenz zu vielen anderen Gemeinschaftsschulen, Realschulen oder Gymnasien? Und schließlich spielt auch die Mundpropaganda eine ganz wichtige Rolle. Eine Schule mit gutem Ruf hat auch hohe Anmeldezahlen.
Werden Ex-Realschulen und Ex-Hauptschulen unterschiedlich angenommen?
Unserer Beobachtung nach ja. Bei den sieben Gemeinschaftsschulen mit den höchsten Anmeldezahlen gingen vier aus Realschulen hervor. Offenbar trauen die Eltern ihnen die Umsetzung des neuen Konzepts zu.
Braucht eine erfolgreiche Gemeinschaftsschule auch besonders engagierte Lehrer?
Die Gemeinschaftsschule ist eine Schulart, die noch überzeugen muss. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ohne überzeugtes Kollegium geht das nicht. Dann sollte man als Schule lieber die Finger davon lassen.
Wie bewerten denn die Lehrer, die an der Gemeinschaftsschule arbeiten, das Modell?
Wir haben bei der GEW einen Arbeitskreis, in dem sich Gemeinschaftsschullehrer regelmäßig treffen. Dabei wünschen sich die Kollegen oft mehr Hilfe und mehr Zeit. Die Wochengespräche mit den Schülern, die Lernentwicklungsberichte, der permanente Kontakt mit den Eltern – das ist alles erheblich aufwendiger als bisher. Bei aller Belastung sagen die Kollegen aber auch: Wir wollen diese Schulart haben.