Bis zu 143 Todesopfer sind im Zündschloss-Skandal um General Motors möglich. Doch erst 21 Fälle hat GM bisher offiziell anerkannt. Das ist die aktuelle, bittere Statistik zu den Unfällen, die durch defekte Zündschlösser in Fahrzeugen des US-Herstellers verursacht wurden.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Bis zu 143 Todesopfer sind möglich. Doch erst 21 hat General Motors bisher offiziell anerkannt. Das ist die aktuelle, bittere Statistik zu den Unfällen, die in den vergangenen zehn Jahren durch defekte Zündschlösser in Fahrzeugen des US-Herstellers verursacht wurden. Nachdem General Motors (GM) lange hartnäckig von dreizehn möglichen Todesfällen gesprochen hatte, wächst die Zahl inzwischen Woche um Woche. Am 15. September lag die Ziffer bei 19 Fällen, nun sind erneut zwei hinzugekommen.

 

Der Defekt, dessentwegen allein in diesem Jahr 2,6 Millionen Autos in die Werkstatt gerufen wurden, betraf die Zündschlösser von Fahrzeugen der Produktionsjahrgänge nach 2004. Wenn der Schlüssel durch daran befestigte Anhänger oder andere Gegenstände zu schwer wurde, konnte er während der Fahrt herausfallen. Der Motor stoppte – und Unfälle waren die Folge. Doch GM und die Behörden nahmen das Problem über Jahre hinweg nicht ernst.

Inzwischen hat die von dem US-Anwalt Kenneth Feinberg geleitete Entschädigungskommission ihre Arbeit aufgenommen. Feinberg hat auch den Opferfonds nach dem 11. September 2001 gemanagt. Angehörige und Hinterbliebene von 143 tödlich Verunglückten haben Anträge eingereicht. Zusammen mit den Verletzten und Schwerverletzten sind 445 Fälle auf dem Tisch. Die offizielle Zahl der Opfer dürfte also in den kommenden Wochen und Monaten unaufhaltsam steigen.

Suche nach der „substanziellen Wahrscheinlichkeit“

Das hat allerdings nichts mit einer Verzögerungstaktik von General Motors zu tun, sondern damit, dass nun alle Verdachtsfälle gründlich abgearbeitet werden. Der US-Autokonzern hat schon Anfang des Jahres signalisiert, dass er – auch aus Imagegründen – bei der Beurteilung nicht kleinlich sein will. Feinberg hat freie Hand. Ihm gehe es nicht um absolute Sicherheit, was die Unfallursachen angehe, sagte der Anwalt in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg: „Unsere Messlatte ist lockerer: War das Zündschloss mutmaßlich die Ursache, oder gibt es eine substanzielle Wahrscheinlichkeit, dass es den Unfall auslöste?“ Insgesamt hat GM bisher bis zu 600 Millionen Dollar (465 Millionen Euro) für die Entschädigungszahlungen reserviert.

Den juristischen Kampf ficht General Motors lieber an einer anderen Front aus: Mit allen Mitteln wehrt sich GM weiterhin gegen Autobesitzer, die lediglich eine materielle Entschädigung etwa für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge verlangen. Angesichts von Rückrufaktionen, die sich auch wegen anderer Fahrzeugmängel in diesem Jahr bereits auf 30 Millionen Autos weltweit summieren, wäre ein solches Eingeständnis für GM finanziell folgenreich.

Aufsichtsbehörde im Visier

In den USA ist zurzeit weniger der Autohersteller, sondern die zuständige Aufsichtsbehörde im Visier. Ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses hat vor wenigen Tagen eine kritische Bilanz zum Verhalten der zuständigen Sicherheitsbehörde NHTSA gezogen.

Trotz zahlreicher Meldungen über Unfälle war den Aufsehern sieben Jahre lang ein Zusammenhang der Unfälle mit den Zündschlössern entgangen. Man hielt den Defekt im Vergleich zu den üblichen – auf dem Tisch der Behörde landenden – technischen Problemen statistisch nicht für relevant. Doch noch etwas anderes war verhängnisvoll: die staatlichen Aufseher übersahen auch die entscheidende Kettenreaktion, die letztlich zu den tödlichen Unfällen führte. Nach dem plötzlichen Stopp der Motoren konnten sich nämlich auch die Airbags der betroffenen Autos nicht mehr korrekt entfalten. Dies führte dazu, dass die Unfälle im Gefolge der herausgefallenen Zündschlüssel häufig besonders schlimme, manchmal tödliche Folgen hatten.

Keine Kommunikation, kein Datenaustausch

Die staatlichen Ermittler, die sich mit dem Zündschloss beschäftigten und diejenigen, welche die Airbags analysierten, arbeiteten bei der Sicherheitsbehörde in unterschiedlichen Abteilungen. Selbst wenn sie sich mit denselben Unfällen beschäftigten, kommunizierten sie nicht miteinander und tauschten keine Daten aus.

Die Sicherheitsaufseher hielten es zudem schlicht nicht für möglich, dass eine neue, parallel zu den anfälligen Zündschlössern eingeführte Generation von Airbags schon so schnell nach einem Motorenausfall nicht mehr funktionsfähig sein würde. Dies habe auch daran gelegen, heißt es im Untersuchungsbericht des Kongresses, dass die Aufseher von den Automobilherstellern nicht ausreichend auf dem Stand der technischen Entwicklungen gehalten wurden.