Rolls-Royce-Modelle haben gruselige Namen wie Phantom und Ghost (Geist). Auf dem Genfer Autosalon kommt nächste Woche das Modell Wraith (Gespenst) hinzu. Wie es wohl aussehen wird? Rolls-Royce macht es spannend.

Stuttgart - Rolls-Royce macht es spannend. Nur schemenhaft taucht auf den ersten offiziellen Fotos die jüngste Schöpfung aus tiefstem Dunkel auf. Eine geschwungene Dachlinie lässt auf ein Coupé schließen, eine muskulöse Heckpartie und zwei dicke Auspuffrohre deuten auf einen Kraftprotz hin. Das mysteriöse Modell heißt Wraith (Gespenst). Der gruselige Name passt zu den anderen beiden Baureihen der britischen BMW-Tochter, die Phantom und Ghost (Geist) heißen.

 

Ein Gespenst gab es bei Rolls-Royce in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon einmal als Modellbezeichnung. Der neue Wraith feiert in der kommenden Woche auf dem Genfer Autosalon Weltpremiere und zählt zu den interessantesten Exponaten der diesjährigen Neuheitenschau. Der neue Wraith soll der sportlichste Rolls-Royce aller Zeiten werden. Spekuliert wird über einen Zwölfzylinder mit mehr als 600 PS und einen Preis über 300 000 Euro. Mit dem neuen Modell will Rolls-Royce dem Absatz weiteren Schwung geben. Zugleich ist die ausgeprägte Sportlichkeit jedoch auch ein gewisses Wagnis. Denn bisher stand die britische Marke vor allem für wuchtige majestätisch dahingleitende Limousinen.

Doch nur wer wagt, kann auch gewinnen. Bisher ist die Rechnung für BMW aufgegangen. In einem spektakulären Bieterkampf mit VW schienen die Bayern 1998 schon unterlegen zu sein. Die Aktionäre des Mutterkonzerns Vickers stimmten damals im Juni auf einer turbulenten Hauptversammlung für einen Verkauf der Firma Rolls-Royce Motor Cars mitsamt der Schwestermarke Bentley und der Fabrik in Crewe für 1,25 Milliarden Mark an den Wolfsburger Konzern. Doch nur einen Monat später gab es eine spektakuläre Wendung: BMW erwarb für 118 Millionen Mark vom Triebwerkhersteller Rolls-Royce das Recht, den Namen der gleichnamigen Nobelmarke zu nutzen. Zudem kauften die Bayern die Rechte an der legendären Kühlerfigur Spirit of Ecstasy. VW musste sich deshalb nach einer Übergangszeit ab Anfang 2003 mit der Marke Bentley und dem Stammwerk in Crewe bescheiden, BMW musste die Wagen in einer nagelneuen Fabrik in Goodwood mit einer neuen Mannschaft fertigen und dennoch das Kunststück schaffen, die Tradition nahtlos fortzusetzen. Eine Minute nach Mitternacht wurde am 1. Januar 2003 der erste neue Rolls-Royce Phantom in Goodwood seinem Besitzer übergeben.

Die Autos aus der neuen Fabrik kamen in den vergangenen Jahren immer besser bei den Superreichen dieser Welt an. Während Daimler mit viel Geld vergeblich versuchte, der alten Marke Maybach neues Leben einzuhauchen, und im vergangenen Jahr schließlich aufgab, fuhr Rolls-Royce zuletzt von Rekord zu Rekord (siehe Schaubild). Goodwood wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut, weil die Fabrik aus allen Nähten platzte. Auch Bentley hat in den letzten Jahren kräftig zulegen können. Doch verkauft Bentley die meisten Fahrzeuge in einer Preisklasse deutlich unterhalb von Rolls-Royce.

Nachdem am 17. Dezember der letzte Maybach im Daimler-Werk Sindelfingen vom Band gelaufen ist, hat Rolls-Royce einen Wettbewerber weniger. Von Jubelstimmung ist indes nichts zu spüren. „Ich glaube, dass Rolls-Royce in nur sehr geringem Umfang davon profitiert, dass Maybach nicht mehr auf dem Markt ist“, meint Harald Krüger, der im BMW-Vorstand für Rolls-Royce zuständig ist. Krüger weist darauf hin, dass dieses Marktsegment sehr speziell sei. „Hier geht es gar nicht so sehr um einen Wettbewerb zwischen Autoherstellern. Die Kunden, die einen Rolls-Royce kaufen, schauen alternativ nach anderen Objekten. Häufig ist es eine Wohnung oder ein Kunstgegenstand oder eine Yacht.“

Für den Erfolg nennt Krüger mehrere Gründe. „Rolls-Royce ist im obersten Luxussegment mit seiner 109-jährigen Geschichte die mit Abstand stärkste Marke“, sagt der BMW-Vorstand. Wichtig sei auch der Manufakturstandort in England, der die Marke authentisch mache. Zudem habe man die Marke behutsam weiterentwickelt und mit „vorsichtig gesetzten Produktimpulsen zusätzlich Wachstum generiert“.

Anders als Daimler beim Maybach hat Rolls-Royce mit Neuheiten immer das Interesse der zahlungskräftigen Kundschaft wachgehalten. Auf den Start des Phantom 2003 folgte zwei Jahre später eine Variante mit verlängerten Radstand, zwei Jahre darauf eine Cabriolet-Variante und ein Jahr darauf ein Coupé.

Deutlichen Schub brachte 2009 die Einführung des Ghost als zweite Baureihe, die preislich unterhalb des Phantom angesiedelt ist. „Mit dem Ghost haben wir neue Kunden gewinnen können“, sagt BMW-Vorstand Krüger. Etwa 80 Prozent der Ghost-Käufer hätten vorher keinen Rolls-Royce gefahren. Während die Preisliste beim Rolls-Royce Phantom bei 350 000 Euro (ohne Steuern) beginnt, ist ein Ghost ab 250 000 Euro zu haben.

Daimler hatte es nicht gewagt, in die Ghost-Preisklasse vorzustoßen – aus Angst, damit der S-Klasse, dem Flaggschiff von Mercedes-Benz, zu schaden. Bei Bentley liegen die meisten Modelle unterhalb von 200 000 Euro. Nur der Bentley Mulsanne, das Flaggschiff der Marke, spielt mit einem Grundpreis von 246 000 Euro in der Liga von Rolls-Royce.

Zusätzlichen Umsatz und Gewinn bringt Rolls-Royce das Individualisierungsprogramm mit dem Namen „Bespoke“. Immer mehr Käufer wollen ihrem Wagen eine persönliche Note geben. Sehr beliebt sind dabei besondere Farben, Hölzer oder Leder, ein Familienwappen, ein Humidor für die Zigarren oder eine Schmuckschatulle im Fond. Mancher lässt sich auch die Kühlerfigur Spirit of Ecstasy vergolden. 90 Prozent der Phantom-Käufer lassen sich solche Sonderwünsche etwas kosten.

Wie sich dies in der Ertragsrechnung niederschlägt, gilt jedoch als Betriebsgeheimnis. Der Maybach fuhr chronisch rote Zahlen ein, Bentley schaffte laut VW-Geschäftsbericht 2011 nach einem Verlustjahr gerade einmal eine magere operative Umsatzrendite von 0,7 Prozent. Und Rolls-Royce? „Die Profitabilität ist so, dass die BMW-Group damit zufrieden ist“, versichert BMW-Vorstand Krüger.

Zug um Zug hat Rolls-Royce seit dem Neustart 2003 sein Händlernetz ausgebaut. Waren es am Anfang 50 Händler, so sind es heute mehr als 100, davon 20 in China. Im vergangenen Jahr ist unter anderem Südamerika hinzugekommen. Der weltweit größte Händler sitzt in Peking. „Mit dem heutigen Händlernetz fühlen wir uns auch längerfristig gut aufgestellt. Das heißt aber nicht, dass nicht der eine oder andere Händler hinzukommen könnte“, sagt Krüger. So sucht die Nobelmarke einen Vertriebspartner in Hamburg. Es wäre nach München, Köln, Dresden und Berlin der fünfte Standort in Deutschland. Während Bentley in diesem Jahr ein zweistelliges Wachstum anpeilt, hält man sich bei Rolls-Royce noch bedeckt. „Wir haben jetzt drei Jahre hintereinander Verkaufsrekorde erreicht. Für dieses Jahr sind wir leicht optimistisch gestimmt“, heißt es vage mit Blick auf konjunkturelle Unwägbarkeiten etwa in Südeuropa. Grundsätzlich sieht Krüger jedoch gute Perspektiven für Rolls-Royce: „Die Anzahl der Kunden, die sich solch ein Luxusauto leisten können, steigt weltweit. Das belegen Studien. Und das Wachstum spüren wir nicht nur in China.“

Vor zwei Jahren hat Rolls-Royce auf dem Genfer Autosalon eine Fahrzeugstudie mit Elektroantrieb gezeigt. Anschließend ging der Stromer auf Welttournee, um ihn der gut betuchten Klientel vorzuführen. Dann war nichts mehr von ihm zu hören. Die Reaktion war gemischt, wie der BMW-Vorstand berichtet. „Reichweite und Ladezeiten waren deutlich zu lang. Aber der Komfort und die Fahreigenschaften haben überzeugt.“

Eigentlich, so sollte man meinen, wäre Rolls-Royce doch prädestiniert für das Fahren mit Strom. Der gut betuchten Klientel kommt es auf einige Zehntausend Euro mehr oder weniger nicht so sehr an, und zum Profil der Nobelmarke gehört seit je das lautlose Dahingleiten. Und könnte zudem ein in Sachen Umwelt vorbildlicher Luxuswagen nicht auch die soziale Akzeptanz bei all jenen fördern, die sich solch ein Vehikel nicht leisten können?

Noch steht nicht fest, ob demnächst ein Rolls-Royce Premiere feiern wird, der keinen voluminösen Verbrennungsmotor mit hohem Spritverbrauch und gruseligen Emissionswerten hat. Doch ausgeschlossen ist es nicht. „Wir denken grundsätzlich über alternative Antriebe bei Rolls-Royce nach“, versichert BMW-Vorstand Krüger.