Beim Geocaching des Kunstmuseum-Jugendclubs erwachen öffentliche Skulpturen zu neuem Leben. Nicht nur Jugendliche können so die Kunst in der Stadt mit neuen Augen betrachten, hoffen die Macher des Spiels.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Leif und René gehen beinahe wie ferngesteuert über den Schlossplatz, den Blick immer starr auf ein kleines Gerät in ihren Händen gerichtet. Die beiden Zwölfjährigen sind aber nicht etwa von eintreffenden SMS auf ihren Handys abgelenkt, sondern schauen gebannt auf ihre GPS-Geräte, die sie zusammen mit einem Infoheft im Eingangsbereich des Kunstmuseums erhalten haben. „Stuttgart rastert aus“ heißt ein Projekt des Jugendkunstclubs „Crumpled Paper“. Begleitend zur aktuellen Ausstellung „Rasterfahndung“ im Museum haben 15 Jugendliche monatelang ein Geocaching-Spiel mit Kunstwerken im öffentlichen Raum ausgearbeitet. „Es ist eine moderne Schnitzeljagd, man kann sie mit dem GPS-Gerät bestreiten oder mit einem Stadtplan mit Koordinaten“, erklärt Nicole Deisenberger, Leiterin der Abteilung Kunstvermittlung. Das Thema Raster, wie es in der aktuellen Ausstellung im Vordergrund steht, habe die Jugendlichen sofort auf die Idee gebracht, ein Geocaching-Spiel zu entwickeln.

 

Eine moderne Schnitzeljagd

Direkt vor dem Kunstmuseum steht die große Skulptur „Crinkly avec disque rouge“ von 1973, ein sogenanntes Mobile-Stabile von Alexander Calder. In dem kleinen Begleitheft zur Aktion schauen Leif und René nach, was sie da gerade sehen und wie die Frage lautet. Denn nur, wer die Frage zu diesem Kunstwerk richtig beantwortet, erhält die Koordinaten des nächsten Anlaufpunktes. „Welche Farbe hat die Fläche, in der sich das kreisrunde Loch befindet?“ René und Leif gehen um das Kunstwerk herum, schauen es von allen Seiten an, blicken weit nach oben – tatsächlich, in einer Fläche ist ein kleines Loch. „Der zweite Buchstabe des Lösungswortes vervollständigt die Koordinaten“ heißt es im Heft. Dann werden die Koordinaten ins Gerät eingegeben und ein Pfeil in der digitalen Karte weist so den Weg zur nächsten Station. Neben dem Gebäude des Cafés Künstlerbund ist auch die Museumspraktikantin Francesca Demuro überrascht – das winzige Kunstwerk von Micha Ullman mitten auf dem Gehweg hat sie noch nie gesehen. Der „Abendstern“ von 1996 besteht nur aus einer tischtennisballgroßen hälftigen Einkerbung in den Asphalt. Kaum jemand kennt dieses „Miniment“ von Micha Ullman mitten in der Stadt.

Aktion mit Perspektiven

Die Geocaching-Aktion wurde eigenständig vom Jugendkunstclub erarbeitet. Für jede Ausstellung entwickeln die Jugendlichen ein eigenes Projekt – doch diese Aktion könnte noch länger als nur bis zum Ende der „Rasterfahndung“-Ausstellung am 7. Oktober Bestand haben. „Wir überlegen, das dauerhaft einzurichten“, sagt Nicole Deisenberger. Kunst im öffentlichen Raum sei ein immer wichtiger werdendes Thema: „Kunst braucht den Betrachter, er gehört mit zum Werk dazu, es geht auch um die Interaktion.“

Die Jugendlichen haben zu manchen Kunstwerken kleine Filme gedreht, die über einen QR-Code oder einen Internetlink, die jeweils im Begleitheft des Spiels abgedruckt sind, aufgerufen werden können. So beispielsweise bei dem Kunstwerk „La Nuit“ von Aristide Maillol, neben dem sich die Jugendlichen dabei gefilmt haben, wie sie Passagiere dazu auffordern, die sitzende Frauenstatue anzufassen. Oder bei „Draped Reclining Woman“ von Henry Moore, das bereits 1957 bis 58 entstanden ist: Im Internet findet sich ein Video der Jugendlichen mit einer Art Performance-Kunst. Ein junges Mädchen liest dabei einen Leserbrief aus der Stuttgarter Zeitung von 1961 laut vor. In dem Brief kritisiert ein StZ-Leser den Künstler und bezeichnet die Skulptur als „gewollt und verkrampft“.

„Die Jugendlichen haben einen Workshop mit einer Performancekünstlerin absolviert und wollten danach selbst etwas in dieser Richtung umsetzen“, erklärt Nicole Deisenberger die Aktion. Und der „Abendstern“von Micha Ullmann hat den Jugendlichen so gut gefallen, dass sie für ihn eine Facebook-Seite erstellt haben. Hier können alle, die das bescheiden kleine Kunstwerk mögen, „gefällt mir“ klicken.