Kultur: Stefan Kister (kir)

So unterschiedlich sich seine Werke auch präsentieren, von den Anfängen in der Kölner Musikzeitschrift „Spex“ über den RAF-Roman „Kontrolliert“, von der Dramen-Trilogie „Krieg“ über das Internet-Tagebuch „Abfall für alle“ bis hin zum Roman der kapitalistischen Kaputtheit in „Johann Holtrop“, eines eint sie alle: Kompromisslosigkeit, hohes Tempo und schneidende Intelligenz.

 

Goetz denkt schneller als alle anderen, so schnell, dass es ihm gelang, selbst das hochbeschleunigte Beat-Geflimmer des Techno in seinem Stroboskop-Text „Rave“ auf ordentliche Begriffe zu bringen. Doch bei allem Sich-dem-Flüchtigen-Aussetzen, bei allem Mut zum Nichtigen, bei aller Lust, im Abfall aller herumzuwühlen: im Gegensatz zu anderen Pop-Pionieren der deutschen Literatur schmeißt sich der Gegenwartseuphoriker Goetz seinen Lesern nie an den Hals. Für seine Grenzgänge zwischen gesellschaftlichen Zirkulationssphären, zwischen Wirtschaft und Kunst, Literatur und Journalismus, findet er gültige Formen. Kann man knapper, klarer, boshafter den zynischen Kick der großen Rationalisierer auf den wirtschaftlichen Führungsebenen umreißen, als es Goetz in „Johann Holtrop“ getan hat, der als Fiktion getarnten Biografie des Ex-Arcandor-Chefs Thomas Middelhoff? Ein Gekündigter begeht Selbstmord: „Holtrop konnte nicht anders, als auf der Grabplatte die bekannten Worte ,Wieder einer weniger‘ zu lesen und fröhlich ergrimmt zu denken ,der ist also aufgeräumt’.“

Von Zähmung weit entfernt

Nur durch die Attacke, den Kampf und den Streit wird die Arbeit an der Kunst zur Arbeit an der Gesellschaft. Immer hat sich Goetz, der laut eigenem Bekenntnis schon als Sechzehnjähriger täglich zwei Stunden in einer Tageszeitung gelesen hat, in die Kampfzonen unserer Gesellschaft begeben: In „Loslabern“ setzte er sich dem „Journalististan“ der Hauptstadtpresse aus, verfolgte die Debatten im Bundestag und nahm in Berlin, wo er seit den neunziger Jahren lebt, an der Bundespresskonferenz teil. Alles, um die Funktionsweise des „politisch-journalistischen Komplex“ aus nächster Nähe zu beobachten.

Und dieses wilde Schreiben soll nun zum Klassiker bezähmt sein? Fragt sich, was man darunter versteht. In einem Text, veröffentlicht in dem Band „Hirn“, gibt Rainald Goetz darauf eine Antwort. Der Anlass ist eine Reise nach Marbach, wohin sonst, um herauszufinden, „ob Friedrich Schiller ein Klassiker ist oder ein Arsch“. Nach dem Besuch ist er mit Schiller nicht besonders warm geworden. Eines aber ist ihm klar: der Klassiker ist ein Popphänomen. „Denn ein Hauptmerkmal, geradezu ein Kardinalsymptom des Hits wie des Klassikers ist schließlich: dass er Mut macht, einem neue Kraft gibt, neue Stärke, neues Neu und neue Wut für die nächste Attacke.“ Nach Zähmung klingt das nicht.