Am Sonntag steht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft erstmals seit Langem wieder unter Zugzwang. Ein Sieg im EM-Qualifikationsspiel in Georgien ist für Joachim Löw und seine Weltmeister Pflicht.

Tiflis - Urs Siegenthaler ist wie üblich vorausgeeilt. In die georgische Hauptstadt Tiflis ist der Chefspion der deutschen Nationalelf schon vor Tagen geflogen und hat sich am Mittwoch den 2:0-Testspielsieg der Gastgeber gegen Malta angeschaut. Ein ausführliches Dossier über den nächsten Gegner war also schon angefertigt, als am Freitagabend auch der Bundestrainer Joachim Löw und seine Spieler nach vierstündigem Flug in Tiflis eintrafen. An einer profunden Vorbereitung wird es also nicht fehlen, so wie es seit Jahren üblich ist bei Spielen der DFB-Auswahl.

 

Anders als sonst ist diesmal jedoch die Ausgangslage, wenn Deutschlands beste Fußballer am Sonntag (18 Uhr MESZ/RTL) in Georgien ihr erstes Pflichtspiel im neuen Jahr bestreiten: Sie stehen unter Zugzwang. „Normalerweise sind wir in den Qualifikationsrunden immer von Anfang an vornewegmarschiert“, sagt Joachim Löw. Mit Siegesserien hatte sein Team vor den letzten Turnieren von Beginn an nicht den leisesten Zweifel an einer erfolgreichen Qualifikation gelassen. Nun liegt die deutsche Mannschaft im Rennen um die Teilnahme an der Europameisterschaft 2016 in Frankreich nach vier Spieltagen nur auf dem dritten Platz, drei Punkte hinter Polen, punktgleich mit Irland.

Ein Sieg ist Pflicht

Es gibt keinen Grund, sich ernsthafte Sorgen zu machen, zumal im nächsten Jahr erstmals 24 Mannschaften an der EM teilnehmen dürfen. Unvorstellbar, dass der Weltmeister an dieser niedrigen Hürde hängenbleibt. Trotzdem ist auch der sportlichen Leitung klar, dass die Mannschaft so langsam wieder auf Betriebstemperatur kommen sollte. „Wir können uns keine weiteren Fehler mehr erlauben“, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff. „Wir stehen unter Druck, aber deshalb gibt es keine Panik“, sagt der Assistenzcoach Thomas Schneider, während sein Chef Löw klarstellt: „Wir müssen unbedingt gewinnen.“

Mit großer Milde hat Löw über die kargen Auftritte hinweggesehen, die vergangenes Jahres auf die große WM-Party gefolgt waren: die Niederlagen gegen Argentinien und Polen, das Unentschieden gegen Irland, die mühsamen Siege gegen Schottland und Gibraltar. Zwar „ein bisschen hektisch“, aber durchaus „unterhaltsam“ fand er das ebenso schwache 2:2 im Testspiel am Mittwoch gegen Australien in Kaiserslautern – und warb auch diesmal um Verständnis: Die Abwehrdreierkette könne nicht „auf Knopfdruck“ funktionieren, sie klappe „vielleicht auch erst in drei Jahren“.

In großen Dimensionen denkt der Weltmeistertrainer, der vor wenigen Wochen seinen Vertrag bis 2018 verlängert hat. „Wie geht es für uns weiter, wohin geht die Entwicklung des Fußballs?“, das seien die Fragen, die beantwortet werden müssen, sagte Löw schon vor dem Australien-Spiel und kündigte an, dass sein Team sich „ein Stück weit neu erfinden muss“. Mehr taktische Flexibilität sei nötig, es gelte „einen weiteren Weg nach Rom kennenzulernen“.

Die Zeit der Experimente ist vorbei

Von der neuen Saison an sollen diese Themen angegangen werden. Auch personell werden dann „die Karten neu gemischt“ – junge Spieler wie Max Meyer oder Emre Can sollen dann eingebaut werden, die zuvor noch die U-21-EM spielen sollen. Doch erfordert nun auch die Gegenwart erhöhte Aufmerksamkeit, will man sich vor den Qualifikationsspielen im September gegen Polen und in Schottland nicht noch stärker in Bedrängnis bringen.

Den Test gegen die Auswahl Australiens nutzte Löw für einige Experimente, probierte die Dreierkette aus und ließ die Rückkehrer Ilkay Gündogan und Holger Badstuber spielen. Für das Qualifikationsspiel in Georgien jedoch, bei dem Badstuber (muskuläre Probleme) und Karim Bellarabi (Erkältung) kurzfristig ausfallen, ist nun vom Bundestrainer wieder der Ernstfall ausgerufen worden.

Das Thema Dreierkette wird bis auf Weiteres vertagt, auch personell geht Joachim Löw wieder auf Nummer sicher. Manuel Neuer kehrt ins Tor zurück, und auch die anderen Weltmeister wie Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Toni Kroos, Jerome Boateng und Mats Hummels stehen wieder in der Startelf.

Thomas Schneider ahnt, dass der Ausflug nach Vorderasien dennoch keine Lustreise ist, dass 54 000 Georgier im ausverkauften Stadion „bei jedem Angriff ihres Teams in Euphorie verfallen“. Der frühere VfB-Trainer glaubt aber auch fest daran, dass sich dafür nicht viele Gelegenheiten bieten: „Wenn wir seriös bleiben, werden wir den Platz als Sieger verlassen.“