Rottenburg ist die erste Fairtrade-Stadt im Land gewesen. Sie nimmt ihren Titel ernst: Pflastersteine aus China lehnt sie ab, leer geschriebene Kugelschreiber landen auf dem Kompost. Ein Rathausbesuch zum Beginn der fairen Woche

Region: Verena Mayer (ena)

Auf den ersten Blick arbeitet Sabine Brunnenmüller in einem ganz normalen Büro. Ihr Schreibtisch hat vier Beine, ihr Stuhl steht auf Rollen, auf dem Regal dahinter grünt ein Ficus. Doch bei näherer Betrachtung handelt es sich um ein politisch korrektes Rottenburger Rathausbüro. Die Lineale auf dem Schreibtisch sind aus Holz, das Papier im Drucker ist etwas läppriger als früher, die Schnellhefter sind nicht mehr aus Plastik, sondern aus Pappe, der Rechner ist besonders sparsam im Verbrauch, im Toner des Druckers gibt es keine giftigen Flammschutzmittel, und die Hülle des leer geschriebenen Kugelschreibers kann Sabine Brunnenmüller auf den Kompost werfen oder als Pflanzenstütze auferstehen lassen. Das Büromaterial im Rathaus muss umweltfreundlich sein. Ordner, Umschläge, Diktiergeräte oder Papierkörbe, die keinen blauen Engel tragen, bestellt Sabine Brunnenmüller, die im Rathaus für den Einkauf zuständig ist, erst gar nicht. Rottenburg ist Fairtrade-Town.

 

Rottenburg handelt vorbildlich

In einer Fairtrade-Stadt arbeiten Menschen an einer gerechteren Welt. Sie setzen sich dafür ein, dass fair gehandelte Produkte in den Geschäften und in der Gastronomie verfügbar sind. Der Kaffee oder Tee in öffentlichen Einrichtungen stammt vorzugsweise von Bauern aus der Dritten Welt. Und mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen werden möglichst viele Mitbürger für das Thema sensibilisiert. Erfunden haben die Fairtrade-Town die Briten. Inzwischen gibt es die Kampagne in 19 Ländern, seit 2009 auch in Deutschland, wo die Aktivisten wie Bohnen vom Kaffeestrauch zu fallen scheinen. Am Freitag, zum Beginn der fairen Woche, kürt der Verein Transfair die 95. Fairtrade-Town. Rottenburg war die erste in Baden-Württemberg – und ist noch immer ein Vorbild.

Ein paar Treppen und Flure von Sabine Brunnenmüller entfernt arbeitet Manfred Wanner in seinem korrekten Rathausbüro. Wanner leitet das Tiefbauamt. Wird ein Radweg gebaut, sind seine Männer zur Stelle. Ist eine Straßenlaterne defekt, rücken seine Mitarbeiter aus. Müssen Bäume geschnitten werden, das Tiefbauamt kommt. Wird ein Platz neu gestaltet, ist Wanner der wichtigste Mann. Wie das in Tiefbauämtern eben ist. Im Rottenburger ist es allerdings so: Wird ein Platz neu gestaltet, werden prinzipiell keine Pflastersteine aus Indien oder China verwendet. Als jüngst der Eugen-Bolz-Platz vor dem Dom verschönert wurde, haben sich die Stadträte für die 600 000 Euro teuren Granitsteine aus Bayern entschieden. Es gab auch ein Angebot für 400 000 Euro, doch dieses Pflaster wäre aus China gekommen. „Wir haben klar gesagt, dass wir ein deutsches Produkt wollen“, sagt Wanner. Da stimme nicht nur die Qualität, man dürfe auch davon ausgehen, dass in den Steinbrüchen keine Kinder ausgebeutet werden.

Kaffee und Zucker sind zu wenig

Claudia Duppel mag solche Berichte. Sie zeigen der Geschäftsführerin des Dachverbandes Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, was möglich ist, wenn eine Fairtrade-Kommune ihren Titel ernst nimmt. Es gibt auch Orte, die sich damit begnügen, im Büro des Bürgermeisters, bei Ratssitzungen und in öffentlichen Einrichtungen fairen Kaffee auszuschenken und fairen Zucker dazu zu reichen. Ein bisschen wenig, wie Claudia Duppel findet. Sie sagt: „Fair ist gut, nachhaltig ist besser.“

Erst seit das Vergaberecht 2009 reformiert wurde, ist den Kommunen der nachhaltige Einkauf überhaupt gestattet. Zuvor hatten ökologische oder soziale Aspekte in einer öffentlichen Ausschreibung nichts zu suchen. Das Vergaberecht sollte nicht politischen Zielen dienen, sondern den wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand sichern. Der Europäische Gerichtshof urteilte schließlich, dass es in Ordnung ist, sogenannte Sekundärziele zu fordern. Das günstigste Angebot müsse nicht zwangsläufig das wirtschaftlichste sein.

Eine ernsthafte Fairtrade-Kommune nutzt also ihre Marktmacht. 360 Milliarden Euro geben öffentliche Verwaltungen pro Jahr für Waren und Dienstleistungen aus. Das sind 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn alle Bürgermeister, Landräte und Minister Steine aus anständigen Steinbrüchen bestellten, Möbel ohne Tropenholz oder Computer zu fairen Preisen, wären Fairtrade-Towns überflüssig. Dann könnte es eine Fairtrade-World geben.

Der Oberbürgermeister ist stolz auf seine Stadt

An Stephan Nehers Füßen stecken keine ausgelatschten Sandalen. In seinem Gesicht steht kein zauseliger Vollbart. Von seinem Revers blinken keine Dafür- oder Dagegen-Buttons. Stephan Neher trägt einen Anzug samt Krawatte, dunkle Lederschuhe, er ist glatt rasiert. Neher hat Theologie und Jura studiert, ist Mitglied der CDU und seit vier Jahren Oberbürgermeister von Rottenburg. Früher, sagt Stephan Neher, habe er sich nicht so viele Gedanken darüber gemacht, wo etwa Pflastersteine herkommen oder die Uniformen für den Vollzugsdienst.

Früher waren in Rottenburg hauptsächlich die Mitglieder des Weltladen-Vereins entwicklungspolitisch aktiv. Ihrem Engagement ist auch der Fairtrade-Titel zu verdanken. Seit es diesen zu erhalten gilt, scheint die ganze Stadt im Einsatz für eine gerechtere Welt zu sein. Das St.-Meinrad-Gymnasium schenkt in Lehrerzimmer, Sekretariat und Schülercafé nur noch fair gehandelten Kaffee aus. Die Kreuzerfeld-Realschule hat eine Schulkollektion kreiert, die aus ökologischer und fair gehandelter Baumwolle besteht. Vom Paul-Klee-Gymnasium stammt eine Broschüre, in der alle Geschäfte und Restaurants aufgeführt werden, die fair gehandelte Produkte verkaufen und servieren. Das St.-Klara-Gymnasium hat ein wirtschaftsethisches Forum veranstaltet. Die Prinzipien des fairen Handels werden sogar bei Abiprüfungen abgefragt. Die Schüler decken sich dann im Rathaus mit Informationen ein. „Rottenburg ist die ideale Fairtrade-Stadt“, sagt Stephan Neher, der die Uniformen für den städtischen Vollzugsdienst inzwischen explizit bei Firmen bestellt, die in Deutschland produzieren.

Der faire Gedanke kommt auf den Friedhof

In Zimmer F 210 des Rathauses sitzt Berthold Meßmer. Die Leuchtstifte, mit denen er wichtige Informationen anstreicht, sind aus Holz. Der Radiergummi wurde aus Kautschuk gefertigt statt aus Erdöl. Der Kaffee, den er in seinem Büro trinkt, ist – man ahnt es – fair gehandelt. „Natürlich“, sagt der Herr über die Rottenburger Flächen. Meßmers Kämmerei verwaltet sämtliche Grundstücke der Stadt. Sie verpachtet Kleingärten und vermietet Läden, organisiert den Brennholzverkauf im Stadtwald und die Ordnung auf den Friedhöfen. Für Letztere tüftelt Meßmer momentan an einer neuen Satzung. Vom kommenden Jahr an sollen in der Stadt Grabsteine verboten werden, für die Kinder geknechtet wurden. Im Juni hat der Landtag die entsprechende Novelle des Bestattungsgesetzes beschlossen. Für Kommunen ist es keine Pflicht, ihre Friedhofssatzung zu ändern. Rottenburg tut es trotzdem. Es gehe ja nicht an, dass man Pflasterstein aus China ablehnt, aber Grabsteine zulässt, für die Kinder ausgebeutet werden, sagt Berthold Meßmer. Künftig muss ein Steinmetz in Rottenburg also bei der Friedhofsverwaltung nachweisen, dass sein Grabstein fair beschafft wurde.

Manfred Schlaier nennt das „einen Anfang“. Doch er ärgert sich, dass nun der Grabstein als solcher am Pranger stehe. Wenn man konsequent sein wolle, sagt der Steinmetz, müsste man auch Handys, Fußbälle und Schuhe verbieten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen fabriziert wurden, oder es machen wie einer seiner Kunden: Der hatte sich unlängst in einen Stein aus Indien verguckt. Dort, sagt Schlaier, gebe es einfach die gefragtesten Steinsorten. Trotzdem hat der Kunde dann einen Stein aus der Schweiz gekauft. Obwohl er nicht den gewünschten Farbton hatte, obwohl er teurer war – und obwohl Schlaier nur bei Lieferanten kauft, die nachweisen, dass alles mit fairen Dingen zugeht. Mit dem Stein aus dem Tessin war der Kunde auf der ganz sicheren Seite.

Die Titelverteidigung wird zum Fairgnügen

Im Juni hat der Verein Transfair die Rottenburger Aktivitäten einer Prüfung unterzogen – und den Titel dann erneut vergeben. Im Rathaus gab es deshalb eine kleine Feier mit Kaffee und Tee, Keksen und Trockenfrüchten aus dem Weltladen. Von dort stammen übrigens auch die Präsentkörbe, die die Stadt an Jubilare verschenkt. Sogar Feiern ist in Rottenburg eine faire Sache, ein Fairgnügen sozusagen.