„Er lebe hoch – der Gerhard Raff von Degerloch“, reimte einst Loriot. Der Vers hat nichts an Gültigkeit verloren: An diesem Samstag feiert der unermüdliche Schaffer seinen 70. Geburtstag. Im Interview verrät er, warum er alles spendet, was er mit seinen Büchern und Vorträgen verdient.
10.08.2016 - 06:00 Uhr
Herr Raff, was bedeutet Ihr Garten für Sie?
Das irdische Paradies. Hier habe ich eine sehr glückliche Kindheit und Jugend mit meiner Mutter und Großmutter verbracht.
Wer pflegt den Garten?
Der liebe Gott und ich – wir beide. Aber wehe, es schafft von uns beiden mal einer drei oder vier Wochen nichts dran, dann god Nacht.
Sie sind ein schwäbischer Schaffer wie er im Buche steht. Zum Beispiel haben Sie mehr als 3300 Seiten zur Geschichte des Hauses Württemberg produziert – beginnend mit Graf Ulrich dem Stifter. Wie schaffst man das?
Ich habe dieses Thema 1973 nach dem Examen von Professor Hannsmartin Decker-Hauff bekommen, dem von mir verehrten Tübinger Historiker. Erst später hat er mir gesagt, dass er dafür seit 1956 einen „Dommen“ gesucht hat. Die Arbeit galt als undurchführbar . . .
Warum hat Sie das gereizt?
Decker-Hauff, der ja auch Ahnenforscher war, hat das sehr schlau angestellt. Er sagte mir damals, das ist doch alles Ihre Verwandtschaft: Herzog Carl Eugen, Ulrich, der Vielgeliebte und so weiter. Damit hatte er mich gewonnen. Sie kennen ja den Spruch: Die Stuttgarter stammen von den Affen ab, wir Degerlocher von den Staufern. Den zweiten Band hat Decker-Hauff dann nicht mehr miterlebt, mir 1992 auf dem Sterbebett aber das Versprechen abgenommen, dass ich weitermache. Jetzt bin ich bei Band IV . . .
. . . der im vergangenen Dezember erschienen ist und die Zeit der Herzöge Eberhard Ludwig und Carl Alexander umfasst, auch fast 800 Seiten dick. Wie lange brauchen Sie, um die ganze Geschichte zu vollenden?
Das schaffe ich nicht mehr. Ich muss froh sein, wenn ich noch Band V vollende – Herzog Carl Eugen und seine – und meine – geliebte Franziska von Hohenheim. Sie hat von mir schon fünf Denkmäler gekriegt.
Wie schaffen Sie?
Ich bin ein Tag- und Nachtarbeiter mit napoleonischem Schlafvolumen. Drei Stunden Schlaf müssen reichen. Tagsüber sitze ich meist in der Bibliothek oder im Staatsarchiv. Anschließend müssen die Ergebnisse zuhause zusammengefasst werden.
Sie betonen gerne, dass sie (vogel)frei sind. Was bedeutet Ihnen Freiheit?
Ich war vier Jahre beim Stadtarchiv beschäftigt, um mir das Geld für meine Promotion zu verdienen. Es waren die verlorensten Jahre meines Lebens. Bei meinem Ausscheiden habe ich gelobt, künftig nur noch den lieben Gott und blauen Himmel von Württemberg über mir zu dulden.
Sie sind in Degerloch verwurzelt. Hat Sie die Ferne nie gereizt?
Ich hab die Welt schon ein bisschen gesehen. Ich war je ein halbes Jahr in Amerika und in Australien, und mindestens eineinhalb Jahre meines Lebens habe ich in der Provence verbracht, wo auch meine Krippe herstammt, die ich immer an Weihnachten ausstelle – dieses Jahr bei Carmen Würth in Künzelsau.
Sind Sie ein Gutmensch?
Das Wort gefällt mir nicht. Aber das Zitat von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker „Wohltäter der Menschheit“ akzeptiere ich gerne. Denn mir ist an meiner ärmlichen Wiege nicht gesungen worden, dass ich der Menschheit mal durch Bücher und Vorträge solche Beträge zurückgeben kann . . .
. . . einen zweistelligen Millionenbetrag, wie Kollegen ausgerechnet haben. Woher kommt die Motivation zum Dauer-Spenden?
Ich kann kein Geld für mich annehmen. Schon meine Großmutter, die mir einst im Kuhstall Mörike, Hölderlin und die Landesgeschichte beibrachte, hat immer viel hergeschenkt – aus Dankbarkeit, dass ihre sechs Kinder den Krieg überlebt haben. Bei uns standen kein Klavier und lagen keine Orientteppiche.
Hat Ihre Freigiebigkeit auch einen religiösen Hintergrund?
Nadierlich. Paulus schrieb an die Korinther: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“
Stoßen sie damit auch auf Unverständnis?
Ja, klar. Schon beim Franz von Assisi hieß es, solche Leute gehören ins Irrenhaus.
Wird das Materielle bei uns überschätzt?
Erstens das und zweitens hab ich als Kind erfahren, was Armut heißt. Das prägt.
Fehlt Ihnen materiell nichts?
Nein. Ich hätte mir jedes Jahr zwei drei Porsche kaufen können, aber ich würde mir schäbig vorgekommen, am Späßchenmachen reich zu werden, wenn ich gleichzeitig weiß, was eine Hebamme,Krankenschwester oder Kindergärtnerin verdient.
Sie treten nicht nur für eine gute Sache auf, sondern für viele. Wie wählen Sie aus?
Außer zu Nazis und zu Kommunisten gehe ich eigentlich zu allen. Der Rekord liegt bei 302 Veranstaltungen im Jahr. Aber ich mach jetzt etwas weniger.
Sie selbst nehmen für diese Veranstaltungen keinen einzigen Euro?
Nein. Ich kenne aber Benefziveranstaltungen bei denen 70 Prozent der Spendensumme an die Akteure geht. Das halte ich für „Malefiz’“. Und die Leute honorieren das auch. Meine Devise ist: „Alles unter 1000 Euro am Abend ist eine Ohrfeige“. Und ich bin in mehr als 25 Jahren in Württemberg noch nie geohrfeigt worden. Die Summen waren oft sogar fünfstellig.
Ihr Blick von Degerloch auf Stuttgart? Wie sehen Sie die Landeshauptstadt heute?
Meine spezielle Sicht auf Stuttgart ist bestimmt durch den Degerlocher Lokalpatriotismus: Beim Konfirmandenausflug hat man uns an die Weinsteige geführt und gesagt: „Da honna leit die Sau ond frisst Steura, ond mir Bachel miesset se fuadere.“ Daran hat sich nichts geändert. Stuttgart 21 dürfen wir nicht ansprechen, sonst zwickt’s mich hier am ohnehin lädierten Herz. Und ich will doch a Weile „oben bleiben“ . . .
Was wünschen Sie sich zum 70. Geburtstag?
Als einer, dem die „Gnade der schwäbischen Geburt“ zuteil wurde, und der im Gegensatz zu seinen Altvorderen sein Lebtag lang in Frieden und Freiheit leben durfte, die Zeilen 321-333 von Schillers Glocke: „Holder Friede, süße Eintracht . . .“
Wie feiern Sie das Erreichen des 1 ¾ fachen Schwabenalters am Samstag?
Ich werde an mein Scheunentor einen Zettel anbringen: „Heute keine Sprechstunde wegen Senilitätsgedenktag. Jubilar vorübergehend verschollen.“