Am Sonntag wird in Echterdingen ein alter Bunker zur Besichtigung freigegeben. Wer darin sitzt, fühlt die Beklemmung der Menschen im Bombenkrieg

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Leinfelden-Echterdingen - Wolfgang Haug kann sich selbst nicht mehr erinnern an jene Nacht, er war damals keine zwei Jahre alt. Aber er hat später nachgefragt, als Sohn, als Lehrer, als ehrenamtlicher Leiter des Stadtmuseums in Echterdingen. Und deshalb weiß er: der Bombenangriff auf den Ort in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 hat sich auf immer in die Seele all derer eingegraben, die ihn erlebt haben. Selbst in die Seele derer, die sich nicht erinnern.

 

Seine Mutter hat am späten Abend, als die Sirene auf dem Rathausdach zu heulen begann, den stets gepackten Koffer geschnappt und war mit ihm und dem siebenjährigen Bruder in den Gewölbekeller ihres Hauses gerannt, direkt gegenüber dem heutigen Museum. Dann hörten sie das Dröhnen der 863 britischen Bomber, die eigentlich die Industrieanlagen Stuttgarts anfliegen wollten. Sie hatten Phosphorbomben an Bord, die bei den Menschen schreckliche Verbrennungen verursachen. Sie ließen Luftminen fallen, die eine gewaltige Detonationswelle entwickeln und Häuser zum Einsturz bringen. Und sie streuten Stabbrandbomben aus, die ganze Städte unter Feuer setzen. Echterdingen versank in dieser Nacht in Asche und Leid, 200 Häuser und Ställe brannten nieder, fünf Menschen starben, mehr als 300 verätzte der Phosphor die Augen. "Und der wird verrückt, der hier zu begreifen noch sucht", dichtete später der britische Pilot Thomas R. Hodgson. Allein bei diesem Angriff verloren 300 Männer der Royal Air Force ihr Leben.

Einzig eine kleine Porzellankatze wurde aus dem Schutt gerettet

Eine Bombe traf den Dachstuhl des Haug'schen Hauses, das binnen Minuten in Flammen stand. Die kleine Familie flüchtete auf die Straße hinaus. Trümmer versperrten den Weg. Kühe und Pferde rannten irr vor Angst an ihnen vorbei. Bündel von Stroh flogen im heißen Sog brennend durch die Luft. Sie stürzten den Kellerabgang des Hirschen hinab, vielleicht hundert Meter die Hauptstraße hinab. Doch eine Luftmine deckte das Dach der Gaststätte ab, und das Fachwerk schüttelte es wie bei einem Erdbeben. "Alles raus hier", brüllte jemand, und die Familie rannte wieder die Straße hinauf zur damaligen Sparkasse, zum heutigen Stadtmuseum. Doch auch im dortigen Bunker fand sie keine Ruhe; das Haus geriet ebenfalls in Brand. Erst in einem vierten Gewölbekeller, außerhalb des Ortszentrums, konnte die Mutter mit ihren Kindern den Rest der Nacht verbringen. "Aus dem Schutt unseres Hauses konnten wir nur einen einzigen Gegenstand retten", erzählt Wolfgang Haug. Ein kleines spielendes Kätzchen aus Porzellan.

Wen wundert es da, dass dieser Wolfgang Haug eine ganz besondere Beziehung zu jenem Kleinbunker entwickelt hat, der jetzt draußen im Hof des Museums vergraben worden ist und in den die Echterdinger an diesem Sonntag um 11 Uhr erstmals hinabsteigen können. Die Beklemmung, unter der Erde eingesperrt zu sein. Die Sorge, was sein wird, wenn alles Gut verloren ist. Und die Angst, die letzte Stunde des eigenen Lebens und das Leben der Kinder könnte angebrochen sein. Das lässt sich 66 Jahre nach Kriegsende nicht mehr wirklich vermitteln. "Doch wir müssen versuchen, uns diesem schwierigen Thema von Krieg, Chaos und Tod anzunähern", sagt Wolfgang Haug.

Der Bunker hilft, die Erinnerung zu bewahren

Da spricht ganz der langjährige Schuldirektor aus ihm. In vielerlei Hinsicht hilft ihm dieser so einzigartige Bunker dabei, die Erinnerung zu bewahren an jene Zeit, die man so leichthin als die schlimmste in der Geschichte des Ortes bezeichnet. Der "L-S-Rundbau-Bunker" lag eigentlich in einem Grundstück etwa 300 Meter vom Stadtmuseum entfernt. Luise Steckroth hat 1944 in mehrmonatiger Arbeit das Loch dafür in ihren Garten gegraben; ihr Mann, der "Schäfer-Fritz", war meist mit den Tieren unterwegs. Einen öffentlichen Bunker gab es nicht unmittelbar in der Nähe, im eigenen Haus fehlte der Gewölbekeller.

Für solche Fälle hatte die Stadt Stuttgart im Jahr 1942 diesen Kleinbunker konstruieren und zum Patent anmelden lassen - die Historiker wussten zwar von seiner Existenz, doch hatte bis jetzt nie jemand einen gesehen. So ist der Bunker eine Besonderheit. Laut Rolf Zielfleisch, dem Vorsitzenden des Vereins Schutzbauten Stuttgart, war er für Stuttgart typisch, rund 250 wurden einst gebaut, vornehmlich im Süden der Stadt. Die meisten sind längst beseitigt oder zu Zisternen umfunktioniert worden. In Möhringen träumt einer noch von schlechten Zeiten vor sich hin.

So Gott wollte, konnte man die Bomben im Bunker überleben

Der Echterdinger Bunker ist nun der einzige, der öffentlich zugänglich ist. Vor 14 Jahren hat Wolfgang Haug ihn gerettet, als auf dem Grundstück der Luise Steckroth neue Häuser gebaut werden sollten. "Ich hab was für dein Museum", hat ihn ein Bekannter damals angerufen. "Bring's vorbei", meinte Haug nichtsahnend - der Bunker wiegt acht Tonnen. Die ganze Zeit bröckelte der Beton nun auf dem Bauhof vor sich hin, wo die Stadt Leinfelden-Echterdingen den Bunker zwischengeparkt hatte.

Am Museum ist dieser Miniluftschutzraum nicht ganz in die Erde versenkt worden, wie es ursprünglich der Fall gewesen war. Man wollte die äußere Konstruktion sichtbar machen. Denn der Bunker hat einen Bauch und ist mit Holzbalken umspannt - beides verminderte die Druckwelle bei einem Bombenangriff erheblich. Zuerst krachte das Holz, dann bremste das Luftpolster zwischen Balken und Beton den Druck weiter. So konnten Menschen, so Gott wollte, die Bomben überstehen. Wie Stuttgarts OB Karl Strölin bei einer Ratsherrensitzung am 10.August 1944 verkündete, hätten einige Bauwerke trotz "Nahtreffer" keinen Schaden davongetragen. Nur ein Rundbunker sei 40 Meter weit geschleudert worden und beim Aufprall zerbrochen. Menschen waren nicht darin.

"Wie fühlt man sich, wenn draußen die Welt untergeht?"

Alle Rätsel rund um dieses Einzelstück konnten aber noch nicht gelöst werden. Wie zum Beispiels beschafften sich die Steckroths trotz des Materialmangels im Jahr 1944 so viel Beton, fragt sich Rolf Zielfleisch. Seiner Kenntnis nach hätten es sich vor allem großkopfete Nazis noch leisten können, einen solchen Privatbunker zu bauen. Vielleicht konnten die Steckroths aber mit Schaffleisch und Wolle einen Bauunternehmer überzeugen.

In den Luftschutzbunker klettert man von oben hinein. Zwei dicke Betonplatten werden nach links und rechts weggeklappt und geben den Eingang frei. Sie sind so auf Stahlstangen aufgehängt, dass dies ohne großen Kraftaufwand geht. Über Stahlklammern im Beton krabbelt man nach unten in den Bauch. Es lässt sich gerade aufrecht stehen im Bunker, doch damit bis zu acht Erwachsene Platz finden, muss sich jeder schnell auf die Betonbank setzen. Jeder Satz, der hier gesprochen wird, hallt dumpf und leer nach, als sei man weit unten im Boden. Aber gesprochen wurde wohl nicht viel, wenn Luise Steckroth, ihr Mann und einige Nachbarn hier Zuflucht gesucht hatten bei den mehr als 300 Alarmen, die es in Echterdingen 1945 noch gab. Die Menschen haben auf ihre Füße gestiert, nach den Einschlägen gehorcht und abgeschätzt, wie nahe sie kommen. "Wie fühlt man sich, wenn man zwei Stunden hier unten sitzen muss und draußen die Welt untergeht?", fragt sich Wolfgang Haug. Der Abstieg in den Bunker von Echterdingen gibt nun zumindest den Hauch einer Antwort.

"Bunker sind Mahnmale", sagt Wolfgang Haug deshalb und blickt aus dem Fenster des Museums auf das elterliche Haus gegenüber. Er blickt dabei auch in die Vergangenheit: der Brand, die Ruine, der Wiederaufbau. Das darf nicht vergessen werden.

Einstieg Der Bunker am Stadtmuseum Echterdingen in der Hauptstraße 79 ist immer sonntags von 10.30 bis 12.30 Uhr und von 14.30 bis 17.30 Uhr zu besichtigen.