Geschichten des Jahres aus Leonberg Unglaubliches Chaos an der Rathausspitze
Im Juni setzt der Leonberger OB seine Stellvertreterin vor die Tür. Die Gründe sind völlig unklar. Seither geht es drunter und drüber.
Im Juni setzt der Leonberger OB seine Stellvertreterin vor die Tür. Die Gründe sind völlig unklar. Seither geht es drunter und drüber.
Es ist kurz vor den Feiertagen. Und wieder muss Martin Georg Cohn jenen Satz hören, der ihm gewiss nicht wie ein Weihnachtswunsch vorkommt. „Wir wünschen uns alle eine funktionstüchtige Verwaltungsspitze“, sagt Bernd Murschel in der Dezembersitzung des Leonberger Gemeinderates. Traditionsgemäß hält der Chef der größten Fraktion ein kleines Schlusswort. Entsprechend haben die Worte des Grünen eher versöhnlichen Charakter. Doch den Hinweis auf die ungeklärte Situation an der Stadtspitze kann Murschel dem Oberbürgermeister nicht ersparen.
Es ist auch schier unglaublich, was sich in der zweiten Jahreshälfte im politischen Leonberg abgespielt hat. Schon die Ouvertüre hat Seltenheitswert. Doch der große Knall kommt am 22. Juni: Der OB schmeißt seine Stellvertreterin raus! Er feuert sie nicht ganz, das kann in Baden-Württemberg selbst ein Oberbürgermeister nicht. Aber Martin Georg Cohn (SPD) belegt Josefa Schmid (FDP) mit einem Dienstverbot: „Aufgrund schwerwiegender Verletzung der Dienstpflichten“, so lässt der Hausherr verlauten, stehe zu befürchten, „dass der Stadt, ihren Mitarbeitern sowie den Bürgern erhebliche Nachteile entstehen, wenn Frau Schmid ihren Dienstgeschäften weiter nachgeht.“
Die Erste Bürgermeisterin, immerhin verantwortlich für die Schlüsselressorts Finanzen, Soziales und Ordnung, muss noch am gleichen Tag ihre Sachen packen. Seither ist sie außer Dienst, allerdings bei vollen Bezügen. Ihr Rauswurf war auf drei Monate befristet. Derweil hatte sich das Regierungspräsidium als kommunale Aufsichtsbehörde des Falls angenommen und prüft seither.
Was dabei bisher herumgekommen ist, will die Behörde mit Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte nicht sagen. Auch nicht, ob ein Disziplinarverfahren gegen die Politikerin läuft, was angesichts der langen Verfahrensdauer nicht ausgeschlossen ist. Genau so steht im Raum, dass gegen den OB womöglich ebenso ein Verfahren läuft.
Angaben über die Gründe von Schmids Verbannung aus dem Rathaus gibt es seit Sommer nicht. Recherchen unserer Zeitung haben ergeben, dass Josefa Schmid bei einer Dienstreise nach Berlin eine dortige Hotelübernachtung im Reiseantrag erst nachträglich eingefügt haben soll. Dies soll ihr Martin Georg Cohn zur Last legen. Weiterer mutmaßlicher Vorwurf: Ein anwaltliches Beratungshonorar im kleinen dreistelligen Bereich soll sie zunächst als städtische Angelegenheit deklariert, es dann aber doch selbst beglichen haben. Darüber hinaus stehen offenbar Vorwürfe im Raum, die sich in den Bereich des Absurden bewegen. So soll Schmid im vergangenen Winter während eines städtischen Energiespargebots abends bei Licht im Büro gearbeitet haben. Auch soll sie einmal auf einem Besucherplatz geparkt haben.
Was wirklich hinter all dem steckt, ist kaum nachvollziehbar. Fakt ist, dass das Verhältnis zwischen Chef und Stellvertreterin von Anfang an belastet war. Ihre Wahl im Gemeinderat fand im Mai 2021 statt, nachdem ein erster Anlauf wegen des Einspruchs einer Bürgerin verschoben werden musste.
Die Situation eskalierte, als im Oktober 2022 eine Anzeige Schmids gegen ihren Chef von der „Bild“-Zeitung veröffentlicht wurde. Darin bezichtigte sie Cohn, sich in ein Bußgeldverfahren eingemischt zu haben. Demnach sei der OB im Juli 2021 in Leonberg zu schnell gefahren und geblitzt worden. Cohn bestreitet vehement den Vorwurf der Einflussnahme. Beide haben sich gegenseitig bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, was die Ermittlungsbehörde in diesem Oktober auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigt hat.
Genau dieser Umstand macht die Untersuchungen des Regierungspräsidiums offenbar so schwierig. Dort werden nicht nur Cohns Beschuldigungen gegen Schmid überprüft, sondern auch deren Vorhaltungen gegen ihren Chef. Solange aber die Staatsanwälte aktiv wären, ließ die Regierungspräsidentin Susanne Bay (Grüne) eine Abordnung Leonberger Stadträte Anfang Dezember wissen, solange könne ihre eigene Behörde selbst nicht handeln. Erst wenn die Strafermittler ihre Arbeit beendet hätten, wären die Kommunalaufseher wieder am Zug.
Bay reagierte mit ihren Erläuterungen auf die lauter werdende Kritik, dass im gesamten Verfahren kein Ende absehbar sei und das Regierungspräsidium eisern schweige. Der Gemeinderat hatte sich sogar schriftlich an die Behördenchefin gewandt: Die ungeklärte Situation an der Stadtspitze belaste die Arbeitsatmosphäre in Rat und Verwaltung, Entscheidungsprozesse würden unnötig verlängert. Cohn hält stets dagegen, dass die Arbeit im Rathaus normal weiterlaufe und er mit dem Baubürgermeister Klaus Brenner ein eingespieltes Führungsduo sei.
Dass die Situation dennoch grenzwertig erscheint, war in den Adventswochen zu beobachten, in denen die Haushaltsberatungen in die entscheidende Phase gehen. Der OB, der seit Schmids Verbannung das Finanzdezernat leitet, hatte sich kurzfristig wie überraschend in den Urlaub verabschiedet. Sämtliche Sitzungen mussten vom Baubürgermeister geleitet werden, der als Architekt nicht der geborene Finanzfachmann ist.
Eine Situation, die nicht nur Kopfschütteln, sondern auch offenen Unmut in der Leonberger Politik hervorrief. Erst angesichts öffentlicher Kritik erklärte Cohn, dass er sich auf Anraten seines Arztes den Urlaub genommen habe.
Wie es jetzt weitergeht, ist völlig offen. Das Verfahren kann noch lange dauern, hat das Regierungspräsidium durchblicken lassen. Derweil sitzt Josefa Schmid in ihrer bayrischen Heimat und bezieht ihr volles Bürgermeistergehalt aus Leonberg. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden.