Was die Bilderserie „Stuttgart 1942“ nicht zeigen kann, weil keine Aufnahmen davon existieren: die Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Theresienstadt am 22. August 1942.

Stuttgart - Die Krankenschwester Elsa Ruth Rieser gehörte zu den Überlebenden der Deportation vom 22. August 1942 nach Theresienstadt (Terezín). Sie arbeitete im Jüdischen Altersheim in der Dillmannstraße 19. 1941 wurden Schwestern und Insassen zunächst ins Heim Heidehofstraße 9 gepfercht und im März 1942 ins Zwangsaltenheim Dellmensingen bei Ulm verschleppt. Schon vor der Deportation nach Theresienstadt waren die Menschen aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen.

 

Der Chef der Staatspolizeileitstelle Stuttgart, Friedrich Mußgay, kündigte am 14. August 1942 die Deportation „nach dem Protektorat“ an. Die Täter hatten Erfahrung; der äußere Ablauf mit Sammellager auf dem Killesberg glich den früheren Deportationen nach Riga und Izbica. Damals waren, der Fiktion einer Umsiedlung wegen, Menschen über 65 Jahre ausgenommen. Jetzt aber sollte Württemberg „judenfrei“ werden; vornehmlich ältere, auch kranke Menschen waren betroffen.

Bei Leibesvisitationen wurden Wertsachen gestohlen

Das Reichssicherheitshauptamt hatte ein System von „Heimeinkaufsverträgen“ erfunden: Die Deportierten mussten gleichsam ihr Wohnrecht im KZ im Voraus bezahlen: ein „Eintrittsgeld“ von 2000 Reichsmark sowie ein „Pflegegeld“ von monatlich 180 Reichsmark auf fünf Jahre. Sofern noch Mittel übrig waren, beschlagnahmte die Finanzverwaltung das „staatsfeindliche“ Vermögen – und berechnete dafür eine Gebühr von 1,15 Reichmark.

Bewacht von Ordnungspolizisten trafen die Deportierten mit fahrplanmäßigen Zügen, allenfalls durch Sonderwagen oder -abteile getrennt, am 19. und 20. August 1942 auf dem Hauptbahnhof ein; Busse brachten sie zum Killesberg. Bei Leibesvisitationen wurden Wertsachen und Lebensmittel gestohlen. Auch kassierten die Täter 50 Reichsmark für die Fahrkarte sowie weitere fünf Reichsmark für ein niemals ausgegebenes Lebensmittelpaket – exakt jene 55 Reichsmark, deren Mitnahme erlaubt worden war.

„Eine Nacht des Wahnsinns und des Grauens“

Martha Haarburger konnte als Helferin von ihrer Mutter Abschied zu nehmen: „Die alten Menschen sitzen elend auf der der Erde, auf Decken und Matratzen. Ihre Gesichter sind von Leid gezeichnet. Aber kein Wort der Klage ist von ihnen zu hören.“ Doch in der Nacht überfiel die Menschen der Schrecken. Resi Weglein aus Ulm sprach von einer „Nacht des Wahnsinns und des Grauens“. Am 19. August starb Max Henle aus Haigerloch. Zwei ins Bürgerhospital eingelieferte 84- und 86-jährige Frauen starben am 24. August. Während die Kranken am Tag vor der Abfahrt mit Bussen an den Zug gebracht wurden, folgte das Gros tags darauf, wohl über den Eckartshaldenweg. Rieser berichtete: „Wir wurden in Viehwagen eingepfercht, auf dem Boden etwas Stroh, Verpflegung gab es natürlich nicht“; Inge Auerbacher erinnert sich an Personenwaggons.

Am 23. August erreichte Deportationszug XIII/1 die Bahnstation Bauschowetz (Bohusovice); einige Deportierte waren den Strapazen erlegen. Auf der Eingangsliste des Lagers sind 1078 Personen verzeichnet. Im damals völlig überfüllten Lager in der alten habsburgischen Festungsstadt kamen die meisten Stuttgarter Deportierten in die Dresdner Kaserne. Rieser: „Es wurde uns versprochen, dass wir in ein Altersheim kämen. Aber die Enttäuschung war groß, als wir in Theresienstadt auf dem Dachboden einer Kaserne landeten. Dort waren schon tausend Leute auf dem Steinboden ohne Unterlage (…) Durch das wenige Essen und sonstige Entbehrungen starben täglich so und so viele Leute an Typhus und Ruhr (…) Die Leute, die nicht zu krank und zu schwach waren, mussten schwer arbeiten, teils in Fabriken und Betrieben für das Militär.“ Trotz der „Sterbensbedingungen“ erfüllte Theresienstadt die propagandistische Funktion als „Vorzugslager“ auch gegenüber dem Roten Kreuz.

Alte und Kranke wurden „gleich Säcken“ auf einen Wagen geworfen

Im Herbst 1942 begannen Transporte in die Vernichtungslager „im Osten“. Haarburger, im Juni 1943 selbst nach Theresienstadt deportiert, wo ihre Mutter drei Monate zuvor umgekommen war, erlebte die vermehrten Transporten nach Auschwitz im Herbst 1944: „Ich sehe, dass man Alte und Kranke gleich Säcken übereinander auf einen Wagen wirft und zum Bahnhof, in die Viehwagen fährt.“ Otto Rothschild, Schwager des Architekten Oscar Bloch, wurde am 28. September 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Er hatte noch mehrfach Mutter und Schwester nach Zürich geschrieben; die letzte Karte war am Tag seiner Ermordung gestempelt.

Am 9. Mai 1945 befreite die Rote Armee Theresienstadt. Ende Juni konnten HaarMartha Haarburger und Elsa Ruth Rieser, der nach einer Blutvergiftung ein Arm hatte amputiert werden müssen, mit Bussen der Stuttgarter Straßenbahnen zurückkehren.