Die Stadt schafft eine dritte Einrichtung, in der geschiedene Väter ihren Nachwuchs unter Aufsicht treffen können. Die Nachfrage ist entsprechend hoch.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die hohe Scheidungsrate, wonach in Großstädten jede zweite Ehe scheitert, zeigt: Partnerschaften sind heute brüchiger denn je. Darunter leiden besonders die Kinder. Weil Groll und Misstrauen zerstrittener Paare oft so groß sind, dass sie nicht einmal mehr den Besuch des Kindes beim anderen regeln können, gibt es den „begleiteten Umgang“. Weil die Nachfrage danach seit Jahren groß ist und wächst und es deshalb zu monatelangen Wartezeiten kommt, richtet die Stadt eine dritte Stelle dafür ein.

 

Alle zwei Wochen tummeln sich am Samstag im Garten des Eltern-Kind-Zentrums (EKiZ) im Stuttgarter Westen Kinder mit einem Elternteil, zumeist sind es die Väter, die getrennt von der Mutter leben. Nicht wenige der Beziehungen sind so zerrüttet, dass die getrennten Paare sich nicht einmal bei der Übergabe des Kindes treffen wollen. Deshalb sind in den vier Stunden zwei Betreuungskräfte dabei.

„Die Mütter wollen die Sicherheit haben, dass sich das Kind wohlfühlt, dass es vom Vater nicht negativ beeinflusst – und dass es auch zurückgebracht wird“, nennt Andrea Bundschuh einige der Hauptgründe, warum es zu dem durch das Familiengericht oder das Jugendamt vermittelten begleiteten Umgang kommt. „Manchmal wollen aber auch Väter jemanden dabeihaben, weil sie befürchten, dass man ihnen sonst unterstellen könnte, dass sie das Kind manipulieren“, sagt die Sozialarbeiterin beim EKiZ.

„Wir werden von Anfragen überschwemmt“

Mitunter ist die psychische Erkrankung eines Elternteils oder ein Suchtproblem die Ursache für die Begegnungen unter Aufsicht. Dagegen ist gewalttätiges Verhalten des Vaters gegenüber dem Kind keiner der Gründe für den begleiteten Umgang, eher schon sind es brutale Übergriffe in der Beziehung, in der Regel gegen die Mutter. Diese besonders schwierigen Fällen übernimmt der Kinderschutzbund im Bezirk Mitte in Einzelbegleitungen, die andere der gegenwärtig zwei Einrichtungen, die den begleiteten Umgang anbieten.

Im Schnitt sind acht Termine angesetzt, dann sollten die Eltern selbst in der Lage sein, den Umgang mit dem Kind zu regeln. In der Hälfte der Fälle, wenn der Streit der Ex-Partner einfach nicht zu beruhigen ist, wird das Verfahren aber um weitere sechs oder sogar mehr Termine verlängert.

Insgesamt 15 Familien werden derzeit von dem Eltern-Kind-Zentrum im Westen betreut, mehr geht nicht. Dabei ist die Nachfrage deutlich größer, es gibt eine Warteliste. „Pro Monat rufen zwei oder drei Familien an, wir könnten sofort eine neue Gruppe starten“, sagt Andrea Bundschuh. „Denen müssen wir aber erklären, dass sie sich in drei vier Monaten wieder melden sollen.“ Ähnlich ist die Lage beim Kinderschutzbund. „Wir werden von Anfragen überschwemmt – alleine in den vergangenen drei Tagen sind es fünf gewesen“, sagt die Sozialpädagogin Beate Staatze. „Wir dürften eigentlich schon niemanden Neues mehr für dieses Jahr nehmen, weil das Budget, das wir bekommen, erschöpft ist“, merkt sie kritisch an. „Eine zusätzliche Einrichtung ist dringend notwendig.“

Neue Einrichtung in Bad Cannstatt geplant

Das entspricht auch der Auffassung des Amtsgerichts, durch das in Stuttgart 60 Prozent der Fälle vermittelt werden. „Der begleitete Umgang muss zeitnah erfolgen“, sagt die Familienrichterin Ulrike Huber. „Es darf nicht zu einer Umgangslücke von mehreren Monaten kommen, sonst ist schon zu viel kaputt gegangen“, erklärt die Juristin, die die Abteilung Familie beim Amtsgericht leitet.

Warum es heute Wartelisten gibt, zeigt die Statistik der Stadt. Vor zehn Jahren nutzten 55 Familien in ihrer verfahrenen Lage den begleiteten Umgang, inzwischen sind es im Schnitt 80 – Tendenz weiter steigend. Deshalb hat der Gemeinderat im Haushalt nach anhaltenden Forderungen der Träger eine weitere Einrichtung dafür vorgesehen. Diese soll im Familienzentrum CANN in Bad Cannstatt entstehen. Dort ist im Übrigen auch eines der beiden Stuttgarter Familiengerichte beheimatet.

Vergleichsweise hoher Migrantenanteil

Zwei Drittel der Konfliktpaare finden durch den begleiteten Umgang eine einvernehmliche Lösung für die Besuche des Kindes. Bei einem Drittel wird das Angebot häufig abgebrochen, weil ein Elternteil nicht mitmacht, aber auch, weil die Kinder sich verweigern. „Es ist traurig, dass die Kinder den Streit der Eltern ausbaden müssen und als Druckmittel eingesetzt werden“, sagt Familienrichterin Huber.

Auffallend dabei ist der vergleichsweise hohe Migrantenanteil, der typisch ist für Großstädte und nach einer Erhebung der Stadt in Stuttgart bei den Müttern über 50 Prozent, bei den Vätern bei rund 60 Prozent liegt. Ulrike Huber hat eine Erklärung dafür, warum bei Paaren, bei denen einer oder beide Partner Migranten sind, die Konflikte bei Trennungen so groß sind: „Da sind oft beide Familien in die Sache involviert“, sagt die Familienrichterin.

Aber es gibt noch andere Gründe, weshalb der Bedarf an begleitetem Umgang mit Kindern wächst. Es nehme auch die Zahl der Fälle zu, in denen ein Elternteil an einer psychischen Erkrankung leide, erläutert Huber. Und der gesellschaftliche Wandel spiele eine Rolle: „Die Männer sind heute stärker in die Erziehung der Kinder eingebunden, und sie wollen es dann auch nach einer Trennung bleiben.“