Sie sollen helfen, Krebs zu erkennen, strapaziöse Reisen gut zu überstehen oder bestimmte Alterungsprozesse zu verlangsamen - Selbstzahler-Leistungen beim Arzt. Gibt es nun Verbote wegen mangelnden Nutzens?

Berlin - Patientinnen und Patienten sollen nach dem Willen von Gesundheitspolitikern der Koalition besser vor umstrittenen Selbstzahler-Leistungen in der Arztpraxis geschützt werden.

 

"Leistungen, die von den medizinischen Fachgesellschaften als schädlich bezeichnet werden, haben in Arztpraxen nichts zu suchen und gehören verboten", sagte der Bundespatientenbeauftragte Stefan Schwartze (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Mehr "Schutz vor nicht evidenzbasierten Behandlungen" sei nötig, forderte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen. Das sind Behandlungen, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist.

"Es ist besorgniserregend, in welchem Umfang einzelne Praxen sich statt auf die Erbringung bedarfsnotwendiger Angebote entsprechend des Standes der Wissenschaft auf lukrative IGeL-Leistungen fokussiert haben", sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Diese sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen und müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Durch ihr massives IGeL-Angebot zögen die entsprechenden Praxen die redliche und wichtige Arbeit der überwältigenden Mehrheit der Arztpraxen in Misskredit, so Dahmen.

Ultraschall der Eierstöcke

Schwartze sagte unter Verweis auf Untersuchungen, die große Mehrheit des IGeL-Angebots habe keinen erkennbaren Nutzen. "Einige schaden sogar, weil sie häufig falsch positive Befunde liefern und dadurch unnötige weitere Untersuchungen und Eingriffe nach sich ziehen." Das gelte für die Ultraschalluntersuchung zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter – eine der am meisten verkauften Leistungen. "Hier werden junge Frauen ohne Not in Angst und Schrecken versetzt." Gynäkologische Fachgesellschaften lehnten sie ab.

Tatsächlich fehlt es laut dem IGeL-Monitor des Medizinischen Diensts der Krankenkassen an Hinweisen auf einen Nutzen dieser Ultraschalluntersuchung. Dabei böten fast alle Praxen die Methode an. Mit Ultraschall stürben laut Studien aber nicht weniger Frauen als ohne. "Demgegenüber steht, dass aufgrund der Untersuchung Frauen unnötig beunruhigt werden und es zu einer unnötigen Entfernung der Eierstöcke und Komplikationen bei den Operationen kommen kann." Eine AOK-"Faktenbox" stellt dazu fest: "Auffällige Ultraschalle sind fast immer Fehlalarme, die auch zusätzliche Bluttests selten aufdecken."

Der Berufsverband der Frauenärzte wies die Kritik an der Methode zurück. Es handele sich um eine umfassende Ultraschall-Untersuchung von Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke und Harnblase. Über eine Tastuntersuchung hinaus vorteilhaft sei dies etwa bei übergewichtigen Mädchen und Frauen. Eine mögliche Behandlung orientiere sich dann unter anderem an Beschwerden und Verlauf. "Die generelle Behauptung, ein Ultraschall würde unnütze Operationen nach sich ziehen, ist falsch (...)." Auch Schwartzes Behauptung, gynäkologische Fachgesellschaften lehnten diese Ultraschalluntersuchung ab, treffe nicht zu.

Update bei Patientenrechten

Insgesamt sprach sich Dahmen für mehr Patientinnen- und Patientenrechte aus. "Es braucht unübersehbar ein Update des in die Jahre gekommenen Patientenrechtegesetzes", sagte der Grünen-Politiker. Auch die Transparenz für Patientinnen und Patienten müsse erhöht und Regeln für die weitgehend digitalisierte Dokumentation von Behandlungen müssten aktualisiert werden. Mit dem geplanten Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung solle zudem die hausärztliche Versorgung besser finanziert werden. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits vergangenes Jahr eine Reform bei den Patientenrechten angekündigt. Dahmen sagte: "Für eine schnelle Umsetzung der Gesetze müssen nun alle Koalitionspartner am selben Strang ziehen." Das Patientenrechtegesetz war 2013 in Kraft getreten, etwa mit einem Einsichtsrecht in Patientenakten und Unterstützung durch die Kassen bei Verdacht auf Behandlungsfehler. Schwartzes Angaben zufolge will es die Ampel-Koalition Opfern von Behandlungsfehlern künftig leichter machen, Recht zu bekommen. Die Gespräche mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über eine Reform des Patientenrechtegesetzes seien auf einem guten Weg. 

Ärzte: "IGeL nicht verteufeln"

Bereits seit Jahren stehen die IGeL-Leistungen in der Kritik. So mahnten die Verbraucherzentralen: "Da die Palette breit gefächert ist und sich ständig erweitert, haben Patientinnen und Patienten kaum eine Chance, den medizinischen Nutzen sowie Qualität und Preis der Angebote zu überprüfen und miteinander zu vergleichen." In der Praxis solle man erst mal um Bedenkzeit bitten und später unabhängige Informationen einholen.

Deutschlands Kassenärzte mahnen aber: "IGeL-Leistungen sollten nicht generell verteufelt werden", wie ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sagte. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz meinte: "Das Verbot von Selbstzahler-Angeboten ist gut gebrüllt, doch praktisch nicht umsetzbar." Stiftungsvorstand Eugen Brysch: "Schließlich würde auch jede kosmetische Leistung des Arztes darunterfallen." 

Beim für den Leistungskatalog der Krankenkassen zuständigen Gremium betont man das wissenschaftliche Fundament der offiziellen Verfahren. Der Gemeinsame Bundesausschuss setze bei der Weiterentwicklung der Kassenleistungen auf wissenschaftliche Nachweise, sagte Ausschussmitglied Monika Lelgemann. "Denn neu heißt ja nicht automatisch besser oder sicherer."

Nach einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zielen Ärztinnen und Ärzte mit IGeL übrigens verstärkt auf Versicherte mit höherem Einkommen ab - bei höherem Haushaltseinkommen wurde den Versicherten deutlich öfter eine IGeL-Leistung angeboten als bei niedrigerem Einkommen.