Freiburg - Die so genannte „kleine Wasserkraft“ hat es schwer. Wasserräder oder Turbinen mit einer Leistung unter einem Megawatt liefern zusammengenommen wenig Strom und sind verbeamteten Naturschützern in Landratsämtern und Regierungspräsidien ein Dorn im Auge. Sie beanstanden, dass Stauwehre an kleinen Flüssen oder Bächen die natürliche Fließrichtung von Gewässern stören. Neubauten gibt es kaum und bestehende Anlagen werden durch amtliche „Renaturierungsmaßnahmen“ eingeschränkt oder beseitigt.
So derzeit an zwei Orten im Südschwarzwald, nicht weit voneinander entfernt: Dem Betreiber der „Schattenmühle“ an der Wutach nahe Löffingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) wird mit dem Entzug des Wasserrechts gedroht, das seit 1886 existiert. Mit einer Turbine für den Betrieb einer Säge und einer weiteren für die Stromerzeugung pflegt Franz Frey das alte Familienstück mit Herzblut. Mit dem Strom wird die Säge betrieben, die an einen Schreiner verpachtet ist. „Ich bin hier geboren, mein Vater war der Müller und Wirt“, berichtet der 64-jährige Frey.
Das Anwesen wurde 1960 aufgeteilt, in einem der Häuser wurde ein Landhotel eröffnet. Als der Hotelier vor ein paar Jahren beabsichtigte, am Kanal ein kleines Kraftwerk zur Stromerzeugung zu bauen, schaute die Untere Wasserbehörde im Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald auch auf das Wasserrecht der Schattenmühle von Frey und erklärte, dieses berechtige nicht zur Einspeisung von Strom ins Netz, was Frey seit 1986 unbeanstandet tut. Im Übrigen liege das Anwesen im geschützten „Flora-Fauna-Habitat“ (FFH) – und Naturschutzgebiet und das Stauwehr für die Turbine sei ein „massiver Eingriff in das Abflussregime der Wutach“ mit Nachteilen für die „Wasserökologie“. Also: Das Stauwehr müsse weg.
Die Absperrung des Mühlenkanals wäre wohl das Ende der Säge
„Seither geht es hin und her“, klagt Frey. Er habe angeboten, statt der bislang geforderten 350 Liter Wasser pro Sekunde 650 Liter in der Wutach passieren zu lassen. „Aber das hat die alles nicht interessiert“, winkt Frey enttäuscht ab. Die Absperrung des Mühlenkanals wäre wohl das Ende der Säge. Im Juli hat Frey eine Petition an den Landtag geschickt. „Wir machen nur wenig, aber sauberen Strom. Die Anlage ist ein Biotop – warum kann man das nicht so lassen?“ fragt Agrarfachingenieur Franz Frey. Und bekommt darauf keine Antwort.
Genauso geht es rund 50 Kilometer weiter südwestlich im Lindauer Tal bei Görwihl (Kreis Waldshut) auch Richard Eschbach. Der 68-jährige selbstständige Elektromeister hat sich 2015 die „Schwarze Säge“ gekauft, ein Wohnhaus und ein früheres Sägewerk, das von einem kleinen Wasserkraftwerk am Schwarzenbächle betrieben wurde. Das Wasserrecht wurde 1595 vom Kloster St. Blasien verliehen, das Wehr stammt von 1886. Nun macht ihm das Regierungspräsidium Freiburg seine Idylle zunichte, weil es das vorgelagerte Stauwehr abreißen möchte. Es sei erforderlich, so das Regierungspräsidium auf Anfrage, „die Lebensräume des bestehenden Naturschutz- und FFH-Gebiets an diesem Bachlauf wieder herzustellen“. Von Zerstörung könne nicht die Rede sein. Vielmehr handele es sich um „die Wiederherstellung des naturnahen Gewässerlaufs des Schwarzenbächles“.
Agieren die Behörden dogmatisch und mit Tunnelblick?
Darüber kann Richard Eschbach nur den Kopf schütteln. „Wiederherstellung? Von welchem Zustand? Dem vor 400 Jahren? Von vor 120 Jahren?“ Das angestaute Gewässer sei ein Biotop mit lebhafter Flora und Fauna. Wenn es vom Bach abgetrennt werde, könne es austrocknen. Eschbach hat dem Regierungspräsidium Vorschläge gemacht, eine Fischtreppe zum Beispiel, damit die seltene Fischart Groppe – auch Kaulkopf oder Rotzkopf genannt – freien Durchgang hat. Mit der Durchgängigkeit für Fische ist nebenbei im weiteren Verlauf des Gewässers Schluss. Nach 300 Metern kommt ein kleiner Wasserfall, dann landet der Bach in einem Stollen des Schluchseewerkes.
Für die Arbeitsgemeinschaft Wasserkraft e.V. Baden-Württemberg (AWK BW) sind die beiden unterschiedlich gelagerten Fälle Beleg dafür, dass die staatlichen Behörden zunehmend rigoros gegen die „kleine Wasserkraft“ vorgehen und dabei dogmatisch und mit Tunnelblick agieren. „Wir haben das Gefühl, dass die Ämter im Regierungspräsidium verstärkt unterwegs sind, um Wasserrechte in Frage zu stellen“, sagt AWK BW-Geschäftsführerin Julia Neff. „Bestehende Wehranlagen durchlässig zu gestalten und sie gleichzeitig zur Stromgewinnung zu nutzen, bildet keinen Widerspruch, sondern vereint Klima- und Naturschutz.“
Unabhängig von den genannten Einzelfällen räumt das Landesumweltministerium ein, dass es ein „Spannungsfeld zwischen Wasserkraft und Ökologie“ gibt. „Der Wasserkraft sind ökologische Grenzen gesetzt“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. In jedem Einzelfall müsse „unter Berücksichtigung der Bedingungen vor Ort die beste Lösung unter Abwägung aller Rahmenbedingungen“ gefunden werden. Grundsätzlich schreibe die EU-Wasserrahmenrichtline eben die Durchgängigkeit von Gewässern vor.
Stau im Wasser schafft Vielfalt
Ob das immer sinnvoll ist, bezweifelt der Sachverständige für Gewässerökologie von der Industrie- und Handelskammer, Johannes Prinz aus Korntal-Münchingen bei Stuttgart. „Durchlässigkeit schafft nur der Mensch, nur wenn er nichts täte, hätte man einen natürlichen Zustand.“ Mit zeitweisen oder dauerhaften Staus nach Unwettern und Baumstürzen. „Die Stauhaltung von kleinen Bächen und Flüssen fördert auch die Selbstreproduktion der Fische“, sagt Prinz. Dadurch gebe es mehr Vielfalt. Bei den Wasserbehörden, meint er, „beißt man aber derzeit auf Granit“. Möglicherweise stünde dabei etwas anderes dahinter: „Die kleine Wasserkraft ist den Großkraftwerken als Konkurrenz ein Dorn im Auge.“
Wasserkraft im Land
Leistung
In Baden-Württemberg sind nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke e.V. derzeit 887 Megawatt (MW) Wasserkraftleistung installiert, davon rund 180 MW in 1700 kleinen Wasserkraftanlagen. Laut Umweltministerium tragen sie zusammen 8,2 Prozent zur Bruttostromerzeugung in Baden-Württemberg bei, 90 Prozent davon tragen 64 Großanlagen.
Potenzial
„Die Wasserkraftpotenziale im Land sind allerdings schon weitgehend ausgeschöpft“, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage. Über die EnBW ist das Land Miteigentümer von Großkraftwerken am Oberrhein, an neun Anlagen am Hochrhein und weiteren Anlagen am Neckar, der Murg und auf der Schwäbischen Alb. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 fordert die „Durchgängigkeit von Bächen und Flüssen für alle Lebewesen“. Das Ziel sollte 2015 erreicht sein. Weil es verpasst wurde, ist die Frist bis zum Jahr 2027 verlängert.